SZ-Reporter auf dem Weg ins Ahrtal Liveblog: Rückkehr aus einer zerstörten Idylle

Update | Ahrtal · Am heutigen Dienstag bringt ein privater Konvoi dringend benötigte Hilfsgüter aus dem Raum Merzig und Losheim ins vom Hochwasser schwer getroffene Ahrtal. SZ-Reporter Martin Trappen begleitet den Hilfstransport und meldet sich im Laufe des Tages in regelmäßigen Abständen, um seine Eindrücke und Erfahrungen zu schildern. Hier die neuesten Entwicklungen.

Liveblog: SZ-Reporter begleitet Hilfskonvoi aus Merzig ins Ahrtal
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SZ-Reporter begleitet Hilfskonvoi aus Merzig ins Ahrtal

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Foto: Martin Trappen

21.25 Uhr: Wir sind auf dem Nachhauseweg. Auf dem Weg aus dem Tal heraus sind wir noch einmal unmittelbar am Ufer der Ahr entlanggefahren – dort, wo die Flutwelle am heftigsten war. Und das sieht man noch immer. Ich habe noch ein paar Bilder von diesem Anblick gemacht und denke, während wir über die Autobahn in Richtung Heimat fahren, darüber nach, was dieser Tag in mir hinterlässt.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass man das, was ich heute dort gesehen habe, nicht so wirklich in Worte fassen kann. Und man kann es auch nicht auf Bildern festhalten. Wenn man nicht selbst in diesem Gebiet steht und alle Sinneseindrücke auf sich wirken lässt, ist es einfach schwer wiederzugeben. Du steigst aus dem Auto und stehst im Matsch – nicht tief, aber es gibt keine Stelle, wo du einen Meter gehen kannst, ohne im Matsch zu stehen. Du rutschst weg, weil es überall so schmierig ist. Unfassbar sind die aufgeschütteten Müllberge. Unfassbar sind die Autos, die sich zu riesigen Haufen türmen – nicht etwa, weil sie irgendjemand so aufeinander gestapelt hätte. Sondern weil sie von den Wassermassen dorthin gespült worden sind.

Es ist jetzt auch keine ganz neue oder exklusive Beobachtung, aber diese Region hat im Moment etwas von einem Kriegsgebiet. Das ist de facto einfach so. Es fehlen nur die Bomben. Wir sind so etwas, was sich nur ein paar Kilometer vom Saarland entfernt ereignet hat, einfach nicht gewohnt. Das hat man, das habe ich so noch nicht gesehen. Ich bin gewiss nicht der Erste, der das so beobachtet und wahrgenommen hat. Und doch ist das der stärkste, der heftigste Eindruck, der von all dem bleibt, was ich heute so gesehen habe.

Und wenn man sich dann überlegt, dass unsere Heimat diesem Unheil gerade noch so entgangen ist, dass diese Wassermassen durchaus auch bei uns hätten runterkommen können, wenn es ein bisschen anders gelaufen wäre, das gibt einem dann noch einmal mehr zu denken. Wir sind solche Einblicke aus anderen, weit entfernten Gegenden der Welt gewohnt, aus Indien, aus Malaysia oder wenn ein Tornado über die USA hinwegfegt. Aber hier bei uns vor der Haustür kennen wir solche Naturgewalten einfach nicht. Noch nicht.

Eine positive Erkenntnis gibt es auch: Die Hilfsbereitschaft ist enorm, die Leute sind in Scharen bereit, hier Hilfe zu leisten, etwas zu tun, etwas zu geben. Dem gegenüber steht ein anderer Gedanke: Wie soll da in der Verwüstung, die da entstanden ist, wieder ein normales Leben möglich sein? Wie soll man das wieder aufbauen können? Es wird Menschen geben, die sagen: „ich kann hier nicht mehr leben, ich gehe weg.“ Und wenn man das hier mit eigenen Augen gesehen hat, kann man ihren Standpunkt auch durchaus nachvollziehen.

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18.32 Uhr: Es ist kurz nach halb sieben, wir verteilen die noch verbliebenen Lebensmittel. Es ist nicht möglich, einen Schritt auf der Straße oder dem Gehweg zu tun, ohne im Matsch zu stehen. Dadurch, dass es heute geregnet hatte, blieben uns zwar der aggressive Staub und die Mücken erspart. Aber dafür mussten alle hier durch den Schlamm waten. Sarah Branse, die unseren Konvoi den ganzen Tag lang durch das Tal geleitet hat, betont, wie essenziell die Hilfslieferungen aus dem Saarland für die Menschen hier waren. „Wir wurden weitgehend darüber versorgt.“ Heike Hoffmann und Klaus Kerkrath, die in Merzig und Losheim die Konvois organisiert haben, heben die große Solidarität ihrer Mitbürger hervor: Wenn sie einen Spendenaufruf über Facebook gestartet haben, waren binnen kürzester Zeit ihre Garagen und Lagerhallen voll mit Hilfsgütern. Aber das können die Menschen hier im Ahrtal auch gut gebrauchen, diese Solidarität.

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18.15 Uhr: Mittlerweile haben wir den historischen Stadtkern von Ahrweiler erreicht. Der ist umgeben von der alten Stadtmauer, durch die insgesamt vier Tore ins Zentrum hineinführen. An jedem dieser vier Tore sind provisorische Hilfsstationen aufgebaut. Hier innerhalb der Stadtmauern wurden die Fluten der Ahr bei dem Hochwasser wie in einem Schwimmbecken noch mehr aufgestaut, hier sind die Schäden sehr massiv.

Wir bemühen uns, die noch verbliebenen Lebensmittel abzugeben. Eine Gruppe von Ordensschwestern von der Sankt-Laurentius-Stiftung in Ahrweiler nimmt unsere Spenden dankbar entgegen. Während wir die Pakete abladen, blockieren wir die engen Gassen im historischen Stadtkern. Wenn wir das in Merzig gemacht hätten, wären wir binnen kurzer Zeit zu Tode gehupt worden. Gerade haben wir den Dom und das Rathaus passiert. Je mehr wir uns in der Ortsmitte bewegen, desto größer sind die Schäden. Völlig demolierte Autos stehen am Straßenrand, Schuttberge türmen sich auf. Hier ist einfach alles völlig zerstört, da ist einfach nichts mehr – obwohl schon seit fast zwei Wochen hier aufgeräumt wird. Ein beißender Geruch liegt in der Luft, es riecht nach Tod und Verwesung, was durch das feuchte Wetter nocht verstärkt wird.

Wir drücken mittlerweile den Leuten einfach unsere Lebensmittel-Pakete in die Hand, wir fragen sie gar nicht mehr, ob sie etwas wollen. Sarah Branse, die hier vor Ort die Hilfslieferungen koordiniert, hatte uns darauf hingewiesen, dass es den Leuten unangenehm ist, wenn sie gefragt werden, ob sie etwas wollen. Also geben wir es ihnen kurzerhand und fahren weiter.

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17.32 Uhr: Wir nähern uns Ahrweiler, und zwar vom Nachbarort Bachem aus – das gibt’s auch im Saarland, im Kreis Merzig-Wadern. Aber im saarländischen Bachem sieht es weitaus besser aus als hier. Auf dem Weg nach Ahrweiler fahren wir über die einzige Brücke im ganzen Tal, die dem Vernehmen nach noch unbeschädigt geblieben ist. Dort befindet sich die nächste Entladestelle. Und dort ist die Situation offenkundig noch sehr angespannt, ja dramatisch. Wir müssen jetzt unsere FFP2-Masken anziehen, weil die Luft dort noch sehr schadstoffhaltig ist. Wir haben noch Essenskonserven geladen, die wir an die Leute dort verteilen. Auf den Ladeflächen unserer Transporter sitzen zudem noch ein paar Helfer aus der Region, die uns helfen werden, die Hilfsgüter direkt an die Menschen vor Ort abzugeben.

Während wir hier im Schritttempo durch die Straßen fahren und alle Leute, an denen wir vorbeifahren, fragen, ob sie etwas von den Essenssachen haben möchten, versuche ich die Eindrücke zu verarbeiten, die hier auf mich einwirken. Die Bilder, die ich gerade anfertige, geben kaum wieder, wie es hier aussieht. Alle paar Meter stehen Bagger oder Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr oder Polizei. Wenn man sieht, was die Leute alles verloren haben, ist das nur schwer zu begreifen. Da fehlen einem echt die Worte.

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16.11 Uhr: Wir sind unterwegs zur nächsten Entladestelle in Ahrweiler, am Johannisberg. Wir dringen damit weiter in das eigentliche Zentrum des Krisengebietes vor. Und mittlerweile kann man nicht mehr aus dem Fenster schauen, ohne überall die Spuren der Verwüstungen zu sehen, die das Hochwasser hinterlassen hat: überall Schlamm, Matsch, Trümmerteile, Sperrgut. Ich war noch in keinem Kriegsgebiet, aber ich kann mir es da auch nicht anders vorstellen. So dürfte es dort wahrscheinlich auch aussehen. Und man muss sich bei all dem vor Augen halten: Es sah schon mal schlimmer aus, mittlerweile wurde hier schon einiges aufgeräumt. Aber noch nicht verschwunden sind die Schlammspuren, die markieren, wie hoch die Flut hier gestanden hat. Und mittendrin überall Leute, die versuchen, im Schlamm und Matsch alles wieder aufzubauen. Das ist durchaus dramatisch.

Der einzige Weg zu unserer Abgabestelle auf dem Johannisberg führt über eine Schotterpiste, einen eher spontan entstandenen Behelfsweg. Es gibt viel Gegenverkehr, dementsprechend eng geht es hier zu. Jetzt gelangen wir über diese Schotterpiste in ein Stadtviertel, in dem auf den ersten Blick alles einigermaßen in Ordnung und unbeschädigt scheint. Das wirkt schon etwas surreal. Die Leute hier hatten offenbar ziemliches Glück, weil sie etwas höher gelegen wohnen.

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15.05 Uhr: Jetzt regnet es doch ziemlich kräftig. Wir konnten gerade noch rechtzeitig unsere Hilfsgüter ausladen, aktuell haben wir in der Annahemstelle Unterschlupf gefunden und warten das Ende des Regens ab. Sollten die Niederschläge länger andauern, könnte es für uns problematisch werden, weiter ins Tal hineinzukommen. Wir müssen abwarten.

Unsere erste Station ist ein Sanitärgeschäft bei Remagen. Mit dessen Eigentümer komme ich während der unfreiwilligen Regenpause ins Gespräch. Er erzählt mir, dass der Ort Remagen wahnsinniges Glück bei der verheerenden Flut hatte. Weil er etwas höher liegt als die weiter westlich gelegenen Ortschaften im Ahrtal, erreichten ihn nur noch ein paar schwache Ausläufer der Flutwelle.

„Das Wasser stand zwar bis zum Bordstein auf der Straße, aber nicht höher“, sagt der Mann. „Da haben wir gerade noch so Glück gehabt.“ Gerade solche Stellen werden jetzt von den Krisen- und Einsatzstäben gesucht, damit dort Hilfslieferungen hingebracht und zwischengelagert werden können. Denn hier sind die Sachen besser vor einem neuerlichen Hochwasser geschützt.

Entsprechend vollgepackt ist die Lagerhalle des Unternehmens. Überall stehen Lebensmittel, Wasser und andere Gegenstände herum, die nach den Worten des Firmenbesitzers auch regelmäßig abgeholt werden. Nur eines bleibt stehen: die Dutzende von Kisten mit Kleiderspenden. Die wolle niemand haben, sagt der Mann. Auch Menschen, die gerade ihr gesamtes Hab und Gut verloren hätten, wiesen diese gespendeten Kleider zurück mit dem Argument: „Wir wollen nichts Gebrauchtes tragen.“ Das kann der Fimenbesitzer nur mit einem Kopfschütteln quittieren: „Wahrscheinlich werden diese Kleider alle in absehbarer Zeit geschreddert werden müssen.“ Immerhin: Mittlerweile lässt der Regen nach. Vielleicht geht es bald weiter für uns.

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14.26 Uhr: Wir haben die erste Station unseres Konvois erreicht, der bei Remagen liegt. Hier wird nun ein Großteil unserer Ladung abgeladen. Ich greife selbst mit an, um die schweren Wasserpakete an der Annahmestelle abzugeben. Blöderweise fängt es gerade auch noch an zu regnen.

Auf dem Weg zwischen Autobahnabfahrt und Annahmestation sind die ersten Schäden zu sehen, welche die Flut hinterlassen hat: Am Wegesrand liegt ein umgekippter Wohnwagen.

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13.27 Uhr: Seit gut vier Stunden sind wir nun unterwegs. In Kürze erreichen wir Bad Neuenahr. Kurz davor legen wir noch einmal einen Stopp ein, auf der Raststätte Brohtal an der A61. Es hat leicht zu regnen begonnen. Der Konvoi besteht aus vier Fahrzeugen, auf die sich insgesamt zehn Personen verteilen. Bislang verlief die Anfahrt störungsfrei und relativ unspektakulär.

Allerdings kamen wir auch nur langsam vorwärts. Die Fahrzeuge sind so schwer beladen, dass sie nicht schneller als 80 Stundenkilometer fahren können. Mit dabei ist inzwischen ein Kastenwagen, den die Tafel in Merzig über ihren Leiter Frank Paqué bereitgestellt hat.

Die Ladung besteht aus großen Mengen Trinkwasser, dazu einige Kühlschränke, Waschmaschinen, Trockner. Weiterhin haben wir Besen und Schaufeln dabei sowie einige medizinische Produkte: Salben gegen Mückenstiche, Arzneien gegen Durchfall, Cortison.

An dem Verkehr auf der Autobahn ist zu spüren, dass wir uns dem Katastrophengebiet nähern. Wir sehen immer mehr Krankenwagen und Polizei-Einsatzfahrzeuge, die hier unterwegs sind. Martinshörner jaulen, Blaulicht ist zu sehen. Gerade passiert uns ein großer Getränke-Lkw mit Anhänger, der vollbeladen ist mit Wasser. Auch er scheint auf den Weg ins Ahrtal zu sein.

Der erste Halt soll in Remagen sein, eher am Rande des Krisengebietes und rund 13 Kilometer von Bad Neuenahr entfernt. Hier werden wir einen Großteil unserer Ladung loswerden. Danach geht es tiefer hinein ins Tal.

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9.10 Uhr: Jetzt geht es los. Eine gute Stunde vorher haben wir uns auf dem Firmengelände der Bauunternehmung Hoffmann in Schwemlingen getroffen, um die Hilfsgüter auf Transportfahrzeuge zu verfrachten.

In erster Linie sind es Sechser-Packungen mit Trinkwasser, die an diesem Dienstag ins Hochwassergebiet an der Ahr gebracht werden sollen. Zu Dutzenden, nein eher zu Hunderten werden sie auf die Ladeflächen gehievt. Organisiert haben das alles Heike Hoffmann, ihr Mann ist Inhaber der Baufirma, wo wir uns getroffen haben, sowie Uli Kautenburger aus Bachem. Klaus Kerkrath aus Losheim, über den Losheimer Turnverein ebenfalls zu eine Hilfsaktion aufgerufen hat, wird an diesem Tag ebenfalls mit einem Anhänger Hilfsgüter nach Ahrweiler fahren. Für sie alle ist es nicht der erste Transport dieser Art ins Ahrtal. Nach der verheerenden Flutwelle vom 14./15. Juli haben die Helfer aus dem Kreis Merzig-Wadern, die sich privat zusammengefunden haben, um den Flutopfern beizustehen, schon mehrfach in die Krisenregion begeben.

Heute ist es wieder so weit. Zehn Mann stark ist das Helferteam, das in Schwemlingen beim Beladen der Fahrzeuge mit anpackt. Drei Fahrzeuge werden bepackt: ein Firmenlaster der Bauunternehmung Hoffmann, ein Privat-Pkw mit Anhänger und ein Kastenwagen, den ein großes Merziger Autohaus zur Verfügung gestellt hat. Die Gefährte werden so voll geladen, wie es nur geht.

Und nach gut einer Stunde kann der Transport starten. Ich sitze mit Heike Hoffmann und Uli Kautenburger in dem einen Transporter und mache mir Gedanken, was mich an diesem Tag so alles erwarten wird. Jetzt geht’s Richtung Kell am See, dort werden weitere Fahrzeuge mit Hilfsgütern hinzustoßen.

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