Merzig-Wadern Dem Pastor wurden die Ostereier geklaut

Die Franzosen hatten nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages das Land an der Saar besetzt und waren damit nun auch die neuen Herren in der Merziger Region. Das Jahr 1919 begann und die Menschen sahen sich einer für sie bis vor wenigen Monaten noch unvorstellbaren Umbruchsituation ausgesetzt. In den folgenden Teilen der Serie soll nun das Geschehen, das die Menschen in der Merziger Region vor 100 Jahren in Atem hielt, nachgezeichnet werden.

 Anschlag der französischen Besatzungsmacht vom 3. März 1919 im Hinblick der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.

Anschlag der französischen Besatzungsmacht vom 3. März 1919 im Hinblick der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.

Foto: Saargeschichte im Plakat

Dass es an der Saar, anders als in weiten Teilen des Reiches, so friedlich zuging, war nicht zuletzt der französischen Besatzung zu verdanken, die für Sicherheit und Ordnung sorgte. Dabei gingen die Franzosen mit aller Härte gegen Personen vor, die in ihren Augen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellten, und griffen bei strafbaren Handlungen rigoros durch. In diesem Zusammenhang berichtete die Merziger Zeitung am 12. April 1919 wohl aus der Kreis­stadt folgendes:

„Gestern wurden von der französischen Besatzung einige junge Burschen verhaftet, in deren Wohnung Waffen gefunden wurden. Unter starker Eskorte ging es nach Saarbrücken zur Aburteilung. Es ist als leichtfertig anzusehen, trotz der Androhung schwerer Strafen noch Waffen zu bergen. Selbst wenn die Zurückbehaltung von Gewehren auf Harmlosigkeit beruhen sollte, wie es hier vielleicht der Fall ist, werden die Burschen dennoch nicht an einer Strafe vorbeikommen. Dieser Vorfall möge der Bevölkerung zur Mahnung dienen, eventuell noch vorhandene Waffen jetzt restlos abzuliefern.“

Einen Tag später wurde aus Saarfels gemeldet:

„Fickingen, 12. April. Gestern ist hier nach zwei französischen Offizieren geschossen worden. Da der Täter bisher nicht bekannt ist, wurden vier Geiseln nach Merzig eskortiert. Der leichtsinnige Streich kann das sonst so friedliche Örtchen teuer zu stehen kommen.“

In der gleichen Ausgabe wurde aus Düppenweiler, obwohl sich die Tat dort nicht gegen die Franzosen gerichtet hatte, gemeldet:

„Dienstagnacht wurde im hiesigen Pfarrhaus eingebrochen und vieles gestohlen, so Esswaren und Kleider sowie sämtliche Ostereier, die Herrn Pastor Arimond bereits von seinen Pfarrkindern überbracht worden waren. In der anderen Nacht probierten Diebe vergeblich bei den Geschwistern Schütz einzubrechen, dann beehrten sie die Witwe Kockler mit ihrem Besuch, wurden aber verjagt. Sie ließen ein Fahrrad zurück, das anderen morgens durch den Bruder und einen Freund abgeholt wurde. Polizeidiener Micheli übergab die Burschen seinem Kollegen Henz von Haustadt, der sie der Polizei überführte. – Nach einem Diebstahl im Pfarrhaus zu Hüttersdorf wurden 5 Einbrecher festgenommen.“

Überhaupt lässt sich festhalten, dass auch in der Folgezeit kriminelles Handeln die Menschen immer wieder stark beunruhigte und verunsicherte. In ihrer Ausgabe vom 12. Juli 1919 berichtete die Merziger Zeitung unter der Überschrift „Aus dem Saargau“ folgendes:

„Eine Räuberbande, aus vier Mann bestehend, durchzieht in letzter Zeit unsere Gegend und treibt ihr Schaden bringendes, unsauberes Handwerk. Mit Koffern und Rucksäcken ausgerüstet, stiehlt die Bande überall. Dieser Tage wurde in Dreisbach bei einem Mann eingebrochen, der am Sonntag erst aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist, und noch in einem anderen Hause. Dieselbe Nacht machten die Diebe einen Besuch in Orscholz. Sie stahlen Männer- und Frauenkleider und beluden sich reichlich mit Schinken, Schmalz und Eiern, ja sogar Seife ließ die schmutzige Gesellschaft mitgehen. Im Orscholzer Wald wurde sie gesehen bei der Verteilung der Beute morgens um vier Uhr. Auch am Kirchberg in Weiler trieb die Bande am helllichten Tag ihr Unwesen und erntete, wo sie nicht gesät hat. Zu stören traute sich niemand die Diebe, da sie sich entsprechend frech benahmen. Auch in Schwemlingen machten sie bei einem Bauern Besuch und ließen wertvolle Sachen und Lebensmittel mitgehen. Man darf auch annehmen, dass die in letzter Zeit in Besseringen vorgekommenen Diebstähle und Einbrüche auf ihr Konto zu setzen sind. Dort wurde ein Fass mit 150 Liter Viez gestohlen, Stoffe im Wert von über 1000 Mk. (Mark, Anm. des Verfassers), einem Wirt ein Krug Schnaps, einem Bauern der Schinken aus dem Schornstein. In Büdingen wurde heute Nacht einem Bauern sein bestes Pferd aus dem Stall gestohlen, nachdem das Scheunentor mittels einer Axt zertrümmert worden war. Vor drei Tagen war, ebenfalls nachts, der scharfe Hund desselben Besitzers abhandengekommen, wohl die Vorbereitung zum Pferdediebstahl. – Also sehr unsicher ist unsere Gegend geworden und es dürfte an der Zeit sein, dass unsere Behörden energisch eingreifen, damit die alte Sicherheit wieder einkehrt und man wieder ruhig schlafen kann.“

Am 23. August meldete das Blatt aus Beckingen:

„In der Nacht vom Freitag zum Samstag waren Diebe hier an der Arbeit und machten reiche Beute. So stahlen sie im Konsumgeschäft der Firma Fr. Karcher, C. Roth & Cie. 2 Zentner Speck, 2 Zentner Zucker und 100 Liter Speiseöl. Den Raub führten sie auf einem im Hof stehenden Handwagen fort und ‚vergaßen‘ natürlich auch, den Wagen wieder zurückzubringen. Mit welcher Dreistigkeit die Spitzbuben vorgingen, zeigt sich darin, dass sie die starken Eisendraillen entfernen mussten, was doch gewiss nicht geräuschlos vor sich gehen konnte, um in das Geschäftslokal eindringen zu können. – Im Ortsteil Katterwann wurden einem Einwohner zwei Schweine gestohlen, an Ort und Stelle geschlachtet und, wie Blutspuren ergaben, das Fleisch nach verschiedenen Richtungen verschleppt, d.h., wenn die Spuren absichtlich gemacht wurden, um eine Nachforschung zu erschweren. – Auf einem Nachbargrundstück des zuletzt Bestohlenen wurde die ganze zum Trocknen aufgehängte Wäsche ebenfalls gestohlen. Die Täter in allen drei Fällen konnten bis jetzt noch nicht ermittelt werden.“

Man sieht, dass in den meisten Fällen Lebensmittel das Raubgut darstellte, das die Räuber und Einbrecher nach der Tat erbeuteten und wegschafften.

Die von Frankreich beanspruchte politische Führungsrolle und Machtposition an der Saar hatte auf Überlegungen beruht, die man dort schon bald nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges angestellt hatte. Von französischer Seite war dabei eine Anbindung des Industriereviers an der Saar an Frankreich als eines ihrer Kriegsziele herausgestellt worden. Sogar eine Einverleibung der Saarregion in das französische Staatsgebiet war dabei ins Auge gefasst.

Neben altbekannten historischen Argumenten führte die französische Seite nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe hierfür ins Feld. Die Behauptung, Frankreich benötige zur Verhüttung seines lothringischen Erzes die Saarkohle, bildete dabei das Hauptargument. Dies sei auch der Grund dafür, dass sich die Hauptabsatzmärkte der an der Saar geförderten Kohle in Elsass-Lothringen und in Ostfrankreich befänden. Schon frühzeitig tauchte daneben der Gedanke auf, die Saargruben als Reparation, das heißt Wiedergutmachungsleistung, für die Kriegszerstörungen der französischen Industrie in den von den deutschen Truppen in Frankreich besetzten Gebieten zu fordern.

Im Rahmen der Vorverhandlungen zwischen den Alliierten über den abzuschließenden Friedensvertrag einigten sich amerikanische und britische Sachverständige am 21. Februar 1919 schließlich darauf, die Saargruben zwar in französisches Eigentum zu überführen und das Industrierevier an der Saar „irgendeinem besonderen politischen Regime“ zu unterstellen. Vermieden werden sollte aber, einen erheblichen deutschen Bevölkerungsteil unter französische Verwaltung zu stellen beziehungsweise in den französischen Staatsverband einzugliedern. In den mehrwöchigen Verhandlungen hatte der amerikanische Präsident Wilson weitergehenden französischen Vorstellungen und Ansprüchen wiederholt eine klare Absage erteilt. Vor allem wollte Frankreich für seine Kriegslasten entschädigt werden. Auf seinem Boden hatte ein fürchterlicher Materialkrieg getobt, ganze Landschaften waren verwüstet worden und sollten für die Landwirtschaft noch lange nicht nutzbar sein. Zehntausende Gebäude, Kirchen und Kulturgüter waren zerstört worden.

Schwerer wogen die menschlichen Verluste. Rund 1,3 Millionen meist junge Franzosen hatten ihr Leben in einem brutalen Stellungskrieg verloren, Hunderttausende kehrten schwer versehrt nach Hause zurück. Frankreich forderte Vergeltung für diese Verluste. Schließlich war am 9. April 1919 ein Kompromiss erzielt und das „Statut für das Saarrevier“ entworfen worden, das mit einigen Abänderungen dann in der Folge Teil des „Versailler Vertrages“ werden sollte.

Danach war vorgesehen, dass Deutschland als Ersatz für die Zerstörungen der Kohlengruben in Nordfrankreich und als Anzahlung auf die völlige Wiedergutmachung der Kriegsschäden das Eigentum an den Kohlengruben im Saarbecken mit dem ausschließlichen Ausbeutungsrecht an Frankreich abzutreten hätte. Unter Einschluss des Industriereviers wurde ein Gebiet von 1900 Quadratkilometern so abgegrenzt, dass es alle Kohlengruben, die Industriewerke und das Wohngebiet der Industriearbeiter einschloss.

 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg: Die Ermordung der beiden Führer der KPD löste Anfang 1919 blutige Unruhen in weiten Teilen des Reiches aus – allerdings nicht in unserem Kreis.

Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg: Die Ermordung der beiden Führer der KPD löste Anfang 1919 blutige Unruhen in weiten Teilen des Reiches aus – allerdings nicht in unserem Kreis.

Foto: picture alliance

Zum Saargebiet sollten die preußischen Kreise Saarbrücken, Ottweiler und Saarlouis, Teile der Kreise Merzig und St. Wendel, das bayerische Bezirksamt St. Ingbert und Teile der Bezirksämter Homburg und Zweibrücken kommen. Deutschland sollte zugunsten des Völkerbundes auf die Ausübung der Regierungsgewalt in dem so geschaffenen „Saargebiet“ verzichten.

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