Sonderzüge brachten „Schutzgefangene“ aus den Kriegsgebieten

Merzig · Kein Thema bewegt seit längerer Zeit die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In dieser Serie soll die Zuwanderung in die Merziger Region während der vergangenen 200 Jahre auch als eine Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt werden.

Das Schicksal der Internierung hatten auch Menschen aus dem Kreis Merzig in Frankreich erlitten. Die Merziger Zeitung hatte am 11. Dezember 1914 darüber folgendes berichtet: "Von den in Frankreich seit der Mobilmachung zurückgehaltenen Deutschen sind einzelne zurückgekehrt u.a. der Schiffer Bohnenberger aus Merzig mit seinen zwei Söhnen. Sie klagen über sehr unwürdige Behandlung. In Marseille mussten sie in Ställen schlafen und hatten das harte Pflaster unter sich mit ein paar Halmen Stroh. Das Essen war schlecht und sehr karg. Das gleiche Los teilten mit ihnen ein alter deutscher Professor und ein reicher Großindustrieller, die bei der Kriegserklärung ebenfalls nicht zeitig genug die französische Hauptstadt verlassen hatten. Wie werden dagegen die Franzosen bei uns behandelt! Bessere Pflege wie Bohnenbergers hatte die jetzt zurückgekehrte frühere Köchin von Familie Altmeyer-Hilbringen, die 15 Jahre in Paris bedienstet war und mit etwa 600 deutschen Frauen und Kindern in ein Konzentrationslager nach Lyon transportiert wurde. Dort wurde ihnen wenigstens genügend Essen und Stroh geliefert."

Umgekehrt hatte es französische Zivilisten hier in unsere Region verschlagen. Wenn die Berichte hierüber tatsächlich so zutreffend sind, wie sie nachfolgend geschildert werden, hätte sich die einheimische Bevölkerung den bedauernswerten Franzosen gegenüber überaus großherzig und menschlich anständig verhalten. Bei den Franzosen handelte es sich um Zivilisten, die aufgrund der Kampfhandlungen gezwungen waren, aus ihren Heimatorten zu fliehen und dabei den Deutschen in die Hände gefallen waren. Am 9. Dezember 1914 hatte der Dillinger Anzeiger dazu folgendes berichtet: "Beckingen, 8. Dezember - Ein eigenartig rührendes, zugleich ehrendes Schauspiel hatte viele Zuschauer angezogen. Durch einen Sonderzug waren 400 französische Zivilisten, alte Männer , Frauen und Kinder, als Schutzgefangene in den Kreis und ein Teil auch nach hier verbracht worden, um auf einige Bürgermeistereien verteilt Unterkunft zu finden. Dieselben stammen aus Orten des Kampfgebietes her, welches sie verlassen mussten, um wenigstens ihr Leben zu retten. Mit größter Opfer- und Bereitwilligkeit hatten sich Leute genug gemeldet, sich der Armen anzunehmen und ihnen Unterkunft und Pflege zu gewähren. Von auswärts liegenden Orten kamen sie auf eigens hergerichteten Wagen ihre neuen Pfleglinge abzuholen, um edle werktätige Nächstenliebe an ihnen zu üben. Gott lohne es ihnen! Ob unsere Gegner, die uns Barbaren nennen wollen, im umgekehrten Verhältnisse auch so edel handeln würden?"

Auch in der Haustadter Schulchronik findet sich in diesem Zusammenhang eine Eintragung, die folgendes besagt: "Vom 7. Dezember ab wurden hier 20 bis 30 Leute aus dem Elsass, anscheinend politisch verdächtige Leute gemischter Nation, interniert in den drei Wirtschaften Paulus, Jungfleisch und Adam. Nach einigen Tagen wurden die Männer nach Merzig abgeführt und von dort nach Holzminden, wohin die Frauen und Kinder Mitte Januar nachfolgten. Diese Leute waren teils französischer, belgischer und russischer Herkunft."

In der Stadt Merzig waren ebenfalls Teile dieser Zivilisten zunächst untergebracht, wie aus einer Notiz der Merziger Zeitung vom 22. Dezember 1914 hervorgeht: "Eine Anzahl der letzthin hier untergebrachten Franzosen und Belgier wurde gestern nach dem Lager bei Holzminden gebracht. Es waren meist rüstigere Männer , während ältere Männer sowie Frauen und Kinder noch weiter hier in Pflege bleiben."

Am 5. Januar 1915 wurden dann allerdings auch die restlichen Zivilgefangenen nach Holzminden transportiert, wie der Notiz der Merziger Zeitung von diesem Tag zu entnehmen ist: "Vor etwa vier Wochen wurden die Männer unter 50 Jahren der hier in Beckingen und Merzig internierten mittellosen französischen Zivilgefangenen nach dem Gefangenenlager Holzminden gebracht. Heute wurden auch die übrigen, etwa 130 bis 140 Personen, dorthin gebracht."

Genaue Zahlenangaben über die Kriegsgefangenen, die im Verlauf des Krieges hier an der Saar oder in der Merziger Region eingesetzt waren, sind soweit bekannt nicht vorhanden. Doch war es wohl keineswegs eine nur geringe Anzahl. Für die Bestimmung einer ungefähren Zahl ist man weitestgehend auf die Angaben und Notizen in den Zeitungen angewiesen. Die Merziger Zeitung meldete am 28. März 1916: "Ca. 150 Russen wurden am vergangenen Samstag dem Kreise Merzig zur landwirtschaftlichen Verwendung überwiesen. Auch die übrigen Kreise des Regierungsbezirks haben ihre Deputate erhalten. An geeignetem Material fehlt es ja nicht. Man ist allgemein mit den Leistungen und der Führung der Gefangenen zufrieden. Viele von ihnen sprechen schon etwas Deutsch. Kürzlich erfreute eine Dame den Wachtposten an der Chaussee unterhalb des Toxberges mit einem rosa Extrablatt, welches sie gerade erhalten hatte. Während des Lesens fragte ein Russe: ‚Ist Ruski kaputt?‘."

Es ist davon auszugehen, dass auch beim Bahnbau Merzig-Waldwiese nach der Wiederaufnahme der Arbeiten ab 1915 bis zur Fertigstellung und Inbetriebnahme der Strecke Kriegsgefangene zum Einsatz kamen. Da die Arbeiten kriegsbedingt nicht so recht vorankamen, musste der Termin der Inbetriebnahme mehrmals verschoben werden. < Wird fortgesetzt.

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