Nie wieder Alkohol

Merzig · Wenn sich das Leben von heute auf morgen durch einen Schlaganfall, den Ausbruch einer schweren Krankheit, den Tod eines Angehörigen oder einen Unfall schlagartig verändert, sind Betroffene und Angehörige oftmals mit vielen Problemen konfrontiert. Ärzte, Therapeuten, Freunde und Familie können zwar helfen. Doch darüber hinaus können Selbsthilfe-Gruppen Menschen auffangen, Mut machen und durch Erfahrungen wichtige Tipps weitergeben. Die SZ stellt im Rahmen einer Serie stellvertretend einige Selbsthilfe-Gruppen im Landkreis Merzig-Wadern vor: heute Teil 3.

 Anni Gasper weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig die Selbsthilfegruppen bei der Bewältigung von Suchtproblemen sind. Foto: Sylvie Rauch

Anni Gasper weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig die Selbsthilfegruppen bei der Bewältigung von Suchtproblemen sind. Foto: Sylvie Rauch

Foto: Sylvie Rauch

"Warum kannst Du denn nicht aufhören? Warum hast Du wieder dein Versprechen gebrochen, nicht mehr zu trinken?" Diese Fragen stellte Anni Gasper ihrem Mann früher sehr oft. Er ist seit 24 Jahren trockener Alkoholiker . Doch bis er damals in eine fünfmonatige Therapie ging, musste sie vieles ertragen.

Dabei fing alles ganz harmlos an, wie die Ehefrau erzählt. Ihr Mann trank als Jugendlicher, wie es in Vereinen oder auf Festen damals üblich war, ebenso wie Kameraden und Freunde . "Das ist völlig normal", sagten ihr viele Bekannte. Doch der Alkoholkonsum steigerte sich bei ihm über die Jahre mit steigendem Druck: Führungsstelle in der Firma, ein Haus gebaut und die Familie versorgen. Um den Druck nach Feierabend loszuwerden, trank Anni Gaspers Mann. "Das ist auf Feiern immer wieder eskaliert. Und dann kam er irgendwann schon um 4 Uhr mittags betrunken nach Hause", erinnert sie sich.

Nach außen hat sie ihn über die Jahre hinweg wieder und wieder gedeckt, hat ihn in der Firma wegen Magen-Darm-Erkrankungen abgemeldet, wenn er morgens nicht in der Lage war, zur Arbeit zu gehen. Das kostete viel Kraft. Doch noch schlimmer war die ständige Unsicherheit, in welchem Zustand er wieder nach Hause kommt. Die Angst, dass er in alkoholisiertem Zustand Auto fährt, Angst, dass er den Job verliert, dass die Raten für das Haus nicht gezahlt werden können. Ein normales Familienleben war unmöglich.

Raus aus dem Teufelskreis

Die Verantwortung für alles musste Anni Gasper damals alleine übernehmen: "Ich konnte mich ja nicht auf ihn verlassen. Auch wenn er mal wieder geschworen hat, nicht mehr zu trinken. Dann ging es eine Weile gut, und wir waren glücklich. Aber es ging irgendwann immer von vorne los." Der Alkoholkonsum ihres Mannes steigerte sich schließlich so sehr, dass er per Krankenwagen von der Firma ins Krankenhaus gebracht werden musste. Oder er lag zuhause sturzbetrunken auf dem Boden, war nicht mehr ansprechbar. Solche Situationen hat auch die kleine Tochter mitbekommen. Freunde und Verwandte rieten der Ehefrau und Mutter damals, ihren Mann zu verlassen. Doch das kam für sie nicht in Frage.

Dennoch musste sich etwas ändern, denn ihre Kräfte waren aufgebraucht. "Ich konnte nicht mehr. Es gab damals nur wenige Selbsthilfegruppen - das Thema stand auch noch nicht so in der Öffentlichkeit wie heute. Als Co-Abhängige war ich einfach total hilflos. Man kann sogar sagen: So abhängig wie mein Mann vom Alkohol war, so abhängig war ich in dieser Zeit von meinem Mann", sieht Anni Gasper die Situation heute. "Es war die Hölle, und die Gefühle schlugen auch schon mal in Hass um", gesteht sie offen. Nach langen Diskussionen und dem Druck der Firma entschied sich ihr Mann schließlich, in eine fünfmonatige Therapie zu gehen.

Erst da habe sie angefangen, wieder zu leben, wieder frei zu atmen. Die tägliche Angst, wie er wieder nach Hause kommt, war endlich weg. Das Leben wurde spürbar leichter. Doch nach Ende der Therapie wartete eine neue Herausforderung auf das Ehepaar. Denn Achtung, Respekt und auch Vertrauen mussten sich erst über Jahre wieder aufbauen. "Mein Mann war ja lange Zeit, als er noch getrunken hatte, kein Partner mehr für mich. Ich musste in dieser Zeit alles kontrollieren, und es fiel mir sehr schwer, nach und nach wieder Verantwortung an ihn abzugeben", erzählt Anni Gasper. Als Paar wieder Vertrauen aufbauen und miteinander offen zu sprechen, das waren wichtige Aspekte, die die beiden nach der Therapie in der Selbsthilfegruppe des Kreuzbundes neu gelernt haben. Dort trafen sie auf Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Das Leben neu ordnen

Der Austausch untereinander war ein weiterer wichtiger Schritt. "Ich musste vor allem lernen, dass es auch um mich geht, dass ich wieder an mich denke", sagt Gasper. Sie und ihr Mann mussten ihren Alltag neu organisieren und in ihrem Leben aufräumen. Sie können heute offen und ehrlich miteinander sein, was vieles erleichtert, wie beide bestätigen. Mit ihrer Tochter haben sie auch offen über alles gesprochen, was passiert ist. Sie haben ihr erklärt, dass die Sucht eine Krankheit ist. So konnte die Tochter verstehen, was mit ihrem Vater los war, und warum manches passiert ist. Aus dieser Erfahrung heraus und durch die offenen Gespräche hat sich daraus sogar ihr Berufswunsch im sozialen Bereich entwickelt. Sie studiert Sozialpädagogik. Die Geschichte der Familie ging gut aus. Aber bis heute sind die Treffen mit der Gruppe ein fester Bestandteil im Leben des Ehepaares.

In Merzig ist der Kreuzbund in den Gruppenräumen in der Bahnhofstraße 47 zu erreichen: Dienstag bis Freitag von 19 bis 21 Uhr unter Telefon (0 68 61) 7 45 55. Außerhalb dieser Zeiten steht Werner Gasper, Vorsitzender des Kreuzbundes Merzig , als Ansprechpartner zur Verfügung, Telefon (0 68 64) 16 23. Wer Informationen zu Selbsthilfe-Gruppen im Kreis sucht oder Unterstützung bei der Gründung neuer Gruppen braucht, kann sich an die Ehrenamtbörse des Landkreises, Bahnhofstraße 44 in Merzig , Telefon (0 68 61) 8 02 65, E-Mail: ehrenamt@

merzig-wadern.de oder an die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland (KISS), Futterstraße 27 in Saarbrücken, Telefon (06 81) 9 60 21 30, E-Mail:

kontakt@selbsthilfe-saar.de wenden.

www.merzig-wadern.de

www.selbsthilfe-saar.de

www.kreuzbund-merzig.com

Anni Gasper und ihr Mann haben nach der Therapie viel Hilfe und Unterstützung in der Selbsthilfegruppe des Kreuzbundes gefunden. Inzwischen leiten sowohl sie als auch ihr Mann dort Gruppen. Dort kommen Betroffene und Angehörige zusammen, um sich auszutauschen und gegenseitig Halt zu geben. Die Gruppen des Kreuzbundes sind gemischt, dort ist jeder willkommen, der von einer Suchterkrankung betroffen ist. Beispielsweise für trockene Alkoholiker und deren Angehörige ist es wichtig zu erfahren, wie man den Weg in einen normalen Alltag wiederfinden kann. Darf man als Angehöriger Alkohol trinken? Darf überhaupt Alkohol im Haus sein? Wie offen kann und soll man mit der Erkrankung und den Folgen umgehen? Wie soll man seinen Kindern die Situation vermitteln? All dies sind Fragen, die sich so ziemlich jedem Betroffenen in diesem Zusammenhang stellen. Wie unterschiedlich die Situationen trotzdem sind, erfährt Anni Gasper selbst oft in ihrer Gruppe. So gibt es beispielsweise auch Alkoholiker , die im Rausch sehr aggressiv sind, die mit Stresssituationen überhaupt nicht umgehen können.

Drohungen, verbale und körperliche Attacken sind nicht selten. In der Gruppe kümmern sich die Menschen dann umeinander. "Wir suchen auch nach den Gründen für die Abhängigkeit, schauen wo Auslöser oder Stolpersteine sein können", sagt die Gruppenleiterin. Sie weiß aus ihrer Erfahrung und den Berichten anderer Betroffener, dass es auch wichtig ist, sich als Co-Abhängiger selbst Hilfe zu holen. Dass es nicht nur um die erkrankten Partner geht. Man schafft es nicht alleine, und nach dem Entzug ist noch lange nicht alles wieder wie vorher. Das bestätigen viele der ehemaligen Abhängigen und Co-Abhängigen. Sich gegenseitig wieder zu vertrauen und irgendwann nicht mehr zu schnuppern, ob da nicht doch wieder eine Fahne zu riechen ist, das braucht Zeit.

Anni Gasper und ihrem Mann ist es gelungen, sich als Paar wieder zu finden, sich zu vertrauen. Sie haben nach eigener Aussage ein super Verhältnis und sind stolz, es als Paar geschafft zu haben. Einen großen Anteil daran hat ihre Gruppe, das sagen beide. Deshalb sollte sich niemand scheuen, ebenfalls die Hilfe dort in Anspruch zu nehmen. Zudem ist zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand erreichbar, um in Krisen zu helfen. > Im nächsten Teil geht es um die Borderline-Persönlichkeitsstörung.

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