Serie: Als das Geld fast nichts mehr wert war – Teil 5 Von Lebensmittelknappheit und Hamsterern

Die Gegenwart und die frühen 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben in währungs- und finanzpolitischer Hinsicht einiges gemeinsam. Denn damals wie heute kam es zu einer Entwertung des Geldes. Die SZ blickt auf die Hyperinflation der 1920er-Jahre und geht der Frage nach: Wiederholt sich die Geschichte?

 Das Foto zeigt das Ausmaß der Zerstörungen in der nordfranzösischen Stadt Cambrai, einem strategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunkt, nach dem deutschen Rückzug.

Das Foto zeigt das Ausmaß der Zerstörungen in der nordfranzösischen Stadt Cambrai, einem strategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunkt, nach dem deutschen Rückzug.

Foto: Privatarchiv Volkmar Schommer

Der Saargegend hatten die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges neben der in immer stärkerem Maße voranschreitenden Teuerung noch zusätzliche und sehr einschneidende Veränderungen gebracht. Die Bewältigung des Übergangs von der Kriegswirtschaft zu normalem Wirtschaften gestaltete sich deshalb nicht zuletzt aus den vorstehend aufgeführten Gründen überaus schwierig. Die am Rhein gelegenen großen Städte Mainz, Koblenz und Köln waren von alliierten Truppen besetzt. Auf dem rechten Rheinufer war eine neutrale Zone in einer Tiefe von zehn Kilometern gebildet worden. Für die Saargegend kam deshalb noch erschwerend hinzu, dass eine Sperre beziehungsweise Einschränkung des Warenaustausches mit Elsass-Lothringen und den rechtsrheinischen Reichsgebieten durch die Alliierten die Wirtschaft und nicht zuletzt die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln stark behinderten.

Am 8. Januar 1919 meldete die Merziger Zeitung in diesem Zusammenhang beispielsweise Folgendes: „Infolge der Erschwerung der Zufuhren aus den rechtsrheinischen Gebieten ist die Fettversorgung der linksrheinischen Bevölkerung sehr gefährdet. Es müssen daher zunächst die Margarinezulagen für Schwer- und Schwerstarbeiter bis auf weiteres in Wegfall kommen, da andernfalls die allgemeine Versorgung noch eine weitere wesentliche Einschränkung erfahren müsste oder ganz in Frage gestellt würde.“

Die Versorgungslage dürfte sich für die Bevölkerung auf dem Land, wo die Menschen in aller Regel noch eine Nebenerwerbslandwirtschaft betrieben, etwas einfacher als beispielsweise in der Stadt Merzig oder den übrigen Städten des Saargebietes dargestellt haben. In der Stadt Merzig selbst war dagegen die Lebensmittelausgabe in den ersten Monaten nach dem Kriegsende behördlicherseits durch die Ausgabe von Lebensmittelkarten reglementiert. Die Merziger Zeitung informierte am 17. Januar 1919 ihre Leser: „Samstag, den 18. Januar, von Vormittag 9 bis 11.30 Uhr findet in den Ausgabestellen straßenweise wie bisher die Ausgabe der Brot-, Butter- und Fleischkarten statt. Ferner wird für das nächste halbe Jahr pro Haushaltung eine Süßstoffkarte ausgegeben.“

Das Landratsamt sandte am 24. Februar 1919 folgende Mitteilung an die Zeitung: „In diesen Tagen wird an die Schwerarbeiter Gefrierfleisch, das von der französischen Armee geliefert wird, zur Ausgabe gelangen; weitere Belieferungen für die Allgemeinheit sind in Aussicht gestellt. Es handelt sich, wie wir hören, um eine prima Qualität gefrorenen fetten Rind- und Ochsenfleisches. Die Behandlung des Fleisches ist in völlig aufgetautem Zustand dieselbe wie bei Frischfleisch. Nur ist ein längeres Aufbewahren namentlich bei mildem Wetter ausgeschlossen. Eingesalzen und in Essig lässt es sich einige Tage aufbewahren. Da die Qualität die letzthin hier zum Verkauf gelangten Fleischsorten bei weitem übertrifft, kann man den höheren Preis gerne in Kauf nehmen.“

Das Blatt führte dann noch weiter aus: „Zwei Waggons Gefrierfleisch sind am Samstag angekommen und auch Reis; Malzkaffee wird folgen. Das Gefrierfleisch besteht aus schweren Ochsenvierteln, die sehr fett sind. Wir verweisen aber auf die vorstehende landrätliche Notiz, wonach es sich in aufgetautem Zustand nicht lange hält. Wir glauben, dass sich das saftige, appetitliche Ochsenfleisch angesichts der bekannten Fleischknappheit überhaupt nicht lange hält, vielmehr bald aufgegessen sein wird. Die Bevölkerung ist für die Zuweisung des Fleisches recht dankbar. Es erhält nicht nur der Schwer- und Schwerstarbeiter im Kreis von dem Gefrierfleisch, sondern auch die Allgemeinheit – allerdings nur gegen Karten, aber etwas mehr als die gewöhnliche Ration.“

Am 8. März 1919 merkte die Merziger Zeitung schließlich noch etwas an, was den gesundheitsbewussten Zeitgenossen heutzutage vielleicht doch etwas merkwürdig anmutet, wenn es da heißt: „Das Gefrierfleisch, welches wir zurzeit anstelle frischen Fleisches erhalten, ist zart, schmackhaft und – nicht zu vergessen – sehr fettreich. Das ist aber gerade, was uns fehlt: Fett und immer wieder Fett! Durch Mangel an Fett sind viele von uns – besonders die Frauenwelt – sehr mager geworden. Doch schlank soll modern und schön sein. Aber man sieht Gestalten – das ist nicht mehr schön! Auffallenderweise stolzieren aber immer noch Männer einher mit einem ‚en bon point‘. Das Bäuchlein kommt aber nicht vom Gefrierfleisch allein!“ Der Ausdruck „être en bon point“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „gut beieinander sein“.

Die Versorgung mit Lebensmitteln und hier insbesondere mit Fett und Speck wurde von vielen Menschen als äußerst wichtig empfunden. Da die Versorgung nicht reibungslos funktionierte, kam es damals wohl immer auch zu Engpässen.

Daneben gab es allerdings auch eine ganze Reihe von Menschen, die sich als Hamsterer betätigten und von ihnen wie auch immer organisierte Lebensmittel in größere, zum Teil sogar weit entfernte Städte brachten, um sie dort zu noch höheren Preisen auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Immer wieder versuchten deshalb sowohl die zuständigen deutschen Behörden als auch die Besatzungstruppen, dem entgegenzuwirken. Es kam zu Kontrollaktionen wie der folgenden, von der die Merziger Zeitung am 28. März 1919 berichtete: „Gestern Nacht wurden seitens unserer bewaffneten Macht auf dem Bahnhof Wadern Hamsterern und Schiebern von auswärts circa drei Zentner Speck und Palmin beschlagnahmt. Da auf den übrigen Strecken strenge Kontrolle herrscht, haben die Dunkelmänner die Route über Wadern gewählt, um unbeirrt ihr unsauberes Handwerk zu betreiben. Es wurde ihnen aber klar gemacht, dass sie sich gewaltig geirrt haben, wenn sie glauben, hier wäre ‚Die Bahn frei den Kühnen!‘. Tag und Nacht sind die Jünger der Heiligen Hermandad – es handelt sich um ein damals noch gebräuchliches Synonym für die Polizei – auf den Beinen, um den Hamsterern und Schiebern das Handwerk zu legen.“

Auch auf dem Merziger Bahnhof gingen die französischen Besatzungsbehörden gegen Schiebereien vor und griffen rigoros durch, wie die Merziger Zeitung am 12. April 1919 meldete: „Merzig, 8. April. Vom Schicksal ereilt wurde in Merzig etwa ein Dutzend Völklinger und Wehrdener Schieberinnen, die mit Lebensmitteln und so weiter auf dem Weg nach Köln am Rhein waren. Sie wurden von der Gruppenkommandantur solange festgehalten, bis nach Rückfrage bei der Völklinger Polizeiverwaltung die angegebenen Personalien als richtig festgestellt waren. Die bei ihnen vorgefundenen Waren wurden eingezogen. Die Schleichhändler sehen einer harten Bestrafung entgegen.“

Über diesen Vorfall berichtete auch der Dillinger Anzeiger in der Ausgabe vom 15. April 1919: „Merzig, 9. April. Eine auswärtige Schiebergesellschaft, aus allen Ständen zusammengesetzt, wurde am Montag in einem D-Zug verhaftet und ihre Lebensmittel beschlagnahmt. Das war ein Anblick, der befriedigte, als die Gesellschaft vom Bahnhof eskortiert wurde und den hoch beladenen Handkarren selbst ziehen beziehungsweise drücken oder sagen wir besser ‚schieben‘ musste.

An der Deichsel zogen verschämt zwei ‚feine Damen‘ zum allgemeinen Gaudium der zahlreich folgenden Jugend – das war so deren Futter! Viele riefen scherzend: ‚En Güterzuuch ohne Lokomotiv!‘ und dergleichen mehr. Der Schieberzug landete am Rathaus, wo die Sachen abgeladen wurden und die Herrschaften dem gestrengen Stadtkommandanten zur Aburteilung vorgeführt wurden. – Auch heute früh 6 Uhr wurde wieder eine größere Anzahl Schieber im Zug abgefangen und zur Stadtkommandantur geführt.“

Der Bevölkerung kamen diese Aktionen der Behörden dabei letztlich sogar zugute, wie die Merziger Zeitung am 14. April 1919 meldete: „Die Besatzung hat den hiesigen Kriegsbeschädigten, Angehörigen von Gefallenen und Gefangenen letzten Samstag eine große Freude bereitet. Die städtische Verwaltung setzte eine Liste auf, nach welcher, je nach der Zahl der Familienangehörigen, Fett, Schmalz und Speck gratis ausgehändigt wurde. Familien von acht bis zehn Köpfen erhielten beispielsweise fast einen halben Zentner Fett. Die langentbehrte Himmelsgabe haben die Empfänger den Hamsterern und Schiebern zu verdanken. Hoffentlich wurde bei Aufstellung der Liste niemand der Empfangsberechtigten vergessen, sodass kein berechtigtes Ärgernis entstanden ist. Hoffentlich ist aber niemand so undelikat, einen Teil des wertvollen Fettes für Geld weiter zu veräußern, wenn auch gegen kleinere Darreichungen an bedürftige Verwandte nichts einzuwenden wäre. In einigen Tagen gelangt Stärke und Seife zur Ausgabe.“

Aus den vorstehenden Berichten wird deutlich, dass die gegebene Lebensmittelknappheit und die spürbare Verteuerung anderer Güter und Waren, worauf noch zu sprechen zu kommen sein wird, den Menschen zunehmend zu schaffen machte. In diesem Zusammenhang ließ die französische Besatzungsbehörde am 4. März 1919 den Menschen in der Region über die Presse den nachfolgenden Hinweis zukommen. Darin setzte sie die Sorgen und Nöte der hiesigen Bevölkerung allerdings in Relation zu den von den Deutschen in Frankreich angerichteten Kriegsschäden und sprach in gewissem Sinne gleichzeitig eine Warnung aus: „Die Arbeiterbevölkerung des Saargebietes, die sich über die bestehende Teuerung beklagt, gibt sich nicht genügend Rechenschaft darüber, dass ihre schwierige Lage in gar keinem Verhältnis zu dem steht, was früher und auch jetzt noch die Bewohner der verwüsteten Gegenden in Nordfrankreich zu erleiden haben. Niemand ist imstande die Trümmerhaufen zu schildern, welche die wüste und geschickte Zerstörung der deutschen Armee geschaffen hat. Sie war wild, weil sie einer größeren Anzahl Berg- und Hüttenarbeiter, als das Saargebiet sie aufweist, das tägliche Brot genommen hat. Sie war geschickt, weil man sich der gänzlichen Vernichtung einer Industrie gegenübersieht, zu deren Wiederherstellung eine Arbeit von Jahrzehnten erforderlich ist. Die Bevölkerung des Saargebietes muss also wissen, dass die französischen Behörden, die an die Stelle der in der Erfüllung ihrer Verpflichtungen versagenden deutschen Zivilbehörden getreten sind und sogar auf Kosten der oben genannten französischen Bezirke die Verproviantierung übernommen haben, die deutsche Arbeiterschaft an der Saar gewissermaßen bevorzugten. Unter diesen Umständen sind die französischen Behörden berechtigt, in der Zukunft von den Arbeitern an der Saar eine Tätigkeit zu erwarten, die den französischen Anstrengungen entspricht, eine Tätigkeit, ohne die keine neue Verbesserung, sei es der Lebensmittel, sei es der Löhne, möglich ist. Sollte das Wohlwollen, das die französischen Behörden bis jetzt bewiesen haben, wider Erwarten verkannt oder sollten Versuche, die Ordnung zu stören, stattfinden, so wäre nicht nur keinerlei Hilfe in der Beschaffung von Lebensmittel, sondern auch keinerlei Entgegenkommen mehr seitens der französischen Verwaltung zu erwarten.“

Wenn man sich die hier abgebildeten Zerstörungen der deutschen Truppen in Nordfrankreich ansieht, wird man unweigerlich auch an die in den ukrainischen Städten angerichteten Kriegsschäden infolge des Beschusses durch Artillerie und Raketen der russischen Heeresverbände beziehungsweise der erfolgten Luftangriffe russischer Kampfflugzeuge erinnert.

Diese Aufnahme zeigt die Trümmer der Ortschaft Beaumont-Hamel im Kampfgebiet der Schlacht an der Somme, der verheerendsten Schlacht im Ersten Weltkrieg.

Diese Aufnahme zeigt die Trümmer der Ortschaft Beaumont-Hamel im Kampfgebiet der Schlacht an der Somme, der verheerendsten Schlacht im Ersten Weltkrieg.

Foto: Privatarchiv Volkmar Schommer
In den 20er-Jahren wurde in Folge des Ersten Weltkrieges nicht nur alles teurer. Lebensmittel waren ein knappes Gut. Aus diesem Grund mussten sie rationiert werden. In Merzig gab es dazu etwa Lebensmittelkarten.

In den 20er-Jahren wurde in Folge des Ersten Weltkrieges nicht nur alles teurer. Lebensmittel waren ein knappes Gut. Aus diesem Grund mussten sie rationiert werden. In Merzig gab es dazu etwa Lebensmittelkarten.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Alle Teile der Serie „Als das Geld fast nichts mehr wert war“ gibt es zum Nachlesen auch im Internet unter folgender Adresse:
www.saarbruecker-zeitung.de/inflation

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