Serie „Kriegsende im Kreis Merzig-Wadern“ Das Kreisgebiet wird aufgespalten

Die Franzosen hatten nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages das Land an der Saar nach dem Ersten Weltkrieg besetzt und waren damit nun auch die neuen Herren in der Merziger Region. Das Jahr 1919 begann und die Menschen sahen sich einer für sie bis vor wenigen Monaten noch unvorstellbaren Umbruchsituation ausgesetzt.

 Das aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages vom Deutschen Reich abgetrennte Saargebiet (grün-weiß schraffiert) wurde mit Wirkung vom 10. Januar 1920 unter Mandat des Völkerbundes gestellt.

Das aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages vom Deutschen Reich abgetrennte Saargebiet (grün-weiß schraffiert) wurde mit Wirkung vom 10. Januar 1920 unter Mandat des Völkerbundes gestellt.

Foto: Staatskanzlei Saarbrücken

Im Mai 1919 begannen die offiziellen Friedensverhandlungen in Versailles. Im Verlauf der Verhandlungen zeichnete sich dabei mehr und mehr ab, dass der Bestand des Kreises Merzig in der Form, wie er damals schon seit 1816 gegeben war, bedeutsame Änderungen erfahren würde. Bereits am 5. Juni 1919 notierte die Merziger Zeitung:

„Durch die Abtrennung des Saarbeckens, wird unser Kreis wohl eine Verschiebung mehrerer Bürgermeistereien oder Ortschaften erleiden müssen. Man spricht davon, dass die Bürgermeistereien Losheim, Weiskirchen und Wadern zu dem neu zu gründenden Kreis Hermeskeil kommen werden, der zum Teil aus Gemeinden des großen Landkreises Trier bestehen wird. Für die verlorenen obigen Bürgermeistereien soll der Kreis Merzig durch Bürgermeistereien des Kreises Saarlouis entschädigt werden, der fast die doppelte Einwohnerzahl enthält. Dieses sind aber nur Kombinationen, es kann auch noch anders werden. Am besten wäre es, wenn der Kreis Merzig in seiner jetzigen Weise zusammenbliebe, also entweder ganz oder gar nicht zum Saarbecken käme.“

Wie einem weiteren Bericht in der Merziger Zeitung vom 3. Juli 1919 entnommen werden kann, zeichneten sich zum damaligen Zeitpunkt die künftigen Grenzen des Saargebietes und auch der Zuschnitt des Kreises Merzig schon deutlich ab, wenn darin ausgeführt wird:

„Bekanntlich kommen zu dem neuen Saarstaat auch Teile unseres Kreises Merzig. Es sind dies die Bürgermeistereien Merzig-Stadt, Merzig-Land (außer Bachem), Hilbringen, Haustadt, Mettlach (außer Britten). Die Grenze läuft mit der Gemarkung der Gemeinde Saarhölzbach; Britterhof und der Peterkopf bleiben bei der Rheinprovinz. Die Grenze verläuft dann zwischen Brotdorf und Bachem durch. Die Gemeinden Hargarten und Reimsbach kommen noch zum Saarland. Oppen bleibt ebenfalls altdeutsch.“

Sowohl die Oppener als auch die Rissenthaler schienen von der beschriebenen Grenzziehung und den sie dadurch betreffenden Folgen wenig begeistert gewesen zu sein, wenn man sich den folgenden Artikel der Merziger Zeitung vom 28. Juli 1919 zu Gemüte führt. Darin wird das Saargebiet als „Saarpfalz“ bezeichnet:

„Mit der ‚Saarpfalz‘ würde unser Ort, der etwa 650 Einwohner zählt, von seiner Pfarrei Reimsbach politisch getrennt. Aber nicht nur dieser Umstand, sondern auch der, dass Oppen und auch das benachbarte Rissenthal in wirtschaftlicher Beziehung, Anschluss an das Saarbecken haben müssen, bildeten den Beweggrund, dass hier und in Rissenthal der Anschluss an die ‚Saarpfalz‘ erstrebt wurde. Die meisten Bürger sind Bergleute und auf den Saargruben beschäftigt. Der Rest treibt Ackerbau und kann seine Erzeugnisse nur nach Beckingen zur Bahn bringen, da die Abfuhr nach Nunkirchen oder Losheim wegen der gebirgigen Straßen sehr beschwerlich ist. Es wurden daher vor kurzem zahlreiche Unterschriften der Bürger gesammelt und mit einer Bittschrift um Aufnahme in den Saarstaat dem Herrn General Andlauer in Saarbrücken überreicht, der die Angelegenheit seiner Regierung in Paris unterbreitete. Eine Entscheidung dürfte vor Ablauf von einigen Wochen nicht erfolgen. Möge sie dem Wunsche der Bürgerschaft entsprechend ausfallen.“

Schon wenige Tage zuvor, am 16. Juli 1919, hatte der Merziger Landrat Klein in einem Bericht an den Regierungspräsidenten in Trier die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse im damaligen Kreisgebiet wie folgt beschrieben: „Der ganze Kreis Merzig ist nur von Kleinbauern und Industrie- und Grubenarbeitern bewohnt. Die Arbeiter haben ihre Arbeitsstätten an der Saar. (...) Die Kleinbauern haben auch ihre gesamten Beziehungen und Absatzmöglichkeiten nur zur Saar hin, vielfach auch deshalb schon, weil das eine oder andere Mitglied der Familie gleichzeitig dort als Industriearbeiter tätig ist.“

Insbesondere war den Menschen in den Hochwaldgemeinden der Bürgermeistereien Losheim, Wadern und Weiskirchen zu diesem Zeitpunkt natürlich bewusst, dass die sich damals schon abzeichnende Abtrennung vom Industrierevier an der Saar mit äußerst negativen Folgen für sie verbunden sein würde. Denn der Hochwaldraum war im Hinblick darauf, dass zu diesem Zeitpunkt dort nur wenige Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft zu finden waren, natürlich in besonderem Maß von den Beschäftigungsmöglichkeiten im Saarrevier abhängig.

Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts hier an der Saar die Zeit der Hochindustrialisierung begonnen hatte, war dies mit einer wachsenden Nachfrage nach Arbeitskräften verbunden. Ein großer Teil der Menschen aus dem mittleren und nördlichen Saarland, die Arbeit auf den Gruben beziehungsweise Hüttenwerken gefunden hatten, war daraufhin mit ihren Familien in die Nähe der Gruben- oder Hüttenstandorte gezogen. Dies hatten jedoch bei weitem nicht alle getan. Vielmehr hatten es sehr viele Bergleute und Hüttenarbeiter vorgezogen beziehungsweise waren durch die weite Entfernung ihres Wohnortes von der Arbeitsstätte meist dazu sogar gezwungen, die Woche über nach einer anstrengenden, in aller Regel zwölfstündigen Arbeitsschicht in den Schlafhäusern zu bleiben. Erst am Wochenende kehrten sie zu ihren Familien in die zum Teil weit entfernt gelegenen Heimatorte zurück.

So hatte sich nach und nach ein ausgedehntes Nah- und Fernpendlerwesen entwickelt, bei dem Tausende von Bergleuten und Industriearbeiter stundenlange Fußmärsche und später Eisenbahnfahrten auf sich nahmen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Da ihr Arbeitsverdienst kaum für ein erträgliches Auskommen reichte – 1861 verdiente ein einfacher Bergmann um 150 Taler, eine Arbeiterfamilie brauchte für Wohnen, Essen, Heizen, Kleidung, Hausrat und so weiter etwa 150 bis 200 Taler – mussten die Arbeiter zu Hause in ihren Heimatdörfern daneben noch weiter Landwirtschaft betreiben. Da die Männer gewöhnlich erst am späten Samstagabend in ihre Dörfer heimkehrten, waren auf der anderen Seite Frauen und Kinder gezwungen, die Woche über die landwirtschaftlichen Arbeiten zu verrichten.

Bevor 1897 seinerzeit die Eisenbahnstrecken von Wadern über Primsweiler und Lebach ins Saarrevier beziehungsweise 1903 die Kleinbahn Merzig-Büschfeld fertiggestellt und dem Verkehr übergeben worden waren, war der Weg zur Arbeit vor allem für die Menschen aus dem Hochwald deshalb mit heute kaum vorstellbaren Mühen verbunden. Erst samstags konnten die Männer, was schon gesagt wurde, wieder nach Hause zurückkehren und mussten montags in aller Herrgottsfrühe wieder zu ihren Arbeitsplätzen aufbrechen. „Hartfüßler“ wurden sie deswegen auch genannt. Daneben gab es auch noch die Bezeichnung „Hohwäller Knubbespaller“ für diejenigen, die neben ihrer eigentlichen Arbeit auf den Gruben und Hütten Brennholz für begüterte Familien im Saargebiet an Ort und Stelle spalteten und sich so zu ihrem Lohn noch etwas hinzu verdienten.

Vor allem die Inbetriebnahme der Bahnstrecken in das Saarrevier bedeutete für die Bergleute und Hüttenarbeiter aus dem Hochwald natürlich eine außerordentliche Erleichterung. Als am 10. Dezember 1897 die 35 Kilometer lange Bahnlinie von Wadern über Büschfeld, Limbach, Schmelz, Primsweiler nach Lebach und von dort weiter nach Wemmetsweiler für den Personenverkehr in Betrieb ging, war die Freude deshalb auch riesengroß. Dies zeigte sich vor allem in Lebach, als auf dem Bahnhof dort die erstmalige Ankunft eines mit 2300 Bergleuten besetzten Zuges gefeiert wurde. Der seinerzeit aus diesem Anlass von einer Bergmannsfrau vorgetragene, in der Lebacher Bahnhofschronik festgehaltene lustige Begrüßungsspruch belegt dies auf besondere Weise. Die Bergmannsfrau rief den in Lebach ankommenden Bergleuten nämlich zu: „Grüß Gott, ihr Knappen, awei brauchen ihr nemme se tappen onn leien uus morjens länger off’m Lappen! Glück auf!“

Nach Einführung des Acht-Stunden-Tages konnten dann die Arbeiter aus dem Hochwald vielfach sogar täglich zu ihren Arbeitsstellen im Industrierevier anreisen und nach der Schicht wieder heimfahren. Zuhause konnten sie sich zumindest in den Sommermonaten noch in der im Nebenerwerb betriebenen Landwirtschaft betätigen. Zuvor hatten Frauen und Kinder, wie bereits erwähnt, diese Arbeit allein bewerkstelligen müssen.

An dieser Stelle soll allerdings noch kurz auf die im Jahr 1919 bei den Saargruben beschäftigten Arbeitnehmer eingegangen werden. Die Belegschaft der Saargruben belief sich nach einer Statistik, die am 16. Juli 1919 in der Merziger Zeitung veröffentlicht wurde, zum 1. April 1919 auf insgesamt 55 187 Mann. Davon hatten jedoch lediglich 1647 ihren Wohnsitz im damaligen Kreis Merzig, wobei nicht angegeben war, in welchen Bürgermeistereien die Beschäftigten wohnten. Man weiß also nicht, wie viele davon aus den Bürgermeistereien Losheim, Wadern und Weiskirchen, dem späteren Restkreis, kamen.

Allerdings muss man bedenken, dass daneben jedoch auch eine Vielzahl von Menschen in den Hüttenwerken Arbeit gefunden hatten. Insbesondere nach der Fertigstellung der Eisenbahnstrecke, die von Wadern nach Primsweiler führte und dort nach Dillingen und Lebach abzweigte, boten auch die saarländischen Hütten jede Menge Arbeitsplätze für die Menschen aus dem Hochwaldraum, die zudem über die Kleinbahn, die von Büschfeld nach Merzig führte, auch bei Villeroy & Boch in Merzig oder Mettlach Beschäftigung finden konnten.

 Der Bahnhof Wadern um 1900. Die Erschließung der Eisenbahnstrecken von Wadern über Primsweiler und Lebach ins Saarrevier sowie der Merziger-Büschfelder Eisenbahn bedeutete für viele Menschen im Kreis und insbesondere im Hochwaldraum eine wesentliche Erleichterung, was die Erreichbarkeit ihrer Arbeitsstätten in den Kohlegruben und der Montanindustrie anging.

Der Bahnhof Wadern um 1900. Die Erschließung der Eisenbahnstrecken von Wadern über Primsweiler und Lebach ins Saarrevier sowie der Merziger-Büschfelder Eisenbahn bedeutete für viele Menschen im Kreis und insbesondere im Hochwaldraum eine wesentliche Erleichterung, was die Erreichbarkeit ihrer Arbeitsstätten in den Kohlegruben und der Montanindustrie anging.

Foto: Fotohaus Lohrig Wadern

Den Menschen im Hochwaldraum war deshalb bewusst, dass die enge Beziehung ihrer Region zu den Industriegebieten an der Saar, die zu diesem Zeitpunkt ja schon weit mehr als ein halbes Jahrhundert bestanden hatte, aufgrund der durch den Versailler Vertrag ins Auge gefassten Grenzziehung durchschnitten zu werden drohte.

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