Sumpffieber macht den Menschen zu schaffen

Merzig · Dies hatte seinen Grund vor allem in dem bereits beschriebenen starken Bevölkerungsanstieg, der sich noch weit in das 19. Jahrhundert hinein fortsetzte und eine der Grundbedingungen für die industrielle Revolution bildete. So wuchs die Bevölkerung von der Übernahme des Kreises durch Preußen bis 1840 um rund 50 Prozent. Aus 21 693 Einwohnern waren 31 503 geworden. Ein großes Wachstum in relativ kurzer Zeit, das allerdings auch seine Schattenseiten hatte.

 Wilhelm Tell von Fellenberg engagierte sich mit seinem Schwager Eugen von Boch bei der Trockenlegung der Feuchtgebiete und legte damit sozusagen den Grundstock für Villeroy & Boch in Merzig. Foto: Archiv

Wilhelm Tell von Fellenberg engagierte sich mit seinem Schwager Eugen von Boch bei der Trockenlegung der Feuchtgebiete und legte damit sozusagen den Grundstock für Villeroy & Boch in Merzig. Foto: Archiv

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Neben anderen negativen Faktoren stellte für die Landwirtschaft schon nach dem Urteil von Zeitgenossen die sie in besonderem Maße prägende Agrarverfassung eine besondere Herausforderung dar. Unsere Region befand sich in einem Zustand, der noch weit im Mittelalter verhaftet schien, obwohl durch die während der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich erfolgten Reformen viele Modernisierungen in Angriff genommen worden waren. In den so genannten "Gehöferschaften" existierte allerdings immer noch ungeteilter Gemeinbesitz mit gemeinwirtschaftlicher Organisation und Arbeitsweise. Diese hatte alle drei, sechs, neun oder zwölf Jahre einen Besitzwechsel zur Folge, was bei den zeitweiligen Besitzern des Bodens kein Interesse an bedeutsamen Verbesserungen auf lange Sicht aufkommen ließ.

Erbliches Nutzungsrecht

Ein den Gehöferschaften vergleichbares Relikt der alten Agrarverfassung hielt sich in manchen Dörfern unserer Region daneben mit den Stock-, Vogtei- oder Schafftgütern noch bis in die 1830er Jahre hinein. Es handelte sich dabei um unteilbare Lehngüter, die den Bauern zur Bearbeitung und Nutznießung überlassen wurden. Der ganze Bann eines Dorfes war unter einer bestimmten Anzahl von Familien aufgeteilt und zwar derart, dass diese Familien an ihrem Teil das erbliche Nutzungsrecht hatten. Unzulässig war sowohl eine Vermehrung der Stöcke, als auch eine Aufteilung derselben, etwa unter die Kinder der Familie; auch ein Verkauf war unstatthaft. Das Erbnutzungsrecht stand dem ältesten Kind zu, das im Einvernehmen mit den Eltern mit dem Stockgut "bestadet" wurde und alsdann die Eltern und Geschwister zu versorgen hatte.

In Haustadt beispielsweise war der gesamte Bann außer einem Hof sowie dem der Kirche und dem Pfarrer gehörenden Ländereien und Wiesen in 16 Stöcke aufgeteilt. Hier wurden allerdings bereits 1816 die Stöcke unter 16 Familien aufgeteilt und somit erstmals erbliches Eigentum. Das Hauptproblem bei der Teilung "auf Erb- und Eigentum" stellte dabei vor allem die notwendig gewordene Vermessung mit ihren Kosten dar.

Schon unter französischer Herrschaft waren 1808 Planungen und Überlegungen für eine allgemeine Vermessung des Grundeigentums und zur Anlage eines Katasters angestellt worden. Dies geschah nicht zuletzt, um eine feste Grundlage für die Erhebung der Grundsteuer zu erhalten. Zum Zeitpunkt der preußischen Besitznahme lag für den Kreis Merzig allerdings lediglich das Kataster der Gemeinde Düppenweiler vor. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass der Ort zum Kanton Lebach gehört hatte und dort die entsprechenden Arbeiten schon weiter fortgeschritten waren. Bis 1824 wurden diese Arbeiten für den Kreis Saarburg abgeschlossen.

Die Erstellung des Katasters im Kreis Merzig zwischen 1828 und 1834 leitete schließlich das weitgehende Ende der Gehöferschaften und die Übergabe des gesamten Bannes in das erbliche Eigentum der Bewohner in den meisten Orten des Kreisgebietes ein. Insgesamt wurden im Kreis Merzig zwischen 1828 und 1842 genau 60 Gehöferschaften aufgelöst. Dadurch, dass der früher den Grundherren gehörende Grundbesitz ebenso wie das Gemeineigentum mittlerweile den Bauern übertragen worden war, zersplitterte der bäuerliche Grundbesitz jedoch nach und nach immer mehr. Dies hatte seinen Grund in der linksrheinisch nach dem Erbrecht des Code Civil praktizierten Realteilung, bei der die Nachkommen gleiche Vermögensanteile erbten. Eine Nutzfläche von weniger als fünf Hektar hatte jedoch zur Folge, dass Landwirtschaft im Grunde genommen nur noch im Nebenerwerb betrieben werden konnte. Mangels Alternativen kam in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Landwirtschaft in der Merziger Region eine große Bedeutung zu. Allerdings verfügten hier um die Mitte des Jahrhunderts 64 Prozent aller Grundeigentümer nur über weniger als 1,3 Hektar Land. Lediglich sieben Prozent konnten demgegenüber ein eigenständiges bäuerliches Leben führen. Die ländliche Gesellschaft an der Saar und im Kreis Merzig bestand deshalb bis zu 90 Prozent aus Kleinbauern, Tagelöhnern und Dorfhandwerkern. Das Armutsproblem, der Pauperismus, breitete sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts immer weiter aus, zumal auch das ländliche Handwerk überbesetzt war. Die Produktion landwirtschaftlicher Güter, deren Erträge zwischen 1800 und 1860 um etwa 30 Prozent stiegen, konnte mit der sich beschleunigenden Bevölkerungsentwicklung bei weitem nicht Schritt halten.

An Reformbemühungen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge fehlte es nicht. Es kam zu einer schrittweisen Erweiterung der Anbauflächen. Die bis dahin praktizierte Dreifelderwirtschaft erfuhr eine wesentliche Verbesserung. Im Dreijahresrhythmus wurde die herkömmlich anfallende Brachfläche abwechselnd mit Klee, Hülsenfrüchten und Kartoffeln oder Rüben bepflanzt. Der Boden wurde hierdurch besser ausgenutzt und die landwirtschaftliche Produktion erhöht. Durch den Fruchtwechsel wurde auch zusätzliches Futter gewonnen. Auch der Einsatz von aus Eisen gefertigten Pflügen führte zu deutlich besseren Erträgen.

Die Verbreitung von neuem Wissen, was die Anwendung agrarwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Arbeit der Landwirte betraf, hatten sich neben den Behörden auch Vereine und Privatpersonen auf die Fahne geschrieben. Auf Betreiben der "Landwirtschaftlichen Lokalabteilung" wurden zusätzliche Futtermittel eingeführt. Gezielte Maßnahmen führten daneben zu einer Zunahme der Stallfütterung, die über die Vermehrung des Dungs auch positiven Einfluss auf den Feldbau ausübte. Die Einschränkung der Wiesenweide ermöglichte eine zweite Heumahd im Jahr, die sogenannte Grummeternte.

Große Anstrengungen wurden nicht zuletzt hinsichtlich der Verbesserung der Böden, insbesondere durch die Entwässerung sumpfiger Talwiesen, unternommen. Durch die Versumpfung gingen der landwirtschaftlichen Nutzung ungemein große Flächen an Weideland verloren. Auch der Ertrag der an die Sumpfwiesen angrenzenden Ackerflächen war nicht besonders hoch. Schon unter der französischen Regierung war es den Gemeinden durch Gesetz zur Pflicht gemacht worden, Sümpfe und sumpfige Ländereien trocken zu legen. Doch waren hier keine allzu großen Fortschritte zu verzeichnen. Das damals häufig auftretende Sumpf- und Wechselfieber war gewiss ein zwingender Grund für die spätere preußische Regierung und deren Organe, von den französischen Gesetzen im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt Gebrauch zu machen.

Vor allem im Haustadter Tal stellte die hier gegebene starke Versumpfung der Wiesen einerseits ein großes Problem für die Landwirtschaft und andererseits gleichzeitig eine große Gesundheitsgefährdung für die hier lebenden Menschen dar. Bis zum energischen Eingreifen des Bürgermeisters Dilschneider in den 1830er Jahren, wie der Haustadter Pfarrer Clotten im Jahr 1894 vermerkte, waren weite Flächen des Tales von Beckingen bis Oppen in gesundheitsgefährdendem Maße versumpft. Die versumpften Wiesen boten nämlich Stechmücken geradezu ideale Brutplätze. Dies führte dazu, dass viele Bewohner an Sumpffieber erkrankten und vor allem Kinder häufig an lebensbedrohlichen Atemwegserkrankungen litten.

Den Bewohnern war zur damaligen Zeit allerdings noch nicht bewusst, dass das Sumpffieber von Stechmücken auf den Menschen übertragen wird. Zur damaligen Zeit war man vielmehr der Überzeugung, die übermäßige Feuchtigkeit besonders in den Wintermonaten sei der Grund für die stehende Luft in den Sumpfgebieten und bilde die Ursache für die häufigen Erkrankungen. Wie Pfarrer Clotten weiter berichtete, "stieg dumpfer Brodem aus den versumpften Niederungen und lagerte bei der Enge des Tales todbringend und lähmend auf den ärmlichen Behausungen". Der aus dem Italienischen stammende Begriff Malaria (mal aria = schlechte Luft) beruht im Grunde genommen auf derselben, jedoch falschen Vermutung hinsichtlich der tatsächlichen Krankheitsursache für das Sumpffieber.

Die Erkrankungen nahmen im Haustadter Tal fast epidemische Ausmaße an. Dann wurden in den Jahren 1836 bis 1840 rund 8000 Ruten Gräben gezogen. Um sich vor Augen zu halten, was dies bedeutete, muss man wissen, dass eine preußische Rute umgerechnet 3,77 Meter umfasste. Das heißt, es wurden im Haustadter Tal rund 30 Kilometer Entwässerungsgräben gezogen. Die Zahl der Fieberkranken in den Gemeinden Beckingen, Haustadt, Honzrath, Erbringen, Hargarten und Reimsbach mit einer Gesamtbevölkerung von zu diesem Zeitpunkt rund 2240 Seelen sank daraufhin, nachdem sie 1838 noch 399 betragen hatte, auf 13 im Jahr 1840 herab.

Entwässerung zahlt sich aus

Auch wirtschaftlich rechnete sich die Wiesenentwässerung. Ein Morgen Wiesenland hatte vor der Melioration nur einen Wert von 26 bis 36 Taler, nach derselben aber 60 bis 100. Der Ertrag eines Zentners Heu von den verbesserten Wiesen stieg auf das Doppelte, also von 12 auf 24 Silbergroschen. Daneben führten die Arbeiten auch zu einem Aufschwung und Verbesserung der Viehwirtschaft. Die Wiesenentwässerung stellte allerdings so etwas wie eine Jahrhundertaufgabe dar, denn sie blieb während des gesamten 19. Jahrhunderts und noch weit darüber hinaus eine fortwährende Aufgabe. Noch heute existieren im Grunde genommen die in dieser Zeit entstandenen Wiesengenossenschaften.

Als Pionier im Bereich der Melioration der Wiesen machte sich Wilhelm Tell von Fellenberg, ein gebürtiger Schweizer und Schwager Eugen von Bochs, verdient. Der Schweizer Agrarreformer hatte im Mai 1829 die Schwester Eugen Bochs, Virginie, geheiratet. Er entwässerte die versumpften Wiesen im Gebiet Besseringen, Merzig und Brotdorf. Um 1840 baute er eine am Seffersbach an der damaligen Stadtgrenze Merzigs gelegene alte baufällige Mühle zu einem Wohnhaus um. Ganz in der Nähe begann er dann 1857 mit der Herstellung von Drainagerohren. Dies waren sozusagen die Anfänge des Merziger Werkes von Villeroy & Boch.

< Wird fortgesetzt.

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