Wie das fahrende Volk seinerzeit im Kreisgebiet angesiedelt wurde

Merzig · Kein Thema bewegt in diesen Tagen die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In diesem Beitrag soll die Zuwanderung in die Merziger Region während der letzten 200 Jahre als eine Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt werden.

In der vornationalstaatlichen Epoche, also vor der Reichsgründung 1871, bewegten sich außer den vorstehend beschriebenen noch weitere große Migrantengruppen meist aus den zentraleuropäischen Ländern und daran angrenzenden Gebieten zwischen den damaligen deutschen Partikularstaaten: Das waren zumeist erwünschte Personengruppen, wie die wandernden Handwerksgesellen auf der Walz auf der einen, aber auch unerwünschte, wie Bettler oder das "Fahrende Volk", auf der anderen Seite.

Einwanderung in allen früheren Phasen lief allerdings ganz anders ab, als wir uns das heutzutage vorstellen. Ein moderner Sozialstaat, wie man ihn gegenwärtig kennt, existierte damals nämlich nicht und so erhielten Einwanderer auch, vielleicht abgesehen von Almosen, so gut wie keine Unterstützung seitens des Staates beziehungsweise der sie aufnehmenden Gesellschaft. Migranten waren, wenn sie nicht verhungern wollten, darauf angewiesen, möglichst schnell eine Arbeit aufzunehmen. Wirtschaftliche Not zwang deshalb viele Menschen von Ort zu Ort zu ziehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Das "Fahrende Volk" galt ganz allgemein als Sicherheitsrisiko und auch in der hier ansässigen Bevölkerung nahmen Vorurteile gegenüber nicht sesshaften Menschen zu. Unzählige Polizeiordnungen, Edikte und Mandate der frühmodernen Obrigkeiten diskriminierten und kriminalisierten Bettler, Vaganten und "herrenloses Gesindel". Man unterstellte ihnen pauschal Müßiggang, Diebstahl und Raubmord. Schlecht beleumundet waren überdies die Köhler, die in größeren zusammenhängenden Waldgebieten, wie es sie auch in unserer Region gab und immer noch gibt, ihrer Tätigkeit nachgingen.

Viele dieser Menschen des "Fahrenden Volkes" sprachen eine eigene Sprache, das sogenannte Jenische . Gesprochen wurde dies im deutschen Sprachraum und in Frankreich von Menschen, die als fahrende Händler unterwegs waren, aber nicht zu den Sinti oder Roma zählten. Hier in unserer Region sprachen jedoch nicht allein fahrende Händler jenisch, sondern vielmehr auch die Angehörigen anderer handwerklicher Berufszweige.

Als unsere Region nach 1815 zu Preußen kam, wurden neben Holzhauern und Köhlern, die zuvor in den nahe gelegenen Wäldern gearbeitet und gelebt hatten, auch andere Nichtsesshafte zwangsweise hier angesiedelt. Sie waren gezwungen, Tätigkeiten wie Kesselflicker, Korbmacher, Besenbinder, Siebmacher, Schirmflicker, Scherenschleifer und so weiter auszuüben. Aus diesem Grund wurden in einigen Orten des Kreisgebietes "Jenische " schließlich sesshaft, so in Überlosheim, Bergen, Thailen, Morscholz und Steinberg. Seinen Namen bekam der Ort Überlosheim übrigens deshalb, weil er 1836 jenseits von Büschfeld "über dem Losheimer Bach" errichtet und hier "Fahrendes Volk" zwangsangesiedelt wurde, das seine eigene Sprache mit dem "Jenischen" mitbrachte. Nach der Sprachforscherin Maria Besse sollen dies sogar heute noch einige ältere Dorfbewohner Überlosheims sprechen können. Für die übrigen Ortschaften des Kreisgebietes lässt sich dies nicht mehr feststellen. Ungeachtet dessen haben allerdings jenische Begriffe Aufnahme in unsere Mundart gefunden.

Allen diesen erwähnten Gruppen oder Einzelpersonen ist, soweit sie hier dauerhaft blieben und ansässig wurden, eines gemeinsam: Sie wurden irgendwann Bestandteil der aufnehmenden Gesellschaft, verschmolzen sozusagen mit ihr. Die Soziologen sprechen in diesem Zusammenhang von Assimilation. Erfahrungsgemäß steht die Verschmelzung einer Minderheit mit der Mehrheit im Vordergrund. Dabei kann es sich sowohl um ein gezieltes Aufzwingen der Eigenschaften und Einstellungen der dominanten Gesellschaft handeln, als auch auf einer freiwilligen Übernahme der Eigenschaften und Einstellungen der Mehrheits- durch die Minderheitsgesellschaft beruhen, um gleiche Lebenschancen zu erreichen. Üblicherweise wird mit der Assimilation von Einwanderern die Annahme der Sprache, bei gleichzeitiger Aufgabe ihrer eigenen, sowie der Übernahme der Gewohnheiten und Bräuche des Aufnahmelandes verbunden.

Während die eben erwähnten Gruppen sozusagen von der hier ansässigen Mehrheitsgesellschaft vollkommen assimiliert wurden, gilt dies für zwei weitere Gruppen, wobei es sich zum einen um die "Zigeuner " und zum anderen um die Juden handelt, nur bedingt. Vor allem die "Zigeuner ", die heute in korrekter Sprachweise als Sinti und Roma bezeichnet werden und die man ebenfalls zum "Fahrenden Volk" zählte, wurden weitaus schlimmer ausgegrenzt als das übrige "Fahrende Volk" und darüber hinaus sogar verfolgt. Sinti und Roma kamen Ende des 14. Jahrhunderts wohl aus Indien über Südosteuropa nach Mitteleuropa und lebten vorwiegend von künstlerischen Darbietungen, Wahrsagerei, Handel, kleineren handwerklichen Tätigkeiten und Almosen.

"Als man schrieb nach Christi geburt MCCCCXVII (1417), da wurden in diesen unseren Landen nach dem Deutschen Meer gelegen zum ersten Mal gesehen, die greulichen und schwarzen Leute von der Sonnen verbrandt (so heßlich gekleidet und mit allem ihrem Thun unfletig sein behende und geschwinde auff stelen und sonderlich das Weiber volck denn die Menner erneren sich des das die Weiber stelen) die man Tattern gemeiniglich nennt." So stellte der Theologe Albrecht Krantz 1564 die Ankunft der "Zigeuner " in Deutschland dar. < Wird fortgesetzt.

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