Interview Jochen Wollmert „Karriere, Sport und Familie auf Topniveau funktioniert nicht.“

Jochen Wollmert ist Tischtennis-Koryphäe und Sportbotschafter der Barmer-Krankenkasse. Am Gesundheitstag der Sparkasse war er zu Gast in Merzig. Der mehrfache Tischtennis-Paralympicssieger über seine Karriere, Sport und Gesundheit.

 Jochen Wollmert beim Showtraining für die Sparkassen-Mitarbeiter in Merzig.

Jochen Wollmert beim Showtraining für die Sparkassen-Mitarbeiter in Merzig.

Foto: Barmer

Wie sind Sie darauf gekommen, Tischtennis zu spielen?

Wollmert: Tischtennis spielt ja, glaube ich, jeder. Ich hab am Anfang in der Schule gespielt, mit Freunden … Wir hatten auch im Haus eine Tischtennisplatte, wo ich mit meinem Vater gespielt habe. In den Verein bin ich erst mit 17 gegangen, bedingt dadurch, dass mich ein Klassenkamerad gefragt hat, ob ich nicht Lust dazu hätte. Sie bräuchten für die Jugend noch ein paar Leute, da wären ein paar abgesprungen. So ging das langsam los.

Und dann wurden Sie immer erfolgreicher?

Wollmert: Ich hab ein halbes Jahr in der Jugend gespielt, dann im Herrenbereich angefangen und mich langsam nach oben gespielt, auch in den Mannschaften. Ich habe damals in der dritten Kreisklasse angefangen, in meiner stärksten Zeit dann in der vierthöchsten Liga in Deutschland im nichtbehinderten Bereich gespielt. Irgendwann habe ich mich dafür interessiert, Behindertensport zu machen, das war so um 1986 rum. Das war gar nicht so einfach. Heute setzt man sich an den Computer und googelt die Adressen der Vereine, das ging damals noch nicht. Ich glaube, ich habe damals ein halbes Jahr gesucht, bis ich einen passenden Verein gefunden hatte. 87 kam ich zu meiner ersten Deutschen Meisterschaft, bei der ich Vierter geworden bin. Das hat mich angefixt. Ich war motiviert, auch mal ganz oben auf dem Treppchen zu stehen.

Davor hatten Sie ausschließlich mit Nicht-Behinderten gespielt.

Wollmert: Ich messe mich immer noch mit Nicht-Behinderten, meine großen Wettkämpfe habe ich aber im Behindertensport. Vor kurzem waren Deutsche Meisterschaften, da konnte ich mal wieder einen Titel im Einzel holen.

Nachdem Sie bei den Paralympics 2008 in Peking  und 2012 in London als Sieger im Einzel nach Hause gefahren waren, sind Sie bei den letzten Paralympics in Rio bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Woran lag’s?

Wollmert: Ich glaube, ich war schon gut trainiert. Das Problem war einfach, dass wir mehr geworden sind, die gut sind. Früher war es ein Kreis von vielleicht zehn Leuten, die auf einem Niveau gespielt haben. Mittlerweile sind es mindestens 25, die Chancen auf die Podestplätze haben. Und ich hab gemerkt, dass ich in den entscheidenden Momenten, wenn es um die finale Phase eines Satzes ging, nicht so ganz da war, da fehlte ein bisschen. Da hat man mal Glück, mal Pech; das ist ein schmaler Grat, den ich in Rio nicht positiv für mich nutzen konnte. Mein Ziel ist, bei den Paralympics in Tokio 2020 nochmal dabei zu sein. Und wenn ich dabei sein kann, dann will ich auch was erreichen.

Wie oft trainieren Sie pro Woche?

Wollmert: Das kommt darauf an. Vor Rio habe ich 20 Stunden die Woche trainiert, im Moment dreimal die Woche jeweils zweieinhalb bis drei Stunden. Dazu kommen noch einmal die Woche Physiotherapie und Meisterschaftsspiele an den Wochenenden.

Parallel dazu haben Sie eine Vollzeitstelle bei der Barmer-Krankenkasse. Arbeiten Ihre internationalen Konkurrenten auch nebenbei oder sind das Vollprofis?

Wollmert: International sind insbesondere in meiner Klasse fast alle Profis. Dass die so wie ich im Job stehen, ist eher nicht so der Fall. Die beiden Franzosen sind beispielweise bei einem Sportverein angestellt. Einer von ihnen wurde 2016 das ganze Jahr freigestellt, konnte sich also monatelang nur auf den Sport konzentrieren. Das hilft natürlich schon. Ich persönlich fände aber nur Sport auch nicht gut. Ich brauche auch meine geistige Forderung, um mich beim Sport verausgaben zu können.

Stichwort Gesundheit und Sport: Man weiß, dass Hochleistungssport nicht unbedingt die gesündeste Art von Sport ist. Wie stehen Sie dazu?

Wollmert: Beim Tischtennis muss man schon ein bisschen aufpassen. Der Rücken ist eine Problemzone, weil man immer ein bisschen gebückt am Tisch steht, in einer Erwartungshaltung. Da muss man immer was tun. Die Achillessehne ist auch etwas, das schnell mal kaputt gehen kann. Es ist wichtig, dass man sich die Muskulatur gerade in dem Bereich aufbaut, in dem man Probleme hat. Ich hatte mal mit 16 einen Sportunfall in der Schule, hab mir das Knie verdreht. Man hat mir damals gesagt, Sport und insbesondere Tischtennis könnte ich knicken, weil die entsprechende Muskulatur nicht da war. Durch das entsprechende Training habe ich jetzt keine Probleme mehr damit. Aber man darf es nicht übertreiben. Das ist natürlich immer ein schmaler Grat. Der Leistungssport ist, glaube ich, auch nicht für jeden durchführbar. So wie nicht jeder Journalist oder Schreiner werden kann, kann auch nicht jeder Leistungssportler werden.

Gibt es Erkenntnisse aus dem Leistungssport, die Sie im Alltag anwenden können?

Wollmert: Ich glaube, Ziele setzen und sich darauf fokussieren, ist so eine Sache, die Sportler gut können, insbesondere erfolgreiche Sportler. Was man auch lernt, ist, im Team zu funktionieren. Zusätzlich versuche ich, mich immer auf das Einzelne zu fokussieren. Wenn ich aus dem Büro komme, dann bin ich privat. Wenn ich beim Sport bin, bin ich beim Sport. Man muss auch Verzicht üben. Karriere machen, im Sport erfolgreich sein und eine glückliche Familie haben – ich glaube, alle drei Sachen werden nicht auf einem Topniveau funktionieren, man muss da irgendwo zurückstecken. Das ist so eine Sache, die heutzutage manchmal hakt bei den Leuten. Sie fokussieren sich zu wenig auf das Einzelne und können nicht abschalten. Irgendwann ist das Boot voll und man kann das nicht mehr ablassen. Dann kommt es zu Stress oder sogar zu Depressionen.

 Tischtennis-Paralympicssieger Jochen Wollmert mit Olaf Marquardt, dem Regionalgeschäftsführer der Barmer-Krankenkasse, in Merzig.

Tischtennis-Paralympicssieger Jochen Wollmert mit Olaf Marquardt, dem Regionalgeschäftsführer der Barmer-Krankenkasse, in Merzig.

Foto: Lisa Kutteruf

Denken Sie, dass Sport dabei helfen kann, glücklicher zu werden?

Wollmert: Ich glaube schon. Man kann beim Sport aus sich rauskommen, sich verausgaben und kommt mit einem freieren Kopf zurück. Es muss nicht einmal Sport sein, ich glaube, Bewegung ist der Schlüssel zum Erfolg. Man muss ja nicht immer schlank durch die Gegend laufen, aber ich finde, man sollte so ein bisschen auf sich achten. Man muss diesen Wohlfühlmoment finden. Ich bin auch einer, der sich wohler fühlt, wenn man auch mal ’ne Party hat, aber es darf eben nicht zu viel werden. Man muss halt immer – auch da – ein Ziel vor Augen haben.

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