Toleranz bleibt auf der Strecke

Merzig · Klack, klack, klack, hallt es durch die Merziger Fußgängerzone. Klack, klack, immer lauter. Das Geräusch reißt mich aus meinem Gespräch. Ich lasse Cousine und Kaffee links liegen und blicke mich suchend um.

Als ich den Ursprung entdecke, reiße ich überrascht die Augen auf. Der erste Begriff, der mir einfällt, ist Wagemut.

Es ist eine Kunst für sich, auf Stöckelschuhen über Kopfsteinpflaster zu laufen, ohne sich die Beine zu brechen. Umso mehr, wenn die Absätze mindestens zehn Zentimeter hoch sind. Und mit welcher Grazie dieser Mann über das Pflaster schreitet… unfassbar. Mittleres Alter, leger gekleidet, eine Pastiktüte in der Hand - und eben jene Hacken an den Füßen. Am meisten aber bewundere ich die Selbstsicherheit dieses Mannes. Mit erhobenem Kopf kämpft er sich seinen Weg durch die gaffende Menge. Klack, klack, klack.

An den benachbarten Tischen des Cafés bricht Unruhe aus. Köpfe werden zusammengesteckt, hinter vorgehaltenen Händen wispert es vernehmlich. Eine Stirn zieht tiefe Runzeln, eine Augenbraue wandert steil in die Höhe. Menschen, die sich vorher nichts zu sagen hatten, reden plötzlich angeregt miteinander, die Blicke auf den Rücken des Mannes geheftet, der sich langsam entfernt. Klack, klack.

Ich fühle Wut in mir aufsteigen. Toleranz scheint diesen Menschen ein Fremdwort zu sein. Alles, was nur minimal von der Norm abweicht, kritisieren und verurteilen sie. Doch wo bleibt dann die Vielfalt, das Besondere? Darf nicht jeder seine Eigenheiten haben, seine Individualität ausleben? Ich plädiere dafür. Übrigens stolziert der Mann wenige Minuten später wieder zurück. Mit ebenso erhobenem Kopf. Beinahe provozierend. Klack, klack. Hut ab.

Ruth Fehr ist in Bergen aufgewachsen und wohnt in Riegelsberg. Ihr Volontariat führt sie täglich zurück nach Merzig.

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