Selbst für Verliebte gibt es keinen Pardon

Merzig · Kein Thema bewegt seit längerer Zeit die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In unserer Serie wird die Zuwanderung in die Merziger Region während der vergangenen 200 Jahre auch als Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt.

 Diese Tafel erinnert in Beckingen an das traurige Schicksal der Aline Söther. Foto: Volkmar Schommer

Diese Tafel erinnert in Beckingen an das traurige Schicksal der Aline Söther. Foto: Volkmar Schommer

Foto: Volkmar Schommer

So drohte Russen und Polen bei Geschlechtsverkehr mit Deutschen die Todesstrafe, der deutsche Partner wurde mit Konzentrationslager bestraft. "Das Gefühl des Höherstehenden wird wohl eine geschlechtliche Vermischung deutscher Frauen und Mädchen mit dem niedrig stehenden Ostmenschen ausschließen", lautete eine These des Katalogs. Sowohl mit den Angehörigen der übrigen Feindstaaten als auch mit Fremdarbeitern aus verbündeten Staaten war der Geschlechtsverkehr verboten oder unerwünscht. In diesen Fällen waren die angedrohten Strafen etwas abgeschwächt, zum Teil allerdings immer noch mit Zuchthaus oder Konzentrationslager für den ausländischen und Gefängnis, Ehrverlust und Meldung an die Gestapo für den deutschen Partner bedroht.

Die für sexuelle Beziehungen zwischen Deutschen und Polen angedrohten Strafen standen dabei keineswegs nur auf dem Papier. In Fällen, in denen gegen die entsprechenden Bestimmungen verstoßen wurde und es zu einer Anzeige kam, wurden die angedrohten Strafen auch vollzogen. Dies bekamen die junge Aline Söther aus Beckingen und Myrtek Stanovitsch, ein polnischer Kriegsgefangener, in den sie sich verliebt hatte, in voller Härte zu spüren.

Alines Geschichte

Am 10. September 1923 in Beckingen geboren, hatte Aline Söther ihre Kindheit und den größten Teil ihrer Jugend in Beckingen verbracht. Nach dem Abschluss der Volksschule half sie im Haushalt der Eltern und kümmerte sich um ihre fünf Geschwister. Ihr Vater, Johann Söther, war Bergmann und betrieb eine Nebenerwerbslandwirtschaft. Im November 1940 wurden im Rahmen von Ausweisungs- und Umsiedlungsaktionen viele Bauern aus Lothringen ausgewiesen. Im Gegenzug wurden deutsche Bewirtschafter auf die leerstehenden Bauernhöfe geschickt.

Auch Johann Söther wurde Ende 1940 ein Bauernhof in dem Dörfchen Altroff im heutigen Departement Moselle zugewiesen. Und so zog die damals 17-jährige Aline mit ihrer Familie von Beckingen ins lothringische Altroff. Hier lernte sie den polnischen Kriegsgefangenen Myrtek Stanovitsch kennen und verliebte sich in ihn. Ende 1942 bemerkte Aline, dass sie schwanger war. Sehr schnell kam heraus, dass der junge Pole der Vater des ungeborenen Kindes sein musste. Der junge Mann, zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt, geriet wohl in Panik angesichts der Tatsache, dass bereits einige seiner Landsleute in ähnlich gelagerten Fällen hingerichtet worden waren. Myrtek Stanovitsch warf sich in seiner Verzweiflung vor einen Zug und schied auf diese Weise aus dem Leben.

Am 23. August 1943 brachte Aline Söther in Altroff ein Mädchen, das auf den Namen Rita getauft wurde, zur Welt. Acht Monate nach der Geburt, am 25. April 1944, erhielt die junge Mutter unter dem Vorwand der Regelung der Vormundschaftsangelegenheiten ihrer Tochter eine Vorladung auf das Bürgermeisteramt. Hier wurde sie jedoch verhaftet und ins Gefängnis nach Metz gebracht. Die kleine Rita verblieb bei den Großeltern.

Letzter Brief aus dem KZ

Im August 1944 überstellte man Aline in das Frauen-KZ Ravensbrück im Norden Brandenburgs. Von dort schrieb sie im Februar 1945 einen letzten Brief an ihre Eltern. Wenige Tage vor der Befreiung des KZs durch Einheiten der Roten Armee starb sie mit 21 Jahren. Eine Beckingerin, die ebenfalls Insassin des Frauen-KZs war, berichtete nach dem Krieg, Aline sei ums Lebens gekommen, als das SS-Bewachungspersonal noch kurz vor dem Einrücken der sowjetischen Truppen das Lager beschossen habe. Nach dem Krieg wurde Aline Söther für tot erklärt, wobei das zuständige Gericht den 8. Mai 1945, den Tag, an dem das KZ Ravensbrück befreit worden war, als Todeszeitpunkt festsetzte.

Zwar sind die Informationen, die dem Autor für die übrigen Gemeinden des Landkreises vorliegen, lange nicht so umfassend wie für den Bereich der Gemeinde Beckingen. Dennoch lässt sich festhalten, dass es im gesamten Kreisgebiet ebenfalls Unmengen von Fremd- und Zwangsarbeiter gab und gegen Kriegsende ebenso Hunderte Kriegsgefangene eingesetzt wurden. < wird fortgesetzt

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