Preisanstieg 1919 wurde saarländischen Juden angelastet

Merzig · Kein Thema bewegt in diesen Tagen die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In diesem Beitrag soll die Zuwanderung in die Merziger Region während der letzten 200 Jahre als eine Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt werden.

Sowohl für die Roma und Sinti, wie auch für die Juden lässt sich sagen, dass auch sie, wie so viele andere Zuwanderer seit der frühen Neuzeit, in die deutsche Mehrheitsgesellschaft integriert, ja durch Assimilation sogar bis zu einem gewissen Grad in ihr aufgegangen waren. Vor allem im Fall der Juden unterstreicht dies nicht zuletzt die Tatsache, dass zahlreiche Wörter jiddischen oder jüdischen Ursprungs Aufnahme in unsere moselfränkische Mundart gefunden haben.

Dennoch trat, bedingt durch Opfer und Entbehrungen, die der Krieg den Menschen auferlegte, im weiteren Verlauf des 1. Weltkrieges der rassistische Antisemitismus immer stärker zu Tage, der in der deutschen Politik einen ebenso gefährlichen wie spürbaren Einfluss ausübte. In den letzten Kriegsjahren, als der Bedarf an Sündenböcken wuchs, tauchten Unterstellungen auf, die sich gegen die Juden und ihre angeblich mangelnde Einsatzbereitschaft wandten. Man unterstellte ihnen Feigheit und Drückebergerei. "Überall grinst das Judengesicht, nur im Schützengraben nicht!", war ein für diese Zeit typischer, die Juden verunglimpfender Spottvers.

So ist es nicht verwunderlich, dass es im Herbst 1916 auf antisemitischen Druck zu einer sogenannten "Judenzählung" kam, mit deren Hilfe das Kriegsministerium die aktive Beteiligung der jüdischen Soldaten am Weltkrieg nachprüfen ließ. Das Ergebnis dieser Zählung wurde allerdings nicht veröffentlicht, so dass antisemitische Agitatoren weiterhin das Märchen von der "jüdischen Drückebergerei" verbreiten konnten. Bei einer Bekanntmachung hätten die Daten wohl das Gegenteil des von den Initiatoren der Erhebung Beabsichtigten belegt. Tatsächlich waren 1918, als das Deutsche Reich den Waffenstillstand schließen musste, 12.000 jüdische Soldaten für ihr deutsches Vaterland gefallen. Einen hohen Blutzoll mussten auch die in der Merziger Region ansässigen Juden leisten. Allein die Stadt Merzig hatte10 Gefallene zu beklagen. Bei insgesamt 207 Gefallenen waren dies 4,8 Prozent, während der jüdische Bevölkerungsanteil nur 3,3 Prozent betrug. Brotdorf und Hilbringen hatten demgegenüber je zwei Gefallene und Beckingen einer zu verzeichnen, wobei der jüdische Anteil an der Bevölkerung in diesen Ortschaften natürlich wesentlich geringer als in der Kreisstadt war.

Bis 1930 etwa kam es zu keinen nennenswerten antisemitischen Aktionen in der Saarregion, wenn man von gewissen Vorgängen im Zusammenhang mit dem Generalstreik vom Oktober 1919 absieht. Damals war in der Saargegend ein enormer Preisanstieg zu verzeichnen.

In der Ausgabe der Merziger Zeitung vom 3. Oktober 1919 wird aus Saarbrücken berichtet, dass man für ein Hühnerei, das vor dem Krieg 8 Pfennig gekostet hatte, mittlerweile 2 Mark zahlen müsse. Man schob dies allerdings nicht auf den allgemeinen Anstieg der Teuerungsrate infolge des Krieges, sondern darauf, dass "auch zum großen Teil ein schamloser Wucher und schmutzige Schiebereien mit im Spiele ist". Für jeden Eingeweihten liege das auf der Hand. "Der weitaus größte Teil unseres Volkes, soweit er nicht den Schieber- und Wucherkreisen angehört, muss nach und nach auf jedes Lebensmittel außer Brot, Kartoffeln und billigstes Gemüse verzichten - bis dem begaunerten Volke die Geduld bricht." Es lässt sich unschwer erahnen, wem man diese Misere vor allem anlastete. Agitatoren riefen die Bevölkerung zu einem Generalstreik auf, dem viele Saarländer auch Folge leisteten. Es kam in erster Linie in Saarbrücken zu Unruhen und schweren Plünderungen nicht zuletzt von jüdischen Geschäften in der Bahnhofsstraße. Der oberste Befehlshaber der französischen Besatzungstruppen an der Saar, General Andlauer, verhängte daraufhin am 7. Oktober 1919 den Belagerungszustand über das Saargebiet und sorgte durch ein rigoroses Durchgreifen für Ordnung. "37 Waffen tragende Plünderer wurden standrechtlich erschossen", meldete die Merziger Zeitung am 10. Oktober und stellte gleichzeitig fest: "Jetzt ist anscheinend Ruhe eingetreten."

Der Belagerungszustand war tatsächlich am 10. Oktober wieder aufgehoben worden, "nachdem die Unruhen, Plünderungen und dgl. im Saarstaate aufgehört haben", wie die Merziger Zeitung in ihrer Ausgabe vom 13. Oktober 1919 melden konnte. < Wird fortgesetzt.

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