Merzig-Wadern Durchhalteparolen bis zum bitteren Ende

Vor wenigen Tagen waren es genau 100 Jahre her, dass durch den Waffenstillstand im Wald von Compiègne am 11. November 1918 nach viereinhalb langen Jahren endlich die Waffen schwiegen und der Erste Weltkrieg zu Ende ging. In dieser Artikelserie soll nachgezeichnet werden, wie die Menschen in der Merziger Region das Kriegsende 1918 mit seinen dramatischen Umbrüchen erlebten.

 Mit der Frühjahrsoffensive 1918 wollten die Deutschen doch noch den Sieg an der Westfront erringen.

Mit der Frühjahrsoffensive 1918 wollten die Deutschen doch noch den Sieg an der Westfront erringen.

Foto: Ullstein Bild

Auf militärischem Gebiet hatte sich die Lage für die deutschen Armeen, nachdem Lenins Bolschewiki am 7. November 1917 – nach dem julianischen Kalender, der ja heute noch in Russland gilt, war das der 25. Oktober – die Macht in St. Petersburg, ergriffen hatten, deutlich verbessert. Die Bolschewisten etablierten eine Räteregierung und propagierten die Diktatur des Proletariats und die Weltrevolution.

Am 3. Dezember 1917 hatten die Bolschewiki dann auch noch angekündigt, sich aus dem Krieg zurückzuziehen, und Friedensverhandlungen mit den Mittelmächten, d.h. dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Österreich-Ungarn aufgenommen. Delegationen beider Seiten trafen sich in der russischen Festung Brest-Litowsk, um die Bedingungen auszuhandeln. Leo Trotzki, der Organisator des Aufstands und seit Anfang Januar Delegationsleiter der Bolschewiki, spielte geschickt auf Zeit. Die Bolschewisten rechneten fest damit, dass in nächster Zeit Arbeiteraufstände in allen Krieg führenden Ländern ausbrechen würden. Angesichts allzu harscher deutscher Forderungen unterbrach Trotzki allerdings die Gespräche und verkündete, nun herrsche „weder Krieg noch Frieden“.

Die konsternierten Deutschen ließen daraufhin ihre Streitkräfte im Osten weiter vorrücken. So drangen im Februar 1918 deutsche und österreichische Verbände in die Ukraine ein. Im März nahmen sie Kiew und setzten eine Regierung ein, die mit den Mittelmächten zu kooperieren und eine Million Tonnen Getreide zu liefern hatte. Um die Revolution zu retten, drängte Lenin die Bolschewiki zu neuen Verhandlungen. Am 3. März 1918 wurde daraufhin in Brest-Litowsk schließlich doch ein Friedensvertrag unterzeichnet. Bald darauf waren die deutschen Besatzungstruppen allerdings mit Aufständen und Partisanenunruhen auf dem Lande beschäftigt. Dies hatte wiederum zur Folge, dass die Oberste Heeresleitung dort eine Million Soldaten zurückhalten musste, die in den Frühlingsoffensiven 1918 im Westen dann allerdings letztendlich fehlten.

Etwa 1,4 Millionen Soldaten hatte die deutsche Oberste Heeresleitung seit Januar 1918 für ihre sogenannte Frühjahrsoffensive in der Picardie im Norden Frankreichs konzentriert. Es war die größte Truppenkonzentration im Ersten Weltkrieg überhaupt. Mehr als drei Millionen zivile Arbeiter aus Deutschland, kriegsgefangene Russen und zwangsverpflichtete Belgier wurden zusätzlich für Schanz- und Schachtarbeiten in den Stellungen eingesetzt. Die Deutschen setzten mit diesem Angriff buchstäblich alles auf eine Karte.

Wenige Stunden vor dem eigentlichen Angriff am 21. März 1918 begann die deutsche Artillerie mit fast 7000 Geschützen einen massiven Beschuss der feindlichen Stellungen. Dieser groß angelegte „Feuerschlag“ sollte den Gegner in Deckung zwingen. Als dann die Infanterie zum Angriff vorstieß, unterstützte sie die Artillerie mit kleineren „Feuerwalzen“, um die Bodentruppen möglichst weit an die gegnerischen Stellungen heranzubringen, ohne dass sie ins feindliche Feuer liefen.

Der Erfolg war zunächst überwältigend. Bereits nach wenigen Tagen rückten die deutschen Divisionen etwa 70 Kilometer vor, bis in die Gegend von Amiens. Der Jubel über die enormen Geländegewinne war natürlich groß. Der entscheidende Durchbruch konnte jedoch nicht erreicht werden.

An der Heimatfront wurde der Vorstoß mit Emotionen aufgenommen, die an den Beginn des Krieges mit der irrigen Vorahnung eines baldigen Sieges erinnern. Gleichzeitg wurde aber auch an die Bevölkerung appelliert, durch die Zeichnung von Kriegsanleihen zur Verkürzung des Krieges beizutragen. Die Merziger Volkszeitung meldete am 25. März 1918:

„Die Siegesnachrichten aus dem Westen werden immer überwältigender. Der gestrige Tagesbericht wurde eifrig gelesen und besprochen. Ganze Scharen strömten zu unserer Depeschentafel, um den Bericht über den gewaltigen Sieg über die Engländer zu lesen. Ganz unfassbar war für viele die Nachricht: Paris aus 120 Kilometern Entfernung beschossen. Und doch wird dieses Wunder deutscher Waffentechnik von französischer und jetzt auch von deutscher Seite amtlich bestätigt. Möge Gott der Herr auch weiterhin unseren Waffen und unserer gerechten Sache den Sieg verleihen. Die Siegesnachrichten sind auch eine Mahnung für die Daheimgebliebenen. Unsere Soldaten opfern ihr Leben für die Sache und die Zukunft unseres Vaterlandes. Die Daheimgebliebenen sollen dem Vaterlande nur ihr Geld leihen, ohne Gefahr und für gute Zinsen. Darum zeichne jeder Kriegsanleihe, soweit es in seinen Kräften steht. Er hilft damit unseren Soldaten, verkürzt den Krieg und rettet somit vielen unserer tapferen Kämpfer das Leben. Unsere Parole muss lauten: Auf, zur Zeichnung der Kriegsanleihe!“

Als die deutschen Truppen dann allerdings unter zunehmenden Druck gerieten, endete diese Euphorie ebenso rasch wieder. Die schnell vorstoßenden und deshalb auch rasch erschöpften Sturmtruppen konnten nur unzureichend durch frische Truppen ersetzt werden, vor allem nicht durch kampfkräftige Einheiten, die den Vorstoß entsprechend hätten weiterführen können.

Am 18. Juli begannen dann die Alliierten unter dem Oberbefehl des französischen Marschalls Foch schließlich ihre Gegenoffensiven zwischen der Marne und der Aisne. Am 8. August gelang den Alliierten ein schwerer Einbruch durch Tanks, wie die ersten Panzer noch genannt wurden, in die deutschen Stellungen. Die deutschen Verbände erlitten dabei riesige Verluste.

An diesem 8. August 1918 herrschte schlechte Sicht in Nordostfrankreich. Der Grund war: Nebel. Genau an diesem Morgen kam es östlich von Amiens dann zum entscheidenden Einbruch der feindlichen Truppen in die Linien des deutschen Heeres an der Westfront. Denn wegen der schlechten Sicht konnten die Kanoniere des Kaisers die langsam auf ihre Linien zu kriechenden Tanks der Briten zwar hören, aber nicht ausmachen – und daher nicht gezielt abschießen.

Ohnehin waren die deutschen Truppen von der Offensive an sich vollkommen überrascht; sie hatten erstaunlicherweise mit einem größeren Angriff ihrer Gegner nicht gerechnet. Die britischen Panzer rollten über die tief gestaffelten Stellungen des kaiserlichen Heeres hinweg; die Soldaten in ihren Gräben konnten nichts dagegen tun. Viele der ohnehin erschöpften und frustrierten Männer ließen sich widerstandslos gefangen nehmen. Wozu noch kämpfen, wenn der Feind ohnehin drückend überlegen war?

Für den 8. August 1918 meldeten die vorstoßenden Briten die Gefangennahme von 17 000 deutschen Soldaten, noch einmal fast so viele waren gestorben oder mussten verwundet und kampfunfähig zurückgezogen werden. Neben den enormen Verlusten strategisch noch wichtiger war der psychologische Schlag, den die aus Kaiser Wilhelm II., dem formellen Oberbefehlshaber Paul v. Hindenburg und Ludendorff bestehende Reichsleitung erlitt.

Mehr als die Niederlage am 8. August 1918 bei Amiens selbst beunruhigte allerdings das Nachlassen des Kampfeswillens den deutschen Generalstab. Erich Ludendorff, Erster Generalquartiermeister und faktisch zu dieser Zeit Militärdiktator Deutschlands, war berichtet worden, dass viele Truppen an der Front nicht mehr kämpfen wollten und dass neue eintreffende Einheiten aus der Heimat als „Streikbrecher“ beschimpft würden.

Die Propaganda in den Zeitungen in der Heimat versuchte dagegen, den Erfolg der Alliierten herunterzuspielen. Die Merziger Zeitung schrieb am 15. August 1918:

 Mit Hindenburgs Konterfei wurde auf Plakaten für die Kriegsanleihe geworben. Foto: privat

Mit Hindenburgs Konterfei wurde auf Plakaten für die Kriegsanleihe geworben. Foto: privat

Foto: Volkmar Schommer
 Englische Panzer rollen während des Ersten Weltkriegs durch eine zerstörte Ortschaft.

Englische Panzer rollen während des Ersten Weltkriegs durch eine zerstörte Ortschaft.

Foto: dpa
 Deutsche Soldaten ziehen am „Schwarzen Tag der deutschen Armee“ in die Kriegsgefangenschaft.

Deutsche Soldaten ziehen am „Schwarzen Tag der deutschen Armee“ in die Kriegsgefangenschaft.

Foto: Reclam-Verlag

„Würdig und stark, voll Zuversicht und Vertrauen sollen und müssen wir uns in diesen Tagen zeigen, wo Schwarzseher und Flaumacher wieder am Nörgeln und Kritisieren der Vorgänge an der Westfront sind. Zu trüben Zukunftsaussichten liegt keine Veranlassung vor. Was ist denn geschehen? Unsere Heerführer sprechen es offen aus: Foch ist diesmal ein Gegenzug auf dem Schlachtfeld des Krieges gelungen. Aber kann denn dem Gegner nicht auch einmal eine Offensive gelingen; wir haben doch so viele gelungene Angriffe von uns einfach als etwas Selbstverständliches hingenommen. Dann aber haben die schwer geprüften Franzosen und die hart bedrängten Engländer niemals den Mut verloren. Im Gegenteil, die vielen Misserfolge suchten sie durch die Zuversicht zu überwinden, dass wir eines Tages verzagen würden. Gerade das ist es, worauf unsere Gegner warten, worauf sie hoffen und bauen. Gewiss dürfen wir bedauern, dass unsere Verluste an Gefangenen und Geschützen nicht haben verhütet werden können. Aber dass unsere am Morgen überraschten Truppen am Abend bereits schon wieder gleich Löwen kämpfen und des Feindes Pläne zerschlagen, das muss uns davon überzeugen, dass diese Truppen das Geschehene schon wieder bald wettmachen werden. Auch unsere großen Heerführer leben noch. Und da sollen wir uns im Hinterland, die wir dank der Ausdauer und der Tapferkeit unseres Heeres bis heute vor den Schrecken der Schlachten und den Drangsalen einer feindlichen Besatzung verschont blieben, beunruhigen? Zeigen wir uns doch unserer Brüder an der Front ebenbürtig und lassen das Klagen, Wispern und Tuscheln. Der Sieg wird uns dann gewiss. Vielleicht ist er näher, als wir glauben.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort