Merziger machten neue Erfahrungen durch die Kriegsgefangenen

Merzig · Kein Thema bewegt seit längerer Zeit die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In diesem Beitrag soll die Zuwanderung in die Merziger Region während der vergangenen 200 Jahre auch als eine Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt werden.

Es hat den Anschein, dass zumindest Teile der einheimischen Bevölkerung in der Merziger Region sich von den Berichten über die Lebensverhältnisse der Menschen im Osten nicht beeindrucken ließen und den ausländischen Kriegsgefangenen sogar Mitgefühl und Anteilnahme entgegenbrachten.

So sah sich die Merziger Zeitung beispielsweise am 30. April 1915 genötigt, das Verhalten der Bevölkerung, wobei sich das wohl in erster Linie auf die Silwinger oder die Bewohner der in der Nähe gelegenen Dörfer bezog, wie folgt zu rügen: "Es wird fortwährend versucht, den russischen Kriegsgefangenen in Silwingen Esswaren, Tabak, sogar Geld zuzustecken. Hiergegen macht eine Bekanntmachung des Kgl. Landratsamtes energisch Front und droht Strafe an."

Während man hier in der Merziger Region durch die mittlerweile eingetroffenen russischen Kriegsgefangenen neue Erfahrungen mit Fremden machte, galt dies umgekehrt in gleichem Maße auch für Soldaten aus unserer Region, die beim Fronteinsatz selbst in die Hand des Feindes gefallen und in Kriegsgefangenschaft geraten waren.

Dass auch die deutschen Kriegsgefangenen nicht nur unter dem Freiheitsentzug litten, sondern zugleich Not und Entbehrungen zu ertragen hatten, kann man sich unschwer vorstellen. Dies gilt nicht zuletzt, gerade für die Gefangenenlager in Sibirien angesichts der dort herrschenden klimatischen Verhältnisse. Aber auch in Frankreich und England waren die deutschen Gefangenen froh, ab und an Päckchen mit "Liebesgaben" aus der Heimat zu erhalten.

Die Merziger Zeitung wies ihre Leser in diesem Zusammenhang am 23. Februar 1915 auf folgende Regelungen beim Versand von Päckchen nach England hin: "Alle englischen und schottischen Eisenbahngesellschaften haben die Frachtfreiheit für die als Liebesgaben und Beihilfen für Kriegsgefangene bestimmten Gegenstände zugesichert.

Die Sendungen an deutsche Kriegsgefangene in England müssen über Blissingen-Folkestone abgefertigt werden und die deutlich sichtbare Aufschrift ‚Prisoner of War‘, die Adresse des Gefangenen mit dem Namen des Internierungslagers und den Vermerk ‚C/D. South Eastern and Chatham Railway Company's Agent, Folkestone Harbour‘ erhalten. Die Eisenbahnen in Irland haben keine Frachtvergünstigung zugestanden."

Dass es für die Gefangenen oftmals gar nicht so einfach war, ihren Angehörigen zu Hause überhaupt ein Lebenszeichen oder eine Nachricht über ihr Befinden zukommen zu lassen, geht aus der Notiz der Merziger Zeitung vom 20. März 1915 hervor: "Heute traf eine Karte des in englische Gefangenschaft geratenen Vizefeldwebels Fritz von Napolski hier ein, woraus zu ersehen ist, dass er verwundet ist. Derartige Karten aus England enthalten nur gedruckte Bezeichnungen, die wenn zutreffend unterstrichen werden dürfen. Sonst darf kein Wort auf die Karte geschrieben werden. Aufenthaltsort der Gefangenen fehlt ganz. Die französischen Gefangenen haben mehr Schreibfreiheit."

Ob die in französische Kriegsgefangenschaft geratenen Deutschen tatsächlich mehr Schreibfreiheit besaßen, darf angesichts des in der Merziger Zeitung am 28. August 1915 beschriebenen Falles eines Vermissten aus Beckingen in Zweifel gezogen werden.

Dort stand zu lesen: "Ein merkwürdiger Fall, das Auffinden eines über ein Jahr Vermissten betreffend, ereignete sich vor kurzem bei einer hiesigen Familie. Dieselbe betrauert bereits seit einem Jahr den Verlust eines Sohnes, welcher als ‚gefallen‘ gemeldet war, wobei Ort und Zeit aber nicht festzustellen waren. Es wurden Messen gelesen, Bittgänge unternommen und dergleichen. Zufällig erfuhr nun ein Bruder des ‚Gefallenen‘, dass in Saarbrücken ein Bild von einigen hundert Deutschen, die sich in französischer Gefangenschaft (Afrika) befinden, ausgestellt sei. Einige Familienmitglieder begaben sich daraufhin, ausgerüstet mit einer scharfen Lupe, an Ort und Stelle und fanden auf dem Bild zu ihrer größten Freude den Totgeglaubten unter seinen Kameraden. - Wir teilen dies zum Troste der um Vermisste Trauernden unseren Lesern hierdurch mit." Sozusagen gleich bei Kriegsausbruch waren sowohl in Deutschland als auch in Frankreich beziehungsweise in England nicht nur in Gefangenschaft geratene Soldaten in Lagern interniert worden. Vielmehr traf auch Zivilisten, die sich bei Kriegsbeginn im feindlichen Ausland aufgehalten hatten, dieses Los. Das heißt, sie wurden als potenziell Verdächtige festgenommen und über Wochen oder sogar Monate interniert. < Wird fortgesetzt.

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