Merzig-Wadern Arbeiter und Soldaten verbünden sich

Vor wenigen Tagen waren es genau 100 Jahre her, dass durch den Waffenstillstand im Wald von Compiègne am 11. November 1918 nach viereinhalb langen Jahren endlich die Waffen schwiegen und der Erste Weltkrieg zu Ende ging. In dieser Artikelserie soll nachgezeichnet werden, wie die Menschen in der Merziger Region das Kriegsende 1918 mit seinen dramatischen Umbrüchen erlebten.

 Ein historischer Moment in der deutschen Geschichte: Philipp Scheidemann ruft am 9. November 1918 vom Balkon des Reichstagsgebäudes in Berlin die Republik aus.

Ein historischer Moment in der deutschen Geschichte: Philipp Scheidemann ruft am 9. November 1918 vom Balkon des Reichstagsgebäudes in Berlin die Republik aus.

Foto: SV-Bilderdienst

Tags darauf versuchte die bis zu diesem Zeitpunkt immer noch kaisertreue Merziger Zeitung, ihre Leser davon zu überzeugen, dass es angesichts der harten Kämpfe an der Westfront unbedingt erforderlich sei, auch weiterhin dem Kaiser die Treue zu halten. In einem Artikel an diesem Tag hieß es:

„Schweres Geschützfeuer verkündet uns, dass drüben an der Westfront grauenhafte Kämpfe auf Leben und Tod, Sein und Nichtsein ausgefochten werden. Der Feind will uns mit seiner mehrfachen Übermacht auf die Knie zwingen, damit er uns den beabsichtigten Gewaltfrieden diktieren kann. Es soll ihm aber nicht gelingen! Die Miesmacher und Kleinmütigen haben schon alles verloren gegeben. Ja, die Miesmacher haben viel auf dem Gewissen – sie können ihre Handlungsweise nie verantworten. Sie hätten mit ihrem lahmen Geschwätz beinahe die Front ruiniert. Aber an der zähen, heldenmütigen Verteidigung unseres tapferen Heeres ersehen wir mit Genugtuung, dass unsere Helden nicht ablassen, Heimat und Familie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Immer noch heißt die Parole: Für Kaiser und Reich! So zerschellt auch die neueste Aktion der Sozialdemokratie gegen unseren heißgeliebten Kaiser gewiss in Scherben. Wie könnten wir auch ohne unseren Kaiser sein! Die treuen Anhänger des Hohenzollernschen Kaiserhauses können einen solchen Gedanken gar nicht fassen! Nur Verräter des Vaterlandes sind hierzu imstande. Wenn nur ein Funken von Dankbarkeit und natürlichem Empfinden in diesen durch Partei-Egoismus verblendeten und verhärteten blindwütigen Sozialdemokratenhirnen lebte, so müssten sie ein solches Ansinnen weit von sich weisen, denn gerade um die kleinen Leute und deren Zukunft geht es. Dankt der Kaiser ab, dann bricht der feste Anker, der jetzt die deutschen Stämme bindet und vereinigt, dann stürzt der stolze Bau, den vor uns so viele deutsche Geschlechter ersehnten und den wir zu schauen so glücklich waren, zusammen. Dann zerbricht aber auch die wirtschaftliche Macht, die hohe Stufe der landwirtschaftlichen und gewerblichen, der industriellen Stände und die Ausfuhrindustrie, kurz alles, was imstande war, den Arbeitern ständig hohe Löhne zu zahlen und zugleich die Kosten der sozialen Gesetzgebung zu tragen. Und erst politisch! Was würde aus all den idealen Zielen, die wir als ruhig und verständig, national und königstreu denkenden Deutschen erstreben? Wenn es den Sozialdemokraten gelänge, den Kaiser zur Abdankung zu drängen, dann dauerte es nur eine kurze Spanne Zeit bis andere extreme fanatische Forderungen auf der Bildfläche erschienen, z.B. in erster Linie ‚Trennung von Kirche und Staat!‘, ‚Religion ist Privatsache!‘ usw. Stehen wir also nach wie vor in alter Liebe und Treue zu unserem erhabenen Kaiser und opfern wir unseren letzten Blutstropfen für ihn!“

Die Meuterei in der Hochseeflotte hatte von der Küste schnell auf die großen Städte des Binnenlandes übergegriffen. Bereits am 7. November wurde in München die Republik ausgerufen. An diesem Tag drohten im Reich die Vertreter der SPD aus der Regierung auszuscheiden, wenn der Kaiser nicht bis zum Abschluss eines Waffenstillstandes zurückgetreten sei. Wilhelm II. hatte sich zwischenzeitlich in das Hauptquartier nach Spa begeben, da er sich in Berlin nicht mehr sicher fühlen konnte.

In Berlin rang derweil der Vorstand der Mehrheitssozialdemokraten mit den zum großen Teil dem linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokraten angehörenden revolutionären Obleuten der Betriebe um die Führung der in Bewegung geratenen Arbeitermassen. Am 9. November kam es zu spontanen Streikaktionen. Mit den streikenden Arbeitern verbündete sich das Militär. Die sozialdemokratischen Minister traten daraufhin aus der Regierung aus.

Am Vormittag hatte Reichskanzler Max von Baden bereits versucht, den Kaiser telefonisch zum Rücktritt zu bewegen. Aus dem Hauptquartier von Spa kam jedoch keine klare Entscheidung. Wilhelm II. hatte daran gedacht, an der Spitze von zuverlässigen Truppen nach Berlin zu marschieren, um die Lage dort wieder in den Griff zu bekommen. Da eine solche Aktion jedoch den Bürgerkrieg bedeutet hätte, lehnten Hindenburg und General Groener dies ab. Eine größere Zahl von Truppenführern, die ins Hauptquartier einbestellt worden waren, gab auf Befragen zu verstehen, dass die Truppe nicht bereit sei, gegen die Heimat zu marschieren.

Hindenburg gab dem Kaiser daraufhin den Rat, abzudanken und nach Holland ins Exil zu gehen. Um die Massen zu beschwichtigen, die immer drängender die Abdankung des Kaisers forderten, ließ Prinz Max von Baden eine Erklärung veröffentlichen. Sie besagte, der Kaiser habe sich entschlossen, dem Thron zu entsagen.

Am Nachmittag rief daraufhin Philipp Scheidemann, der Fraktionsführer der SPD im Reichstag, vom Balkon des Reichstages die Republik aus. Die Regierungsgeschäfte wurden Friedrich Ebert, dem Vorsitzenden der SPD, übertragen, der den „Rat der Volksbeauftragten“ bildete. Wilhelm II. begab sich daraufhin in der Nacht ins holländische Exil.

Bevor wir auf den Waffenstillstandsvertrag vom 11. November 1918 im Wald von Compiègne, der den Ersten Weltkrieg faktisch beendete, näher eingehen, soll nachfolgend noch auf die unmittelbare politische Entwicklung, die die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann und die damit einhergehenden revolutionären Umtriebe hier in unserer Region mit sich brachten, eingegangen werden.

Die Nachrichten vom Thronverzicht des Kaisers und von der Ausrufung der Republik verbreiteten sich rasend schnell in ganz Deutschland. Überall im Reich bildeten sich noch am selben Tag Arbeiter- und Soldatenräte, die für sich die Macht beanspruchten. In der Saarregion war dies nicht anders als im übrigen Deutschland und so bildete sich an diesem 9. November 1918 auch in Saarbrücken, der größten Stadt der Region, ebenfalls ein Arbeiter- und Soldatenrat. Er setzte sich aus Vertretern der beiden sozialdemokratischen Parteien, der freien Gewerkschaften und der verschiedenen Truppenteile zusammen. Der Saarbrücker Rat verstand sich selbst als übergeordnete Instanz der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich an diesem und den folgenden Tagen in anderen Städten und Orten der Saarregion gleichfalls bildeten.

Am 12. November richtete der Saarbrücker Arbeiter- und Soldatenrat folgenden Appell an die Arbeiterschaft des Saargebietes: „An allen Orten und Bürgermeistereien sind tunlichst sofort Unterabteilungen des Arbeiter- und Soldatenrates zu bilden. Die Gemeindebehörden sind aufzufordern, sich dem Arbeiter- und Soldatenrat zu unterstellen. Für Ruhe und Ordnung ist überall zu sorgen. Jede Unterabteilung hat dafür zu sorgen, dass sie stets mit dem Arbeiter- und Soldatenrat Saarbrücken in Verbindung bleibt.“

Auch in Merzig bildete sich bereits am 9. November 1918 ein Soldatenrat, der sich aus Angehörigen des während des Krieges in der Stadt Merzig stationierten Ersatzbataillons des Saarlouiser Infanterie-Regiments 30 zusammensetzte. Die Wahl des Merziger Soldatenrates war von Hauptmann Werntze in seiner Eigenschaft als Kommandeur des Bataillons und zugleich Standortältester von Merzig vorsorglich betrieben und initiiert worden. Werntze ließ sich dabei wahrscheinlich von dem Gedanken leiten, unter allen Umständen zu verhindern, dass radikale Kräfte in dem neugeschaffenen Gremium die Oberhand erlangten.

Dies geht aus einem Bericht des Landrates vom 10. November 1918 an den ihm vorgesetzten Regierungspräsidenten von Trier hervor, in dem der Landrat die Vorgänge in Merzig tags zuvor beschreibt und mitteilt:

„Im Laufe des gestrigen Vormittags war bekannt geworden, dass auch hier in Merzig die Einrichtung eines Soldatenrates geplant sei. Dies sollte gelegentlich einer für den späten Nachmittag in Aussicht genommenen größeren Versammlung geschehen. Auch sollten Marinesoldaten gegen Mittag erwartet werden. Um das Verhalten der hiesigen Behörden und des Garnisonskommandos gegenüber den zu erwartenden Ereignissen zu bestimmen, hat gegen 12 Uhr eine Besprechung zwischen dem Bürgermeister, dem Kommandeur der Garnison und mir stattgefunden. Angesichts der mittlerweile bekannt gewordenen Vorgänge in anderen benachbarten Städten, die zum Teil als sehr ernst verlaufend hier geschildert wurden, wurde es für richtig gehalten, den Ereignissen zuvorzukommen und sogleich durch die Feldwebel jeder Kompanie mitteilen zu lassen, dass jede Kompanie 4-5 Delegierte wählen sollte, die zwecks Besprechung ihrer Wünsche nachmittags 3 Uhr von dem Kommandeur der Garnison empfangen werden sollten. An der Besprechung um 3 Uhr sollten auch verabredungsgemäß der Stadtbürgermeister und ich teilnehmen. Auch war zur Vermeidung von Unruhen, die von außen, ähnlich wie in anderen Städten hätten hereingetragen werden können, von dem Garnisonskommando eine Abordnung bestehend aus 2 Unteroffizieren und zwei Soldaten an die in den Mittagsstunden ankommenden Züge geschickt worden, um etwa ankommende Marinesoldaten in Empfang zu nehmen. Es sollten dann die Marinesoldaten verständigt werden, dass man hier bereits im Begriffe sei, die Wahlen zu Soldatendelegierten vorzunehmen und dass um 3 Uhr eine Besprechung beim Garnisonskommando mit diesen Delegierten angesetzt sei. Hierzu sollten dann die Marinesoldaten zugezogen werden. Auf dem Bahnhof blieb jedoch alles ruhig. Marinesoldaten erschienen nicht.“

Weiter meldete der Landrat nach Trier:

„Inzwischen war auf den Straßen alles ruhig geblieben. Nur vereinzelt sah man Soldaten, die ihre Achselstücke entfernten. Gegen 3 Uhr erschienen sodann, begleitet von einer Schar von Jugendlichen und Neugierigen, etwa 20 delegierte Soldaten beim Garnisonskommando. Sie alle waren mit einer roten Armbinde versehen. In einleitenden Worten erklärte der Führer des Bataillons, Hauptmann Werntze, dass die große eingesetzte Bewegung auch hier in Merzig nicht aufzuhalten sei und dass aus diesem Grunde er Abordnungen der Soldaten zu sich gebeten habe, um mit ihnen über ihre Wünsche zu sprechen und weiter, sie zu bitten, unter allen Umständen Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Als Sprecher trat sodann aus der Mitte der Soldaten der Gewerkschaftssekretär Schmitt, ehemaliger Bergmann und zuletzt Sekretär des Verbandes der Bergarbeiter im Ruhrgebiet auf und führte aus, dass auch in Merzig entsprechend den Vorgängen im ganzen übrigen Reiche sich ein Soldatenrat gebildet habe, der ihn als Führer gewählt und folgende Forderungen aufgestellt habe: 1. Übernahme der Kommandogewalt durch den Soldatenrat, 2. Sofortige Freilassung der Militärarrestanten, nicht der Zivilgefangenen, 3. Unterordnung sämtlicher Offiziere unter die Anordnungen des Soldatenrates. Zur Anerkennung dieses, Tragen einer roten Armbinde. Im Übrigen sollten die Offiziere unbehelligt bleiben, insbesondere wolle man ihnen nicht die Achselstücke und Kokarde nehmen. 4. Ablegung der Waffen durch sämtliche Mannschaften und auch durch die Offiziere. 5. Sofortige Schließung des Offizierskasinos. 6. Sofortige verstärkte Sicherheitspolizei durch den Soldatenrat, der sich hierbei in den städtischen Polizeidienst einreihen wollte. Es sollte unter allen Umständen Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten bleiben, persönliche Sicherheit des Privateigentums rückhaltlos garantiert werden. Bei Einbruch der Dunkelheit sollten die Kinder von der Straße entfernt werden, jegliche Ansammlung auf den Straßen sollte vermieden werden. ... 7. Alle Behörden im Orte sollten ungestört weiter arbeiten, da man in deren Tätigkeit weder eingreifen könne, auch nicht wolle. Insbesondere gelte dies von der Lebensmittelversorgung, die unter allen Umständen ungestört ihren Fortgang nehmen müsse. 8. Das Bataillon sollte sich verpflichten, gar nichts gegen den Soldatenrat und gegen die Weiterentwicklung der Dinge zu unternehmen. Ein Mitglied des Soldatenrates soll ständig im Geschäftszimmer des Garnisonskommandos anwesend sein. Die sämtlichen Forderungen wurden angenommen. Um 1/2 5 Uhr fand nunmehr eine große Versammlung aller hier anwesenden Soldaten im Kaisergarten statt, in der der Soldatenrat noch formell gebildet wurde und im Übrigen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung dringend gemahnt wurde. Anschließend hieran fand unter Vorantritt des Soldatenrates mit der gesamten Militärkapelle ein großer Umzug aller Soldaten durch die Straßen von Merzig statt, auch wurden die Militärarrestanten aus dem Gefängnis befreit, die Zivilgefangenen jedoch dort belassen. Zu irgendwelchen Ausschreitungen ist es bei dem Umzuge nicht gekommen. Der Zug endete vor dem Rathause; von der Freitreppe hielt der Vorsitzende des Soldatenrates eine Ansprache an die Bevölkerung, mahnte sie zu unbedingter Ruhe und Ordnung und endete in einem Hoch auf die Zukunft Deutschlands.“

Zu seinem Sprecher wählte der Soldatenrat den im Bataillon dienenden Essener Bergarbeitersekretär August Schmidt, was bereits im Bericht des Landrates erwähnt worden ist. Zum 2. Vorsitzenden wurde ein Bataillonsangehöriger namens Vieden, zum 3. Vorsitzenden und Schriftführer ein Soldat namens Kulozik bestimmt.

Es hat aufgrund der vorhandenen Quellen den Anschein, als ob der diszipliniert auftretende Merziger Soldatenrat eine beruhigende Wirkung auf die weitere Entwicklung in der Stadt ausgeübt hat. Die Merziger Zeitung jedenfalls berichtete am 11. November 1918 unter der Überschrift „Die Umsturzbewegung in Deutschland“:

„Seit Samstagmittag ist auch in Merzig die öffentliche Gewalt in die Hände des neugebildeten Soldatenrates übergegangen. Die Bewegung vollzog sich bis jetzt in geordneten Bahnen und wird es hoffentlich auch so bleiben. Samstagabend veranstalteten die Soldaten einen Umzug mit Musik durch die Straßen der Stadt, der nach einer Rede, die dem Volk die neuen Errungenschaften zeigten, endete. Gestern, Sonntag, gelangte in den Kirchen eine Mahnung des Herrn Bürgermeisters Dr. Berns an die Bürgerschaft zur Verlesung, die daneben auch angeschlagen wurde. Ruhig zu bleiben, den Anordnungen der Behörde und des Soldatenrates Folge zu leisten, wurde darin zur Pflicht gemacht.“

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