Serie Kriegsende im Kreis Geschlagene Truppen kehren heim

Vor kurzem war es genau 100 Jahre her, dass durch den Waffenstillstand im Wald von Compiègne am 11. November 1918 nach viereinhalb langen Jahren endlich die Waffen schwiegen und der Erste Weltkrieg zu Ende ging. In dieser Artikelserie soll nachgezeichnet werden, wie die Menschen in der Merziger Region das Kriegsende 1918 mit seinen dramatischen Umbrüchen erlebten.

 Deutsche Truppen auf ihrem Rückmarsch am 22. November 1918 in Wadern.

Deutsche Truppen auf ihrem Rückmarsch am 22. November 1918 in Wadern.

Foto: Fotohaus Lohrig

Als die Zeitungen die Waffenstillstandsbedingungen abdruckten, war die deutsche Öffentlichkeit regelrecht schockiert. Die Bedingungen, die die Alliierten an den Abschluss des Waffenstillstands geknüpft hatten, übertrafen bei weitem das, was selbst die größten Pessimisten befürchtet hatten.

Die wichtigsten Punkte sollen, soweit sie für diese Abhandlung von Bedeutung sind, an dieser Stelle kurz wiedergegeben werden: Belgien, Frankreich, Elsass-Lothringen und auch das linke Rheinufer waren binnen 14 Tagen von den deutschen Truppen zu räumen. Mainz, Koblenz und Köln sollten von alliierten Truppen besetzt und auf dem rechten Rheinufer eine neutrale Zone in einer Tiefe von zehn Kilometern gebildet werden. Die Deutschen hatten daneben den Großteil ihrer schweren Waffen, 5000 Lokomotiven, 150 .000 Waggons und einen Teil der Schiffsflotte abzuliefern. Die übrigen Schiffe waren zu entwaffnen. Deutschland musste außerdem für den Unterhalt der alliierten Besatzungstruppen aufkommen. Die Merziger Zeitung schrieb am 14. November 1918:

„Wie Keulenschläge sind die Ereignisse der letzten Tage auf uns alle niedergesaust und Zagen und Niedergeschlagenheit hat wohl auch den Selbstbewusstesten erfasst. Aber klagend und verbittert oder untätig beiseite zu stehen, ist jetzt mehr denn je Verrat an Heimat und Vaterland, Verrat auch an unseren heiligsten Gütern, dem Glauben, unseren Kindern und unserer Zukunft. Drum Kopf hoch! Jeder stehe in dieser ernsten Stunde ganz auf seinem Posten! Wir haben jetzt nicht zu prüfen, wo die Schuld an alldem liegt. Wir müssen alle mit bauen an der neuen und glücklichen Zukunft unserer Heimat. Die erste und wichtigste Forderung der Stunde ist: Wahrung der öffentlichen Ruhe und Aufrechterhaltung des gewerblichen Lebens, des Verkehrs, der Lebensmittelversorgung und geregelten Zufuhr an die Verbraucher. Darum Arbeitgeber, haltet eure Betriebe aufrecht und erweitert, wenn möglich, die Herstellung von Friedensartikeln: Sie werden in den nächsten Wochen und Monaten in Riesenmengen verlangt werden.“

Unmittelbar nach Abschluss des Waffenstillstandsvertrages begann die Rückführung der deutschen Truppen aus Frankreich und Belgien. Vom Rückmarsch war auch unsere Region unmittelbar berührt. Die Merziger Zeitung meldete am 14. November:

„Seit einigen Tagen hört man das Surren heimkehrender Flieger von Westen nach Norden über unserer Gegend. Sie fliegen geradezu ihren Frauen, Bräuten und sonstigen Angehörigen in die Arme. Vorgestern überflog auch die berühmte Richthofen-Staffel unsere Stadt ganz tief und ließ einige Begrüßungszettel herunterfallen. Unsere Flieger haben sich in diesem blutigen Weltkrieg großartig bewährt und waren den feindlichen an Mut und Tapferkeit weit überlegen. Sie sind nicht schuld daran, dass der Krieg ein solches Ende nahm.“

Den Fliegern folgten sehr bald schon die Heeresverbände, die sich von der Westfront auf die rechte Rheinseite zurückziehen mussten. Endlose Wagenkolonnen und Autoschlangen durchzogen unsere Region auf ihrem Weg nach Osten. In der Merziger Zeitung vom 16. November hieß es:

„Zuerst kamen ganze Fliegergeschwader hier durch, dann folgten Etappentruppen. Gestern passierte die 41. Division unsere Stadt. Sie wälzte sich nach Losheim zu fort. Was so eine einzige Division mit sich führt, ist kaum zu glauben. Ihr Durchzug wollte kein Ende nehmen. Alles eilt so schnell als möglich, um über die hoffentlich nur für die Dauer des Waffenstillstands und der Friedensverhandlungen festgesetzte Rheingrenze zu kommen. Die Rückkehr unserer Truppen war allerdings anders gedacht. Es hat nicht sollen sein!“

Das Hochwaldstädtchen Wadern war ebenfalls vom Rückzug der deutschen Verbände betroffen. Eine Waderner Bürgerin namens Waldtraut Schulz, eine junge Dame aus gutbürgerlichem Haus, vertraute ihre Eindrücke von den Geschehnissen jener Tage ihrem Tagebuch an. Am 14. November 1918 notierte sie: „Da Wadern an der Aufmarschstraße zum Rhein liegt, sehen wir die deutschen Truppen an uns vorüberziehen. Der traurige Rückzug der deutschen Armee. Trotzdem lacht jeder, nach Hause zu kommen. Infanterie-Kavallerie mit Wagen, schwerrasselnden Lastautos, feldgraue Autos, in denen in Pelz gehüllte Offiziere sitzen, kleine Kosakenpferdchen. Das alles zieht Tag und Nacht in einer grauen Kette über die Straßen, die durch die Last, die über ihren Rücken geht, buckelig, löcherig und aufgewühlt wird. Das Wetter ist klar und schön. Naturgemäß stellt man sich bei diesem Zurückfluten den Ausmarsch von 1914 vor, der doch ein ganz anderes Gesicht hatte.“

Vier Tage später hielt die junge Dame folgendes in ihren Aufzeichnungen fest: „Neue Truppen passieren. Musik. Unser Bürgermeister Müller pflanzte zwei Tannen am Marktplatz auf. Sie sind ein wenig bunt gemacht und tragen je ein Schild: ‚Willkommen in der Heimat! Treue um Treue!‘ Ja, sie sind unbesiegt und Sieger!“

Zu Ehren der durchziehenden Truppen hatten die Städte und Dörfer reichen Flaggenschmuck angelegt, wie verschiedenen zeitgenössischen Berichten zu entnehmen ist. In düsterer Vorahnung bemerkte die Merziger Zeitung am 19. November 1918:

„Als es gestern hieß: ‚Fahnen heraus!‘ zur Begrüßung der durchziehenden tapferen Fronttruppen, die unsere engere Heimat vor Feindeseinfall schützten, blieb fast kein Haus in den Hauptstraßen flaggenleer. Man lasse die Fahnen hängen, bis der Durchzug der Truppen beendet ist. Vielleicht kann es sein, dass diese Tage die letzten sind, an denen die reichsdeutsche Fahne von unseren Dächern wallt.“

Und der Dillinger Anzeiger notierte:

„Die durchziehenden Truppen werden von der Bevölkerung, insbesondere durch unsere Jugend mit Hurrarufen begrüßt, die von diesen mit glänzenden Augen beantwortet werden. Wenn unsere Truppen auch aus einem verlorenen Krieg zurückkehren, Dank sind wir Daheimgebliebenen ihnen trotzdem schuldig, denn sie haben unsere Heimat davor bewahrt, dass sie nicht zum Schlachtfeld wurde.“

Die Soldaten bezogen auf ihrem Durchmarsch für eine Nacht jeweils Quartier in den Städten und Dörfern unserer Region. Die Bevölkerung nahm die ihr zugewiesenen Soldaten in aller Regel freundlich auf. Lobend erwähnt wird in den zeitgenössischen Berichten durchgehend die disziplinierte Haltung, die vor allem die Fronttruppen bei ihrem Durchzug an den Tag legten. So berichtete beispielsweise die Saarlouiser Saar-Zeitung am 18. November:

„Nachdem seit Tagen endlose Kolonnen und Flieger durchgezogen waren, trafen gestern Vormittag die ersten geschlossenen Truppenkörper hier ein, von denen ein großer Teil hier und in der Umgegend Quartier bezog. Welch ein Unterschied zwischen diesen strammen, wohldisziplinierten und selbstbewussten Kriegersleuten und der Heimat! Man versteht ihren Unwillen über das, was sich in der Heimat ereignet, die sie jämmerlich im Stich gelassen hat, während sie trotz ihrer Sehnsucht nach Haus und Herd die eiserne Mauer noch lange zu halten entschlossen waren, um uns vor einem schmählichen Frieden zu bewahren. Es hat nicht sollen sein und wir wollen in dieser ernsten Stunde nicht richten mit denen, die in der Heimat die drückende Bürde nicht länger tragen zu können glaubten.“

Bereits in diesen Zeilen schimmert die Behauptung vom schmählichen Verrat der Heimat an der Front durch, die in den folgenden Jahren als „Dolchstoßlegende“ für die weitere politische Entwicklung in Deutschland überaus verhängnisvoll werden sollte.

Ansatzweise findet sich dieser Gedanke auch im Tagebucheintrag von Waldtraut Schulz vom 17. November 1918. Unter diesem Datum berichtet die junge Dame, dass auch in Wadern Einquartierungen in größerem Umfang in entsprechend großen Häusern vorgenommen wurden. Auch in ihrem Elternhaus waren drei Tage lang zwei Offiziere und sechs Mannschaftsdienstgrade einquartiert, die auch drei Pferde im Stall untergestellt hatten. Hinsichtlich der Haltung der Quartiergäste bemerkt sie: „Die allgemeine treue Gesinnung der Einquartierten erleichtert einen etwas. ‚Vier Jahre halten wir draußen aus und hätten noch Stand gehalten, da gehen sie - unsere Kameraden - hin und machen uns diese Schweinerei‘, so die Soldaten. Auch die Offiziere sind mit Recht entrüstet und gedenken, sich das nicht gefallen zu lassen.“

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