Hochsaison für Schafscherer

Rathen · Die wichtigste Zeit, um Schafe zu scheren, ist traditionell von Mitte Mai bis Mitte Juli. Dieser Termin hat den Vorteil, dass die Vierbeiner durch den hohen Anteil an Wollschweiß leicht zu scheren und während des Hochsommers von ihrer Wolle befreit sind. Die SZ beobachtete im Waderner Stadtteil Rathen, wie ein professioneller Schafscherer die wolligen „Rasenmäher“ von ihrer „Mähne“ befreite.

 Noel Marchal (links) hat in 25 Jahren als Schafscherer zwischen 40 000 und 50 000 Schafe von ihrem Pelz befreit. Foto: Koster

Noel Marchal (links) hat in 25 Jahren als Schafscherer zwischen 40 000 und 50 000 Schafe von ihrem Pelz befreit. Foto: Koster

Foto: Koster

Ein Sonntagmorgen im Juni. Die SZ ist verabredet mit einem professionellen Schafscherer im Waderner Stadtteil Rathen : Noel Marchal, ein 60 Jahre alter Franzose, "tingelt" durch die Dörfer im Südwesten der Republik. Am Vortag hat er 203 Schafe im Landkreis Merzig-Wadern geschoren. 120 in Rimlingen, 70 in Weierweiler und 13 in Thailen. Im kleinen, idyllischen 300-Einwohner-Dorf Rathen sind es an diesem Sonntagmorgen nur 34 Schafe , die Noel von ihrer "Wollpracht" befreite.

Josef Knapp, dem diese Schafherde gehört, setzt normalerweise selbst die Schere für seine Tiere an. "Doch diesmal musste ich mir einen Profi engagieren, da ich mich an der Hand verletzt hatte und keine Schur durchführen konnte", erzählt er uns. Früher ist "Jupp", wie er im Ort genannt wird, als Hobby-Schäfer mit 200 Tieren über Wiesen und Weiden im Löstertal gezogen. "Doch bei 13 Stunden täglicher Arbeit als Bauarbeiter hat das nicht mehr gepasst", erzählt der 53-Jährige.

Für die Prozedur der Schur hat "Jupp" einen 50-Quadratmeter-Pferch gezimmert, in dem er seine Herde versammelt hat. Nach und nach greift er eines seiner Tiere und übergibt sie Noel. Der Franzose macht "kurzen Prozess" mit den wolligen Vierbeinern. Mit viel Routine setzt der "gemietete" Schafscherer die elektrische Hand-Schermaschine an den Winterpelz des Schafs an. Nach zweieinhalb Minuten hat er das Tier von seiner "Pracht" oder auch seiner "Last", wie Noel den Wollpelz bezeichnet, befreit.

Der Franzose gibt Einblick in seine Arbeit und erklärt: "Technik und Vorgehensweise sind immer gleich. Jupp bringt mir nach und nach eines seiner 60 bis 120 Kilo schweren Tiere. Ich setze es dann auf sein Hinterteil, und somit ist das Schaf gleichzeitig ruhiggestellt. Es gibt fünf Hauptpositionen, die du während der Schur einnehmen musst." An Position eins macht Noel klar, wie er das Schaf sanft auf den Rücken dreht und dessen Schultern von seinen Knien gehalten werden. "Dabei ragen die vier Beine des Schafs in die Luft - und los geht's", beschreibt Noel seinen Arbeitseinsatz. Er gibt dabei allerdings zu bedenken: "Je bequemer es das Schaf während der Schur hat, desto weniger wird es zappeln, wodurch meine Arbeit wieder etwas erleichtert wird."

Als seine wichtigste Scherarbeit betrachtet er das "Entfernen der Bauchwolle, da man damit gleichzeitig den Anfang für den Hals, Rücken und rechte Seite schafft. Wenn der Bauch nicht sauber geschoren wird, hab' ich mehr Arbeit in anderen Bereichen." Und Noel klärt weiter auf: "Die richtige Fußstellung ist entscheidend, um die Wolle rund um den Schwanz, die Kruppe und entlang des Rückgrates zu scheren." Das Scheren der Kopfpartie variiert je nach Schafrasse. Eine der am schwersten zu scherenden Stellen sei der Hals, besonders bei starken Halsfalten. Ziel sei es, "den Nacken schnell frei zu scheren, die Gesichtswolle zu entfernen, den Kopf von der übrigen Wolle zu befreien und das linke Ohr zu scheren." Einfach dagegen sei es, den Rücken des Schafs zu scheren, so Noels Erfahrung. Hat er ein Schaf geschoren, sieht es "nackt und ziemlich blass" aus. Der Geruch, den die nackten und bis zu dreieinhalb Kilo "erleichterten" Vierbeiner verbreiten, erinnert nicht gerade an Parfüm. Eher verströmen sie einen ätzenden Geruch, der doch sehr gewöhnungsbedürftig ist.

Noel Marchal ist seit 25 Jahren als Schafscherer unterwegs und hat in dieser Zeit zwischen 40 000 und 50 000 Schafe von ihrem Pelz befreit. Die Wurzeln des Schafscherer-Berufs liegen in Australien, wo um 1800 die Schafzucht mit dem Pionier John Macarthur begann und sich anschließend zur Massenproduktion entwickelte. Den Beruf des Schafscherers gibt es heute vor allem in Australien und in Neuseeland, wo auch die meisten Schafherden sind. Auf dem fünften Kontinent gab es laut einer Statistik im Jahr 2004 etwa 130 000 professionelle Schafscherer für 125 Millionen Schafe . In Deutschland grasen weniger als zwei Millionen Schafe , die vor allem zur Landschaftspflege von Heidelandschaften und Deichen eingesetzt oder zur Fleischproduktion verwendet werden.

Im Saarland werden noch 11 000 Schafe gehalten. "Acht Schafhalter, die eine Herde zwischen 200 und 500 Tieren besitzen, haben neben der Landwirtschaft ihren Haupterwerb mit ihren Schafen", sagt Anton Schmitt, Geschäftsführer des Landesverbandes der Schaf- und Ziegenhalter im Saarland, gegenüber unserer Zeitung. "Vier bis fünf Schafscherer vermitteln wir für die Schur im Saarland", ergänzt Schmitt.

Neben Landesmeisterschaften in Brandenburg und Thüringen werden auch deutsche Meisterschaften ausgetragen, wobei ein Schaf in einer Zeit von einer knappen Minute geschoren wird. Auch Zeiten um die 30 Sekunden sind keine Seltenheit. Dabei werden besondere Kriterien wie Unversehrtheit, Schurtechnik und Exaktheit bewertet. Diejenigen, die 200 Schafe am Tag scheren, werden "Gun shearer" genannt und verschleißen 50 bis 70 Schneideblätter am Tag. Ein besonderes Datum geht Noel Marchal nicht aus dem Sinn. "Am 10. Oktober 1892 schor der Australier Jackie Howe 321 Schafe in sieben Stunden und 40 Minuten", erzählt er stolz.

"Die Wolle , die ich von den Schafen schere, bildet heute nur noch ein Nebenprodukt, da sie wirtschaftlich aus Kostengründen nicht verwertbar erscheint", weiß Noel Marchal. "Wer seine Schafe im Winter für längere Zeit in einem ausreichend gegen Kälte geschützten Stall hält, kann auch zum Aufstallen scheren", so der Tipp des Experten. Allerdings sollte die Temperatur im Stall in den ersten Tagen nach der Schur nicht unter zehn Grad Celsius absinken. "Die Winterschur", so weiß Noel; "wird von vielen Schafhaltern bevorzugt. Die Wolle ist sauber und der Schafsbesitzer hat nach der Schur etwa zehn Prozent mehr Platz im Stall." Der besondere Geruch der nackt-weiß Geschorenen bleibt aber ebenfalls im Stall - und sorgt für eine gewisse Wärme.

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