Merzig-Wadern Kriegsgefangene kehren nach Hause zurück

Die Franzosen hatten nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages das Land an der Saar besetzt und waren damit nun auch die neuen Herren in der Merziger Region. Das Jahr 1919 begann und die Menschen sahen sich einer für sie bis vor wenigen Monaten noch unvorstellbaren Umbruchsituation ausgesetzt. In den folgenden Teilen der Serie soll nun das Geschehen, das die Menschen in der Merziger Region vor 100 Jahren in Atem hielt, nachgezeichnet werden.

 Die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich erfolgte erst nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages 1920.

Die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich erfolgte erst nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages 1920.

Foto: Deutsches Historisches Museum Berlin

Im Sommer 1919 tauchten Gerüchte auf, der Teil des Kreises Merzig, der dem neuen „Saargebiet“ zugeschlagen werde, würde im Kreis Saarlouis aufgehen. Vor allem in der Stadt Merzig zeigte man sich mit einer solchen Lösung keineswegs einverstanden, wie aus dem Bericht der Merziger Zeitung vom 16. August 1919 deutlich hervorgeht:

„Die Stadt Merzig hat die Grenzen des Saarstaates 5 km vor ihren Toren. Die politische Trennung von ihrem seit langer Zeit zugehörigen Hinterlande wird für die Stadt schwere wirtschaftliche Schäden im Gefolge haben. Es ist bekannt geworden, dass Bestrebungen am Werk sind, den Kreis Merzig aufzulösen und dem Kreis Saarlouis anzugliedern. Die Durchführung dieses Planes würde die Lebensfähigkeit der Stadt vollends untergraben, weil dadurch der gesamte Verkehr der kreiseingesessenen Bevölkerung nach Saarlouis abgelenkt würde. Der völlige Zusammenbruch einer ganzen Anzahl blühender kaufmännischer Geschäfte und sonstiger Handelsunternehmungen, die fast ausschließlich auf die Landbevölkerung angewiesen sind, wäre unausbleiblich. Aber auch im Verkehr mit den Kreisbehörden würden erhebliche Erschwerungen eintreten, unter denen Handel und Industrie, die gesamte Bürgerschaft und namentlich die Arbeiterschaft schwer zu leiden haben würde. Man würde in der Angliederung an Saarlouis eine durch nichts gerechtfertigte Vergewaltigung der gesamten Bevölkerung des Kreises, insbesondere der Stadt Merzig, zugunsten der Stadt Saarlouis sehen. Die tiefe Erregung, welche in der Bevölkerung entstanden ist, macht es der Stadtverordnetenversammlung, wenn sie nicht mitverantwortlich für die Folgen sein will, zur Pflicht, in der schärfsten Weise gegen die Auflösung des Kreises Merzig und die Angliederung an den Kreis Saarlouis Einspruch zu erheben.“

Es hat den Anschein, als ob die Wogen in Merzig angesichts dieser Planungen sehr hoch gingen in jenen Tagen. Am 21. August 1919 schrieb die Merziger Zeitung unter der Überschrift „In letzter Stunde“ nämlich folgendes:

„Das Schicksal, das der Stadt und dem Kreise Merzig bereitet werden soll, wenn die Bestrebungen, deren Ausgänge wohl auf interessierte Kreise in Saarlouis zurückgeführt werden können, Tatsache werden, beschäftigt zurzeit alle Gemüter. Der Friedensvertrag riss den Kreis in zwei Teile, nahm der Stadt ihr Hinterland, nun soll auch noch der über 100 Jahre alte Kreis verschwinden. Die Absicht besteht, ihn gänzlich aufzulösen und ihn, soweit sein Teil dem Saarstaate zufällt, dem ohnedies schon übergroßen Kreis Saarlouis einzuverleiben. Die Sache scheint nach allem, was hier bekannt geworden, schon weit gediehen zu sein. Da heißt es, in letzter Stunde entschieden Einspruch zu erheben gegen eine Maßregel, die verhängnisvoll für den Restkreis sowohl als auch besonders für die Stadt Merzig sein würde. Merzig wird zum kleinen Landstädtchen herabsinken, ohne Selbständigkeit, seine Einwohner würden gezwungen sein, stets nach der Kreishauptstadt Saarlouis zu wandern, wenn sie mit den Behörden irgend zu tun haben und wer hätte dies nicht im Laufe des Jahres? Die Arbeiter würden jedes Mal eine Schicht versäumen müssen, die Geschäftsleute würden empfindlich geschädigt werden, denn auch das geschäftliche Leben würde ohne weiteres damit weggezogen werden, Merzig wird zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sein und viele Existenzen würden gefährdet, ja zugrunde gerichtet werden. Muss dies sein? Nein! Es liegt hierzu absolut keine Veranlassung vor, wenn man die egoistischen Pläne der Stadt Saarlouis ausschaltet. Will man den Kreis Merzig nicht durch Angliederung von Teilen des übergroßen Kreises Saarlouis verstärken, dann lasse man die vier Bürgermeistereien einen eigenen Kreis bilden, er wird stark genug sein, wie die Feststellungen des Herrn Bürgermeisters Dr. Berns, in der letzten Stadtratssitzung erwiesen haben, sich selbst zu erhalten. Man sagt, die in Betracht kommenden Gemeinden des Kreises Saarlouis hätten sich in einer Abstimmung bereits gegen die Angliederung an Merzig ausgesprochen. Wir wissen, dass der größte Teil der Bevölkerung dieser Gemeinden von jeher mehr Verbindung nach Merzig hatte, als nach Saarlouis, einen Anschluss deshalb nur warm begrüßen würde und dass die Abstimmung zweifellos kein reines Bild der eigentlichen Gesinnung dieser Bewohner ergeben hat. Nennen wir nur die Gemeinden Fremersdorf, Gerlfangen, Oberesch und Biringen. Und wenn auch, warum billigt man dem Kreise Merzig nicht auch das Selbstbestimmungsrecht zu, weshalb werden Beschlüsse gefasst ohne Befragen der Einwohner? Sind wir hier Bürger 2. Klasse? Wir wollen dies nicht annehmen und haben das Vertrauen zu dem Verwalter des Saargebietes, Herrn General Andlauer, dass auch uns unser Recht wird, dass wir nicht ungefragt einfach hingewiesen werden, wohin wir niemals wollen. Was dem einen recht, ist dem anderen billig. Wir können auch nicht verstehen, wie der Herr Vorsitzende des Vereins für Handel und Gewerbe berichtete, dass die Handelskammer zu Trier sich nicht für die Angelegenheit interessiere; es ist unverständlich, dass wir dort schon bereits als ‚Ausland‘ betrachtet werden, dass man dort für unsere Nöte kein Verständnis hat, wo unsere Geschäftswelt dasselbe an erster Stelle erwarten dürfte. Auch für unsere Industrie muss die Angelegenheit von Bedeutung sein und da hoffen wir, dass auch die Firma Villeroy & Boch in Merzig und Mettlach ein entsprechendes Wort für unsere Sache in die Waagschale wirft.“

Anfang September 1919 hatte eine Abordnung der Stadt Merzig Gelegenheit, beim obersten Verwalter des Saargebiets, dem französischen General Andlauer, vorzusprechen und ihre Bedenken, hinsichtlich der Folgen, die die Angliederung des Kreises Merzig an den Kreis Saarlouis mit sich bringen würde, vorzutragen. In der Merziger Zeitung vom 5. September 1919 wurde daneben angekündigt, dass die Stadtverwaltung Merzig in den nächsten Tagen eine entsprechende Eingabe an den Völkerbund einreichen werde.

Es hat den Anschein, als ob den Bemühungen der Stadt Merzig Erfolg beschieden war und die vorgebrachten Argumente in die Beratungen der Friedensverhandlungen mit einflossen. Zwar wurde aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages das Saargebiet vom deutschen Reich abgetrennt. Ein Anschluss des Kreises Merzig an den Kreis Saarlouis erfolgte jedoch nicht.

Trotz der unsicheren politischen Situation und den Schwierigkeiten, denen sich die Menschen vor allem hinsichtlich ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation ausgesetzt sahen und worüber in der Folge noch zu berichten sein wird, gab es durchaus auch positive Erfahrungen für die Bevölkerung der Saargegend.

Nach dem Eintreten des Waffenstillstandes hatten sich nicht zuletzt die deutschen Kriegsgefangenen Hoffnungen gemacht, schon bald aus der Gefangenschaft entlassen zu werden. Doch wurden diese Hoffnungen auf eine schnelle Heimkehr zunächst enttäuscht. Die französische Regierung wertete den wirtschaftlichen Beitrag der deutschen Kriegsgefangen so hoch, dass Marschall Foch nach Abschluss des Waffenstillstandes darauf bestand, die rund 350 000 Deutschen möglichst lange nicht zu repatriieren, sondern sie zum Wiederaufbau der zerstörten nordfranzösischen Landstriche einzusetzen. Dort mussten sie – unter Anfeindungen der Zivilbevölkerung – Trümmer beseitigten und Gebäude errichten.

Für die Masse der deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich sollte die Hoffnung auf eine baldige Freilassung nicht so schnell in Erfüllung gehen. Erst nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages im Januar 1920 erfolgte die Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen aus Frankreich, während Großbritannien und die Vereinigten Staaten ihre Gefangenen sogar schon im Herbst 1919 entlassen sollten. Noch länger zog sich dann aufgrund äußerer Umstände sogar die Repatriierung der letzten Kontingente russischer Gefangener nach Sowjetrussland sowie der letzten deutschen und österreichischen Gefangenen aus Russland in die Heimat hin. Erst im Juli 1922 waren diese mit Hilfe des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz durchgeführten Aktionen abgeschlossen.

Die deutschen Soldaten aus der Saarregion dagegen, die in französische Gefangenschaft geraten waren, hatten gegenüber denjenigen aus den übrigen Gebieten des Deutschen Reiches allerdings besonderes Glück: Sie wurden schon bis zum Sommer 1919 in die Heimat entlassen. Der Grund hierfür ist in dem Bemühen Frankreichs, die politische Führungsrolle an der Saar zu beanspruchen und gleichzeitig seinen wirtschaftlichen Einfluss zu verstärken, zu sehen. Die Merziger Zeitung berichtete am 2. Juli 1919:

„Gestern traf in Saarbrücken wieder ein Gefangenentransport aus Frankreich ein. Unter dem Jubel der bereits stundenlang auf dem Bahnhof Harrenden lief der mit frischem Grün geschmückte Bahnzug ein. Derselbe hat 1215 Gefangene in die Heimat zurückgebracht. Acht Offiziere und 1207 Mann. Die Gefangenen, 187 Mann aus Saarbrücken, verließen den Zug; vom Roten Kreuz liebevoll verpflegt, bezogen sie Nachtquartier. Die Feldgrauen aus dem übrigen Saartal setzten ihre Reise fort, um in ihren Heimatort zu gelangen. Auch in Merzig verließ ein Gefangener den Zug, L. Hein aus Besseringen, welchem wir ein frohes Willkommen zurufen. Möchten bald auch den wenigen noch Fehlenden aus dem Kreise Merzig die frohe Heimkehr beschieden sein! – Unser Auge umflort sich und man möchte weinen bei dem Gedanken an diejenigen Helden, die nie mehr wiederkehren in die Arme ihrer armen Lieben! In fremder Erde, fern von der lieben Heimat, ruhen sie aus von ihren Schmerzen und Todeskämpfen – sie starben den Heldentod für ihr geliebtes Vaterland. Das ist die schmerzliche Kehrseite bei der frohen Wiederkehr unserer Gefangenen!“

Drei Tage später notierte dasselbe Blatt dann:

„Trotzdem bereits mehrere Transporte von Kriegsgefangenen aus Frankreich eintrafen, harrt der Kreis Merzig noch immer auf die Ankunft eines großen Teils seiner Lieben. Täglich durcheilen Gerüchte unsere Stadt, welche das Eintreffen unserer Gefangenen ankündigen, man zieht in Scharen zum Bahnhof und kehrt enttäuscht traurigen Herzens zurück. Es war wieder einmal umsonst, trotzdem bleibt für uns, als Bewohner des Saarbeckens, die frohe Hoffnung, dass wir unsere lieben Angehörigen bald wiedersehen, da wie bekannt die Saargefangenen besondere Vergünstigungen genießen. Bis jetzt ist von dem Eintreffen eines erneuten Gefangenentransportes nichts bekannt.“

Am 7. Juli 1919 konnte die Merziger Zeitung schließlich vermelden:

„Gott sei Dank, nun sind sie endlich zurückgekehrt, die noch fehlenden Kriegsgefangenen des Kreises Merzig, welche schon seit einer Woche täglich mit Sehnsucht erwartet wurden! Das Eintreffen des Zuges war für 10.17 Uhr Samstagabend zuerst gemeldet, doch traf der Transport erst 12.30 Uhr nachts hier ein, freudig begrüßt von einer großen Menschenmenge, welche trotz der späten Stunde sich angesammelt hatte. Über Toul–Nancy–Metz-Saarbrücken-Brebach kommend, wurden sie auf letzterem Bahnhof von vielen Tausenden mit Jubel begrüßt. Der Transport bestand aus 1200 Mannschaften und 48 Offizieren. Von ersten verblieben 920 im Kreise Saarbrücken, die übrigen dampften nach Merzig ab. Den Offizieren hatten Damen der Gesellschaft unter Überreichung von duftenden Blumen einen kleinen Imbiss hergerichtet im Waisenasyl. Dort wurden auch die Herren einquartiert. Im Laufe des Vormittags fand dann im Beisein des Bezirkskommandeurs unter Erledigung einiger Formalitäten die Entlassung statt. – Zurück zu unseren Gefangenen. Die 180 Mann wurden zu der festlich geschmückten Halle des Güterbahnhofs unter Fackelschein französischer Soldaten geleitet, wo denselben ein kräftiges Essen mit je einer Flasche Rotwein auf Kosten der französischen Militärverwaltung geboten wurde. Herr Bürgermeister Dr. Pint hieß die Gefangenen im Namen der Herren Bürgermeister des Kreises herzlich willkommen. Man habe den gefangenen Landsleuten ein warmes Gedenken bewahrt und sie mit Sehnsucht in der Heimat erwartet. Sie hätten nicht nur die Gefahren und Strapazen des Krieges getragen, sondern auch das köstlichste Gut des Menschen, die Freiheit, Monate und Jahre entbehren müssen. Als Entgelt für das Ausgestandene möge den Heimgekehrten eine sonnige Zukunft beschieden sein. Nach einiger Zeit wohl gegönnter Ruhe heiße dann aber die Parole: ‚Arbeit!‘, um die Trümmer des Vaterlandes wieder aufzubauen. Die sehr warme Ansprache, die wir wegen Raummangels nur in kleinem Auszug veröffentlichen können, endete in einem kräftigen Hoch auf die anwesenden Kriegsgefangenen. Nach oberflächlicher ärztlicher Visitation wurden den Mannschaften die Pässe ausgehändigt, woraufhin die Entlassung erfolgte. Draußen empfing die dicht gedrängte Menge die lieben Angehörigen und ergreifende Szenen des Wiedersehens spielten sich ab.“

Einen Tag später schob die Merziger Zeitung noch folgendes nach:

„Zu unserem gestrigen Referat über das Eintreffen der Gefangenen bemerken wir ergänzend, dass mit dem Zug, die letzten Gefangenen des Saarlandes, die sich in französischen Händen befanden, eintrafen. Es fehlen noch die in englischer und amerikanischer Gefangenschaft befindlichen Leute des Saargebietes, die, soweit wir unterrichtet sind, in Kürze ebenfalls folgen werden. Die Gefangenen des übrigen Deutschlands folgen bekanntlich erst später nach.“

Schließlich meldete die Merziger Zeitung am 19. Juli 1919:

„Auf die Kriegsgefangenen von Beckingen und aus dem Haustadter Tal hat der würdige Empfang einen tiefen Eindruck gemacht; das Herz war nach so langer Trennung schwer und Freudentränen standen den Leuten in den Augen. Liebe Angehörige und sonstige Bewohner hatten aber auch viele Sorgfalt auf die Ausschmückung der Ortschaften gelegt. Die Gefangenen sprechen an dieser Stelle ihren herzinnigsten Dank aus für all das Liebevolle und Schöne, womit man sie erfreute, - auch für die vielen Liebesgaben der Freunde, der Firma Karcher, C. Roth & Comp. und mehr, während der Gefangenschaft.“

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