Merzig-Wadern Parteien buhlen um Gunst der Wähler

Die Franzosen hatten nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages das Land an der Saar besetzt und waren damit nun auch die neuen Herren in der Merziger Region. Das Jahr 1919 begann und die Menschen sahen sich einer für sie bis vor wenigen Monaten noch unvorstellbaren Umbruchsituation ausgesetzt. In den folgenden Teilen der Serie soll nun das Geschehen, das die Menschen in der Merziger Region vor 100 Jahren in Atem hielt, nachgezeichnet werden.

 Rote-Flut-Wahlplakat der Zentrumspartei 1919.

Rote-Flut-Wahlplakat der Zentrumspartei 1919.

Foto: Deutsches Historisches Museum Berlin

Alles in allem gesehen verlief die Revolution in der Merziger Gegend erstaunlich friedlich. Überhaupt blieb die Saarregion von den Wirren und blutigen Unruhen, die im übrigen Deutschland schon bald einsetzten, verschont. Dass es an der Saar so friedlich zuging, war nicht zuletzt der französischen Besatzung zu verdanken, die für Sicherheit und Ordnung sorgte. Am 24. Januar 1919 wurde der französische General Joseph Louis Marie Andlauer schließlich sogar zum „Gènéral Administrateur superieur  de la Sarre“, das heißt sozusagen zum obersten Verwalter an der Saar, ernannt. Unter seiner Führung wurde von da an eine breit gefächerte Verwaltung aufgebaut, mittels derer die Franzosen gleichzeitig begannen, die Weichen für die von ihnen beanspruchte politische und wirtschaftliche Führungsrolle an der Saar zu stellen.

An dieser Stelle wollen wir noch einmal auf die Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung zu sprechen kommen. Ab der Jahreswende 1918/19 warben in der Saarregion, wie in ganz Deutschland, die verschiedenen politischen Strömungen um Stimmen für die Wahl, die auf den 19. Januar 1919 terminiert worden war. Die Tatsache, dass das „Saarbecken“ zu diesem Zeitpunkt formal und juristisch gesehen immer noch Teil des Deutschen Reiches war, hatte zur Folge, dass an diesem Tag auch die Bewohner der Saarregion wahlberechtigt waren. Im Wahlkreis 21 – Koblenz-Trier-Birkenfeld – waren Wahlbewerber aus der weiteren Region für entsprechende Abgeordnetenmandate aufgestellt worden, wobei sich unter diesen allerdings keine Bewerber aus dem Kreis Merzig befanden. In einer Vielzahl von Versammlungen hatten damals die Parteien versucht, die Menschen von der Richtigkeit ihrer Argumente zu überzeugen. In der Folge soll anhand von damals in den Zeitungen erschienener Berichte aufgezeigt werden, was im Vorfeld der Wahlen an Themen in den Wahlversammlungen erörtert wurde.

An dieser Stelle muss man festhalten, dass bereits vor dem Krieg die dem Katholizismus nahestehende Zentrumspartei in der Merziger Region die mit Abstand stärkste politische Kraft dargestellt hatte. Bei der letzten Reichstagswahl am 12. Januar 1912 hatte der Kandidat des Zentrums im Wahlkreis Saarburg-Merzig-Saarlouis rund 86 Prozent der Stimmen erhalten. Für den Kandidaten der Nationalliberalen hatten damals 8,8 Prozent und für den der Sozialdemokraten nur 3,7 Prozent gestimmt. An dieser dominierenden Stellung der Zentrumspartei hatte sich auch nach dem Kriegsende und zu Beginn des Jahres 1919 noch nichts geändert. Die Merziger Zeitung druckte am 7. Januar 1919 den folgenden Bericht über eine Wahlveranstaltung der Zentrumspartei, die in Merzig tags zuvor stattgefunden hatte. Darin hieß es:

„Eine zahlreich besuchte Wählerversammlung der Zentrumspartei fand gestern Nachmittag unter Leitung des neuen Vorsitzenden der örtlichen Parteiorganisation, Herrn Seminarlehrer Röder, in der Gambrinushalle statt. (Bei dem Seminarlehrer Röder handelte es sich um den Vater des späteren saarländischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder; d. Verf.) (..) Als Redner stellte die Partei den Herrn Landtagsabgeordneten Ollmert und Herrn Rektor Sehr. Herr Ollmert sprach über die allgemeine Lage unseres Vaterlandes, die Ursachen unseres Zusammenbruches, betonte besonders die Tapferkeit unseres unbesiegten Heeres, die Tüchtigkeit und Opferwilligkeit unseres ganzen Volkes und ließ die vielumstrittene Schuldfrage an dem entsetzlichen Kriege einer späteren objektiven Geschichtsschreibung vorbehalten. Es gelte, die derzeitige sozialdemokratische Regierung mit ihren utopischen Plänen, die für ein geordnetes Staatswesen undurchführbar sind, durch eine solche des Bürgertums zu ersetzen. In begeisterter und begeisternder Art und Weise forderte der Volksredner eindringlich zur Wahl auf, niemand, aber auch niemand dürfe am Wahltag fehlen, damit zum Wohle unseres Volkes und Vaterlandes der Sieg der bürgerlichen Parteien errungen werde, damit das alte Zentrum sich nicht nur behaupte, sondern verstärkt einziehe in die Nationalversammlung. (...) Nachdem er noch einige Fragen schlagfertig zur Zufriedenheit beantwortet hatte, erhielt Herr Rektor Sehr das Wort zu seinen Ausführungen über die von den Sozialdemokraten in Aussicht gestellte, zum Teil schon angeordnete Trennung von Staat und Kirche. Nach der Blütenlese, die dieser Redner aus dem Programm der Herren ‚Sozi‘ herausschälte, stehen unseren Kirchen, sowohl der katholischen, als auch der evangelischen, Dinge bevor, die allein genügen würden, den roten Brüdern den Kampf bis auf’s Messer anzukündigen und durchzuführen. Der Herr Redner beleuchtete in überzeugender Weise die von ihnen in Aussicht gestellte Freiheit auf kulturellem Gebiet in seiner uns hier bekannten und markanten Sprache. Er hat allen aus der Seele gesprochen, und seiner Aufforderung, mit allen Kräften einzustehen für die gefährdete Religion, der Grundlage jeden Staates, wird am Wahltag freudigen und werktätigen Widerhall finden bei allen Besuchern der Versammlung. Gerade dieses Gebiet des sozialdemokratischen Programms war für manchen Besucher der Versammlung noch recht dunkel und ungeklärt, sodass dieses Hineinleuchten aus beredtem Munde, wie hier geschehen, sehr vonnöten war. Manchem auf anderem Gebiete vielleicht Verhetzten werden zur rechten Zeit noch die Augen aufgegangen sein und er wird nicht für, sondern gegen Rot seine Stimme in die Waagschale werfen.“

Neben der Zentrumspartei führte zu dieser Zeit auch die Deutsche Demokratische Partei (DDP) Wahlveranstaltungen durch. Bei dieser erst im November 1918 gegründeten Partei handelte es sich um eine linksliberale bürgerliche Partei, an deren Gründung in Berlin auch Professoren wie Albert Einstein, Max Weber und Hugo Preuß mitgewirkt hatten. Bei Letzterem handelte sich um einen Staatsrechtler, der im Auftrag von Friedrich Ebert die Weimarer Reichsverfassung entworfen hatte. Bei ihrer Gründung strebte die Partei einen föderalen Einheitsstaat an und bekannte sich zum Völkerbund als Institution eines friedlichen Interessensausgleichs zwischen den Staaten. Sozialpolitisch stand die Partei den Reformbestrebungen der Hirsch-Dunker‘schen Gewerkvereine nahe. Ziel dieser Gewerkvereine war eine Sozialreform durch Interessenausgleich und Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die DDP unterstützte in ihjrem Programm zwar das Prinzip der Privatwirtschaft, forderte gleichzeitig jedoch auch staatliche Interventionsmöglichkeiten.

Über eine Wahlveranstaltung dieser Partei, die am 12. Januar 1919 in Merzig stattfand, berichtete die Merziger Zeitung zwei Tage später:

„Diese, auch für Merzig neue, Partei hatte für Sonntagnachmittag ihre erste Heerschau in den ‚Rheinischen Hof‘ einberufen. Die Versammlung war über Erwarten zahlreich besucht. Herr Oberarzt Dr. Ennen eröffnete und leitete sie mit großer Umsicht. Seiner Begrüßungsansprache entnehmen wir, dass es sich hier um eine völlige Neugründung handelt, die bereits im November letzten Jahres in Anregung gebracht, sich nun zur Partei in Merzig ausgewachsen hat, und wenn auch liberale Kreise von früher sich angeschlossen haben, so haben wir hier doch ein völliges Neugebilde vor uns, dass mit keiner Erbschaft von irgendwelcher früheren anderen Partei belastet ist. Die Partei will keine sozialistische, nur eine demokratische Regierung; sie will auch keinen Wahlkampf mit dem Zentrum, sie will das Einigende, nicht das Trennende.“

Aus dem Bericht geht weiter hervor, dass die neu gegründete Partei eine Arbeitsgemeinschaft mit der Demokratischen Volkspartei (DVP) eingegangen war. Zur Deutschen Volkspartei (DVP) hatten sich im Dezember 1918 der von Gustav Stresemann, dem späteren Außenminister, geführte rechte Flügel der ehemaligen Nationalliberalen Partei und ein Teil der früheren Fortschrittlichen Volkspartei zusammengeschlossen. Unter anderem sprach in der Versammlung der DDP in Merzig auch ein Fabrikschreiner Ommert aus Saarbrücken und legte dar, was die neue Partei in ihrem Programm forderte. Eine sehr plakative Forderung lautete dabei: „Frieden, Freiheit, Brot.“ Weiter heißt es im Zeitungsbericht:

„Es habe keinen Wert, zu jammern und weh zu klagen, es wäre Verrat am Vaterlande, die Hände tatenlos in den Schoß zu legen, nein es gelte vielmehr ein neues Haus aufzubauen, ein neues Reich. (…) Jede Volksklasse solle sich in dem neuen Haus wohlfühlen. An erster Stelle erstrebe die Partei eine Verbesserung der Volksschule. Diese solle nicht mehr wie bisher die Schule der armen Leute sein, sondern eine Bildungsstätte für Arm und Reich. Es müssten ihr noch 2 bis 3 Klassen angefügt werden, Begabten die Weiterbildung aus Staatsmitteln ermöglicht, freie Bahn den Tüchtigen geschaffen werden. (…) Auf dem Gebiet der Sozialpolitik müsse weitergearbeitet werden. Deutschland stehe zwar hier an der Spitze aller Staaten, hätte aber noch besseres leisten können. Statt der Arbeitslosen-Fürsorge müsse eine Arbeitslosen-Versicherung geschaffen werden. Den Kriegsverletzten müssten Rechte geschaffen werden, deutsches Herz und deutscher Stolz müssten es ablehnen, denen, die über 4 Jahre gelitten und geblutet haben fürs Vaterland, nur ein Almosen zu geben. Arbeit und Brot müsse geschaffen werden durch Urbarmachung der noch vorhandenen großen Flächen Ödländereien. Die Sozialisierung der wirklichen Demokratie verlange gerechte Verteilung der großen Güter, deren Überlassung und Aufteilung an unsere Invaliden und Bauernsöhne zu ganzen Siedlungen und Ortschaften, die Verstaatlichung unserer Bodenschätze, wie Kohlen, Erz, Kali usw.; desgleichen von Eisenbahn und Post, Elektrizität und Versicherungswesen, aber nicht unter der Leitung eines gut besoldeten Beamtenklüngels, sondern nur unter einer tüchtigen Beamtenwirtschaft. In scharfen Ausführungen wandte sich der Redner gegen die Sozialdemokratie, gegen die Berliner Wirtschaft, den Wasserkopf Berlin, gegen den Terror von unten, wie wir ihn früher von oben erduldeten.“

Zu den Rednern gehörte auch eine Oberlehrerin Zenker aus Saarbrücken, „deren inhaltsreiche Worte insbesondere den zahlreichen Frauen und Jungfrauen, die der Versammlung beiwohnten, galten“. Weiter hieß es:

„Sie streifte die neue Pflicht der Frauen, wies hin auf die jetzt seitens der Sozialdemokratie erhobene Forderung auf grenzenlosen Genuss und ihre völlige Verneinung allen Pflichtgefühls. Auch für die Frauen gelte die Forderung ‚freie Bahn für die Tüchtigen‘. Die Rednerin besprach auch die vielumstrittene Frage der Trennung von Kirche und Staat und zeigte, dass bei ihrer Verwirklichung vielleicht für das wahre religiöse Leben nur dann Heil erblühen könne, wenn der Staat seine Verpflichtungen gegenüber den Kirchen erfüllen werde.“

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