Mettlach Anderes Land, ganz andere Sitten

Zwölf Monate in Canmore: Die 17-jährige Mettlacherin Helena Oswald verbringt ein Auslandsjahr in der Kleinstadt in Kanada. In der Saarbrücker Zeitung berichtet sie von Zeit zu Zeit über ihre Erfahrungen.

 Helena Oswald mit ihrer Gastfamilie in Canmore

Helena Oswald mit ihrer Gastfamilie in Canmore

Foto: Helena Oswald

Ich bin jetzt nun schon seit fast sechs Monaten in Kanada und bleibe noch bis Ende Juni 2019. Über dieses wunderschöne Land habe ich bereits einen Bericht über meine „Abenteuer”, die ich hier in Canmore erlebe, geschrieben. Mein heutiger Text wird von einigen Unterschieden zwischen Deutschland und Kanada handeln, die ich während meines Aufenthaltes entdecken konnte.

Wenn ich an Kanada denke, fällt mir direkt das Wort „multikulturell” ein, doch wie wahr ist das eigentlich? Wie sehen die Schulen in Kanada aus, und wird es wirklich so unerträglich kalt? Diese Fragen und noch mehr werde ich im Laufe meines Artikels zu beantworten versuchen.

Es ist wahr, dass man in Kanada vielen sehr verschiedenen Kulturen sowie Religionen begegnen kann. Das liegt daran, dass die heutigen Kanadier oft einstmals aus Europa kamen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben verließen viele Europäer ihre Heimat und brachen nach Kanada auf. Kanada wurde von Jacques Cartier 1534 entdeckt. Er war ein französischer Seefahrer. Aber nicht nur Franzosen kamen nach Kanada, sondern auch Engländer. Beide kämpften in einem Kolonialkrieg gegeneinander, den die Engländer gewannen. Das ist auch der Grund, warum jeder in Kanada Englisch spricht, die französische Sprache jedoch auch offizielle Amtssprache ist. Diese wurde aber erst 1969 anerkannt, wohingegen Englisch schon immer Amtssprache gewesen ist. Kanada ist eines der wenigen Länder mit zwei offiziellen Amtssprachen.

Hinzu kommen die Einwanderung aus Asien (vor allem in den Westen Kanadas) sowie die Urbevölkerung. Man kann viele weitere Sprachen hier finden, wie zum Beispiel Spanisch, Italienisch, Deutsch, Russisch, Philippinisch oder Indisch. Doch eines muss man wissen, wenn man nach Kanada kommt: Für Kanadier ist es sehr unhöflich, wenn sie gefragt werden, was für eine Ethnizität sie haben. Sie sind und bleiben Kanadier, selbst wenn sie Vorfahren aus anderen Ländern haben. Wenn sie von sich aus sagen, dass sie halb Deutsch oder Polnisch sind, dann ist das etwas Anderes, als wenn man sie danach fragt. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Kanada ist das flächenmäßig zweitgrößte Land der Welt, gleich hinter Russland, und es ist ungefähr 30 Mal größer als Deutschland. Knapp 40 Millionen Menschen leben dort auf einer riesigen Fläche von fast zehn Millionen Quadratkilometern. Es ist in Provinzen eingeteilt, die da wären: British Columbia, Alberta Saskatchewan, Manitoba, Ontario, Quebec, Yukon, North­west Territories, Nunavut, New Brunswick, Nova Scotia, Prince Edward Island und Newfoundland. Mit dem Flugzeug braucht man von der Westküste (British Columbia) bis zur Ostküste (Newfoundland) ungefähr fünf Stunden! Obwohl manche Orte auf der Karte so aussehen, als lägen sie recht nah beieinander, sieht das in Wirklichkeit ganz anders aus. Was auf der Landkarte wie ein Katzensprung ausschaut, kann locker drei Stunden Autofahrt bedeuten!

Das Schulsystem in Kanada unterscheidet sich auch recht deutlich vom deutschen Schulsystem. Die kanadischen Schulstunden sind 86 Minuten lang (das entspricht ungefähr einer Doppelstunde in Deutschland), was eine sehr merkwürdige Zahl ist. Nach zwei Unterrichtsfächern gibt es eine Mittagspause von 60 Minuten. Danach hat man wieder zwei Unterrichtsfächer, und um 15.20 Uhr ist Schulschluss. Dieses Semester habe ich die Fächer Englisch, Werkunterricht, Landwirtschaft und Psychologie belegt. Da meine Noten in Deutschland nicht gezählt werden, muss ich keine akademischen Fächer belegen. Ein weiterer Unterschied ist, dass wir keine Klassenformationen hier haben. Jeder Schüler hat einen individuellen Stundenplan. Außerdem hat jeder Lehrer seinen eigenen Klassenraum und die Schüler gehen zum Lehrer und nicht umgekehrt.

Des Weiteren haben wir hier die berühmten Highschool-Schulbusse, die uns zur Schule fahren. Diese sehen aus, als wären sie einem amerikanischen Kinofilm entsprungen. Ich finde es sehr bereichernd, Fächer wie Psychologie, Landwirtschaft, Werkunterricht, Drama und „Career and Life Management” belegen zu können. Diese haben wir im Saarland nicht, was ich wirklich schade finde. Ende Januar hatten wir unsere „final exams”. Dies sind die Endprüfungen des ersten Semesters. Ich habe meine Endprüfungen in Mathematik und „Social Studies” (Politik mit Geschichte gemixt) ablegen müssen. Nach den Winterferien muss man also noch zwei Wochen in die Schule gehen, um den Stoff des ersten Semesters mit den jeweiligen Lehrern zu wiederholen. Dann hat man frei, was bedeutet, dass man nicht in die Schule muss und sich auf die bevorstehenden Prüfungen vorbereiten kann. Man geht nur an den Tagen in die Schule, an denen man eine Prüfung hat. Ich hatte das Glück, nur an zwei Tagen zur Schule zu müssen, und hatte die restlichen zwei Wochen komplett frei. Andere hingegen müssen mindestens viermal zur Prüfung in die Schule.

Man schreibt seine Prüfungen zudem nicht in einem Klassenraum, sondern in der Turnhalle. Am Prüfungstag sah die Turnhalle ganz anders aus als gewohnt. Der ganze Raum war mit Reihen von Tischen gefüllt und an der Wand war eine große Uhr, damit man immer wusste, ob man zeitlich gut im Rennen ist oder nicht. Für meine Matheprüfung hatte ich vier Stunden Zeit, was mehr als genug war. Man darf keinen Schulranzen mit in die Turnhalle nehmen und muss das Handy im Schließfach lassen oder einem der Lehrer geben. Wenn man fertig ist, gibt man seine Prüfung ab und ist entlassen. Jeder findet seine Endresultate dann alle online auf „Moodle”. Das ist die Website des Schulsystems von Alberta, in dem alle Schüler dieser Provinz registriert werden. Dort findet man auch sonst alle anderen Noten.

Außerdem muss man in „Moodle” seine Aufsätze beziehungsweise Hausaufgaben hochladen. Das war so ziemlich die größte Umstellung, denn in meiner Schule in Deutschland benutzen wir kaum unsere Computer und schreiben eigentlich alles auf Papier und geben es dem Lehrer persönlich. Mir gefällt diese Variante auch sehr viel besser, da ich persönlich nicht so gerne mit meinem Laptop arbeite und ich mich sicherer fühle, wenn ich meinem Lehrer meinen handgeschriebenen Aufsatz in die Hand gebe. Was ich außerdem sehr amüsant finde, ist, dass Kreidetafeln etwas ganz Unnormales für Kanadier sind und in meiner kanadischen Schule nicht existieren. Hier gibt es nur digitale „Smart Boards”, auf denen man mit extra Stiften schreibt und diese wieder ganz einfach wegwischen kann. In meiner Schule in Deutschland haben wir hauptsächlich Kreidetafeln, das fanden wiederum meine kanadischen Lehrer sowie Mitschüler total lustig und interessant.

Auffallend ist ein weiterer Unterschied zwischen Kanada und Deutschland – und zwar die Supermärkte hier. Sie sind alle sehr viel größer und haben selbst am Sonntag den ganzen Tag geöffnet. Außerdem haben Kanadier Milchkanister, die von einer Füllmenge von zwei Litern bis zu einem Vier-Liter-Kanister reichen können. Kleinere Mengen, zum Beispiel wie bei uns eine Ein-Liter-Flasche, kann man nicht kaufen, weil es sie nicht gibt. Außerdem gibt es hier keine wirklichen Bäckereien, zumindest für uns Deutsche sind das keine typischen Bäckereien. Hier kann man nur Süßwaren wie Croissants oder Streuselkuchen kaufen. Wenn man Brot haben möchte, muss man in den Supermarkt. Redet man hier jedoch von Brot, denken die Kanadier sofort an Toastbrot und nicht an die für uns gewohnte Backware. Es ist recht aufwendig, „richtiges” Brot hier zu finden. Mein erstes Nicht-Toastbrot habe ich erst vor ein paar Wochen gegessen. Mein Gastvater hat nämlich extra Brot für uns gebacken. An diesem Tag ist mir aufgefallen, dass ich seit mehr als vier Monaten kein „richtiges“ Brot mehr gegessen hatte. In Deutschland war es immer selbstverständlich für mich, Brot zum Abendessen zu haben.

Das ist im Übrigen eine weitere Besonderheit in Kanada. Hier isst man nicht warm zu Mittag, sondern am Abend. Das war am Anfang wirklich sehr ungewöhnlich für mich und es hat etwas Zeit gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Außerdem isst man hier normalerweise so gegen fünf oder sechs Uhr zu Abend, manchmal auch etwas später. Trotzdem ist es eher ungewöhnlich, erst gegen 8 oder 9 Uhr hier Abendessen zu haben. Doch eine Gemeinsamkeit, die ich zwischen meiner Familie daheim und meiner Gastfamilie feststellen konnte: dass das Frühstück am Sonntag gemeinsam stattfindet.

Was mich in letzter Zeit jedoch am meisten auf Trab hält, ist das kanadische Wetter! Wir haben keine minus zehn Grad und auch keine minus 20 Grad, sondern unfassbare minus 30 Grad am Tag. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich solche extrem kalten Temperaturen auch über längere Zeit erlebe. Mir wird oft von meiner Familie und Freunden die Frage gestellt, wie man sich bei solchen Temperaturen fühlt und was man den ganzen Tag über macht. Wenn man am Morgen auf den Schulbus in der Kälte warten muss, dann kommen einem drei Minuten schon wie eine halbe Stunde vor. Man versucht, alle Körperteile so gut es geht zu vermummen, und trotzdem zittert man vor Kälte.

Meine kleinen Gastgeschwister wollten schon keinen Schneemann mehr bauen, da es ihnen keinen Spaß macht, wenn dabei alles einfriert. Trotzdem kann man für ein paar Minuten diese eiskalten Temperaturen zu seinem Vorteil nutzen und zwar, wenn man experimentieren möchte. Meine Gastfamilie und ich haben Wasser aufgekocht und sind damit schnell nach draußen gelaufen. Wenn man sich beeilt und das kochende Wasser hoch in die Luft schleudert, passiert etwas Atemberaubendes. In Sekunden verdampft das auf fast 100 Grad erhitzte Wasser in der Luft. Es zischelt ein wenig und dann steht man in einer warmen (aber nicht sehr lange anhaltenden) Dampfwolke. Das war wirklich unglaublich mitzuerleben und hat dabei auch wirklich viel Spaß gemacht!

Mich fasziniert an Kanada, dass es, obwohl hier so viele verschiedene Kulturen und Religionen zusammenleben, ein sehr ruhiges Land ist. Natürlich gibt es auch hier Konflikte, doch diese halten sich sehr in Grenzen. Kanadier sind auf eine Art und Weise freundlich und hilfsbereit, wie ich es bisher nur noch in Schottland erlebt habe. Nachbarn helfen sich ganz selbstverständlich gegenseitig, wenn das Auto durch die Kälte nicht starten will. Man kommt einfach mal zu Besuch, um sich kurz zu unterhalten, und, wie in meinem Fall, werden ganze Skiausrüstungen einfach so ausgeliehen oder verschenkt. Man fragt sich gegenseitig im Vorbeigehen, wie es denn so geht und unterhält sich mit den Verkäufern an der Kasse. Diese Freundlichkeiten sind etwas ungemein Angenehmes und Selbstverständliches, was mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

 Helena Oswald in der klirrenden Kälte der Provinz Alberta mit einem mächtigen vierbeinigen Spielgefährten

Helena Oswald in der klirrenden Kälte der Provinz Alberta mit einem mächtigen vierbeinigen Spielgefährten

Foto: Helena Oswald
 Das funktioniert nur bei extremer Kälte: Kochendes Wasser verdampft binnen Sekunden. Helena Oswald hat dies selbst auch schon in Canmore ausprobiert.

Das funktioniert nur bei extremer Kälte: Kochendes Wasser verdampft binnen Sekunden. Helena Oswald hat dies selbst auch schon in Canmore ausprobiert.

Foto: Helena Oswald

In meinen letzten vier Monaten werde ich noch viele tolle Erfahrrungen sammeln, wie zum Beispiel Hundeschlittenfahren, Skywalking in British Columbia und eine Wanderung auf einen Gletscher. Außerdem möchte meine Gastfamilie eine Feier für meinen 18. Geburtstag veranstalten, worauf ich schon sehr gespannt bin! Mir wurde zudem gesagt, dass es wahrscheinlich ist, dass bis zum Mai/Juni die Temperaturen wieder wärmer werden können. Da hat mich das Wörtchen „können” doch ein wenig beunruhigt. Es gab hier letztes Jahr sogar Schnee im Juni! Das ist vielleicht doch ein bisschen zu viel des Guten. Trotzdem werde ich meine letzten Monate hier genießen und stehe jeden Morgen mit großer Neugierde und Vorfreude auf den Tag auf.

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