Trau keiner Zahl

Mettlach · Beinahe hätte ein Wahldüsseldorfer einen Entwurf für den Mosaikboden des Kölner Doms gefertigt. Doch am Ende verdankte die Mettlacher Mosaikfabrik den Auftrag, die Steine für den Mosaikboden des Kölner Doms zu liefern, einem Wahlmettlacher.

 Reich verziert: das Boch'sche Gestütsgebäude in Keuchingen. Fotos: Sabine Graf

Reich verziert: das Boch'sche Gestütsgebäude in Keuchingen. Fotos: Sabine Graf

Im Jahr 1856 gründete Eugen von Boch das erste Privatgestüt in der preußischen Rheinprovinz. Ein an der Fassade des ehemaligen Gestütsgebäudes im Park von Schloss Saareck angebrachter Mosaikfries vermeldet, gelegt in roten und goldenen Würfelsteinen: "Erbaut 1856". Gilt das auch für das Mosaik?

Die Streitwagen auf den vier Kassetten des Mosaikfrieses in Keuchingen sprengten 1885 aus Rottweil heran. Das war mehr als zehn Jahre, nachdem die Mettlacher Fabrik künstliche Würfelsteinchen zum Ausbessern des Nenniger Bodens hergestellt hatte. Daraus machte die Fabrik ein dauerhaftes Angebot. Von 1874, vier Jahre vor der Gründung eines Ateliers für Würfelmosaik führte die Fabrik bis ins Jahr 1928 645 entsprechende Aufträge aus, wie eine im Unternehmensarchiv Villeroy & Boch erhaltene Liste vermerkt.

Kopie des Orpheusmosaiks

Dazu gehören unter der laufenden Nummer 86 die Entwürfe von "Orpheus und vier Pferderennen". Ein O. Hölder wird für den Entwurf verantwortlich genannt, als Auftraggeber ein Duttenhofer in Rottweil. Bei den erwähnten Personen handelt es sich um Oskar Hölder (1832-1894), der seit 1868 als Zeichenlehrer in Rottweil tätig war. Als Mitglied des Rottweiler Altertumsvereins führte er zwischen 1884 und 1894 15 archäologische Grabungen in Rottweil durch. 1884 legte er die antike "Villa mit dem Orpheusmosaik" frei. Finanziert wurden sämtliche Grabungen von dem Rottweiler Pulverfabrikanten Max von Duttenhofer (1843-1903). 1884 beauftragte dieser den Stuttgarter Architekten Emil Tafel mit mehreren Anbauten an seinem Wohnhaus.

Für den tempelartigen Anbau war ein Mosaikboden vorgesehen. In dessen Mitte sollte eine Kopie des kurz zuvor gefundenen Orpheusmosaiks liegen. Ursprünglich umgaben die Orpheusfigur Szenen von Wagenrennen. Diese hatten sich jedoch nur in Bruchstücken erhalten.

Hölder improvisierte kurzerhand vier Szenen antiker Wagenrennen mit Streitwagen, Pferdegespannen, Wagenlenkern und einer winkenden Siegesgöttin. Im Verzeichnis der verlegten Würfelsteinmosaike findet sich im Weiteren unter der laufenden Nummer 125 der Eintrag "Vier Pferderennen siehe Nummer 86". Jedoch fehlen weitere Angaben zum Auftraggeber, zum Bestimmungsort oder zum Datum.

Motiv: Wagenrennen

Es ist keine abwegige Spekulation, dass diese vier Abbildungen für den Mosaikfries an der Fassade des Gestütsgebäudes verwendet wurden. Dafür spricht, dass dabei "die römischen Mosaikwürfelchen, für welche er (gemeint war Eugen von Boch, S.G.) schwärmt", zum Einsatz kamen, worauf René von Boch in einem Brief an August von Cohausen vom 9. Januar 1879 hinwies. Der Umstand, dass ein Keramikfabrikant sich für ein in seinem Unternehmen hergestelltes Produkt einsetzt, war nur einer der Gründe.

Denn die in Würfelmosaik gelegten Motive antiker Wagenrennen sprachen zwei weitere Interessen Eugen von Bochs an: Die Pferdezucht, die er mit seinem Gestüt betrieb und die Altertumsforschung, die ihn als Ausgräber und Sammler beschäftigte. Dass er daraus auch einen geschäftlichen Nutzen zog und neue, nachgefragte Produkte, angefangen von den Mosaikplatten bis hin zu antikisierenden Vasenformen entwickelte, zeigt, wie modern und in bestem Sinn kreativ Eugen von Boch als Unternehmer zu seiner Zeit war. Er hatte es verstanden, aus der Vergangenheit die Zukunft zu gewinnen.

Das Verzeichnis vermerkt unter Nummer 127 im Jahr 1888 den Auftrag eines Stiftmosaiks für den Botanischen Garten Flora in Köln. Daher ist es wahrscheinlich, dass der Keuchinger Mosaikfries zwischen 1885 und 1888 eingesetzt wurde.

Auch das Mosaik in der zwischenzeitlich unter anderem als Restaurant genutzten Villa Duttenhofer hat sich erhalten. Mettlach und Rottweil vereinen dieselben Motive. Doch es bestehen auch Unterschiede. Während in Mettlach die Wagenrennen an einer Hausfassade angebracht sind, liegen die Mosaikkassetten in Rottweil auf dem Boden. Auch ist der Hintergrund in Rottweil mit weißen Steinen ausgelegt, während in Mettlach Pferde und Wagenlenker auf mattschwarzem Hintergrund ins Rennen ziehen.Erstmals stellt eine Ausstellung den Mettlacher Keramikfabrikanten Eugen von Boch (1809-1898) als Sammler, Ausgräber und Denkmalschützer vor. Die Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Saarbrücken versammelt Objekte aus der von Eugen von Boch angelegten Keramiksammlung und die von ihm gemachten oder erworbenen Funde bei Grabungen nach den Spuren von Kelten und Römern im Kreis Merzig.

Ein Modell des "Alten Turms" würdigt seine Verdienste als Denkmalschützer.

Als Unternehmer verstand er es, sein Interesse an der Antike erfolgreich zu nutzen. Die Antike war Inspirationsquelle für die Entwicklung von Vasenformen und Dekoren. Nicht zuletzt waren es die antiken Mosaike, die einen Gutteil zur Entwicklung der Mosaiksteine und Mosaikplatten beitrugen, mit denen die Mettlacher Mosaikfabrik weltweiten Erfolg erzielte.

Die Ausstellung präsentiert mehr als 300 Objekte aus der Sammlung Villeroy & Boch, dem Keramikmuseum Mettlach sowie nationaler und internationaler Museen und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken.

Die Ausstellung dauert noch bis zum 11. September. Sie wird im Museum für Vor- und Frühgeschichte, Schlossplatz 16, in Saarbrücken gezeigt.

Die Entdeckung des Mosaikbodens in Nennig im November 1852 war für Eugen von Boch und die Mettlacher Keramikfabrik nicht der Anlass, mit der Produktion von Mosaikböden zu beginnen. Der Impuls ging von Koblenz aus. Das römische Vorbild kam später dazu.

Die Mettlacher Keramikfabrik erreichte am 21. April 1841 ein Brief aus Koblenz. Der Absender war der preußische Bauinspektor Johann Claudius von Lassaulx (1781-1848). Er fragte an, ob man "zierliche Ziegelplättchen" herstellen könnte und schickte Vorlagen gleich mit. Man konnte. Lassaulx orderte mehrere tausend rund fünf Zentimeter große Steine in rot, gelb, braun, weiß und schwarz, wie aus den im Unternehmensarchiv Villeroy & Boch erhaltenen Briefen Lassaulx hervorgeht. Die Steine waren für den Boden der von Lassaulx zwischen 1841 und 1843 restaurierten Matthiaskapelle in Kobern-Gondorf bei Koblenz.

Für die gelieferten "Plättchen von gebrannter Erde" erhielt die Mettlacher Fabrik 117 Thaler und zehn Silbergroschen, wie ein im Landeshauptarchiv Koblenz erhaltenes Schreiben Lassaulx vermerkt. Mettlacher Steine setzte er bis zu seinem Tod im Jahr 1848 bei mehreren Projekten im Koblenzer Schloss, in der Basilika Trier und in Bonn ein. Auch daran hatte August von Cohausen, von 1840 bis 1848 Vizedirektor in Mettlach und lebenslanger Freund und Ratgeber Eugen von Bochs, eine wichtige Rolle gespielt. Er korrespondierte mit Lassaulx, der den 30 Jahre Jüngeren ermunterte, sich weiterhin mit Mosaik und Steinen in kleinerem Format zu beschäftigen.

Ihm erzählte er auch von der Rettung einer vom Abriss bedrohten in Privatbesitz stehenden St. Georgskapelle in Bonn-Ramersdorf. Lassaulx rettete sie vor dem Abbruch, indem er sie 1847 komplett auf den Alten Friedhof in Bonn umsetzen ließ. Bislang ging man davon aus dass dabei der Boden komplett übernommen wurde. Im Unternehmensarchiv V& B hat sich jedoch ein Brief Lassaulx vom September 1847 erhalten, in dem er 3600 gelbe Steine für den Boden der Kapelle bestellt. Das war bevor unter Direktor Eugen von Boch die Mosaikfliese ihren Siegeszug begann. Mehr als zehn Jahre des Experimentierens waren vorausgegangen. Die Entdeckung des Nenniger Bodens rückte auch die antiken Mosaike stärker in den Fokus. Das forderte den Unternehmer heraus und setzte ihn auf die "Spur einer Methode es billig und schön zu machen", wie er 1856 August von Cohausen schrieb.

Denn das Herstellen und Verlegen der kleinen Steine musste wirtschaftlich für das Unternehmen, bezahlbar für die Kunden und ein Gewinn für die Hoch- und Alltagskultur ihrer Zeit sein. Die unter Eugen von Boch entwickelte Mosaikfliese erfüllte diese Ansprüche. Sie ist ein Ausweis der Kreativität des Unternehmers. Die Entwicklung der Mosaikplatte ahmt ein antikes Vorbild nach und schafft daraus etwas Originelles in Gestalt eines modernen, zeitgemäßen Produktes. Eugen von Boch hat mit dem Zugriff auf die Vergangenheit die Gegenwart seiner Fabrik bestimmt und für das Unternehmen die Zukunft gewonnen.

Der Maler Johann Jakob Kieffer (1814-1891) arbeitete von 1857 an 20 Jahre in leitender Funktion in der künstlerischen Abteilung der Keramikfabrik Villeroy & Boch. Dann übersiedelte der in Trier geborene Maler wieder nach Düsseldorf. Dort hatte er an der Kunstakademie bei Wilhelm Schadow, dem Sohn des Berliner Bildhauers Johann Gottfried Schadow, studiert und gehörte der Düsseldorfer Malerschule an.

300 Jahre Stillstand

Der Kontakt nach Mettlach brach jedoch nicht ab. René von Boch, Direktor der 1869 eröffneten Mosaikfabrik und nach dem Rückzug seines Vaters Eugen nach 1873 mit der Unternehmensleitung betraut, hatte einen Plan gefasst. Mettlach sollte am "größten Ausstattungswerk des 19. Jahrhunderts" teilhaben. So hatte der Kölner Dombaumeister Arnold Wolff im Rückblick die Beflurung des nach 300 Jahren Stillstand fertiggebauten Kölner Doms genannt. Daran meldete René von Boch bereits im April 1875 sein Interesse an. Das geht aus den im Unternehmensarchiv Villeroy & Boch erhaltenen Kopierbüchern der Geschäftskorrespondenz hervor. Peter Springer nennt in seinem Standardwerk über das Kölner Domboden-Mosaik das Jahr 1881, in dem erstmals der Name der Mettlacher Fabrik in den Akten des Dombauarchivs auftaucht. 1875 hatte Mettlach gerade die Restaurierung der Mosaikböden in Nennig und in Fliessem im Kreis Bitburg-Prüm abgeschlossen. Man hatte dafür kleine, ein Zentimeter große Würfelsteine hergestellt und festgestellt, dass eine Nachfrage besteht. Außerdem "schwärmte", wie René von Boch dem Familienfreund August von Cohausen schrieb, sein Vater Eugen von den "römischen Mosaikwürfelchen."

Man übernahm die Würfelsteine in das Angebot. Chancen zu sehen und ein Projekt anzugehen, darauf verstand sich auch Eugen von Bochs Sohn René und der Kölner Dom war dafür ein Paradebeispiel. Er nahm Kontakt zum Domkapitel auf, reiste nach Köln, bot einen Probebelag an und überlegte, ob Johann Jacob Kieffer einen Entwurf machen sollte.

Ornamente oder Figuren

Ein Wahldüsseldorfer für ein Projekt in Köln? Besser nicht, überlegte er, lieferte das doch nur den Mitbewerbern Ideen. Daher sollte Professor Julius Raschdorff ran. Der Architekt hatte unter anderem 1865 das Haus der Casino-Gesellschaft Saarbrücken, heute Sitz des Landtags des Saarlandes, gebaut.

Auch dazu kam es nicht. René von Boch wandte sich an August von Cohausen, der den Kontakt zu dem Wiesbadener Architekten Wilhelm Bogler und dem Mainzer Domprobst Friedrich Schneider vermittelte. Deren 1880/1881 entstandener Entwurf setzte eine Diskussion darüber in Gang, ob nur Ornamente oder auch Figuren gelegt werden sollten. Den Generalauftrag erhielt 1885 der ebenfalls mit Cohausen bekannte August Essenwein.

Gutachten bestätigt Qualität

 Der Boden der Matthiaskapelle in Kobern-Gondorf.

Der Boden der Matthiaskapelle in Kobern-Gondorf.

Doch musste den Boden ein Würfelmosaik mit künstlichen Steinen, hergestellt in Mettlach, bedecken. Auch dafür hatte Cohausen bereits sehr geschickt in Vorträgen geworben, ohne auch nur den Namen Villeroy & Boch zu nennen. Ein Gutachten des Münchner Julius von Seidl bestätigte die Qualität der Mettlacher Steine. Die Mettlacher Fabrik erbrachte eine taktische Meisterleistung, was Kommunikation und Marketing anging. 1890 wurde der Vertrag zwischen dem Domkapitel und Villeroy & Boch über 852 Quadratmeter Bodenfläche unterzeichnet. 1899 war der letzte Stein gelegt. Es war nicht nur das größte Ausstattungsprojekt des 19. Jahrhunderts, an der die Mettlacher Mosaikfabrik gebührenden Anteil hatte.

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