Erfolg für Bietzen „Demografie ist ein Generationenproblem“

Bietzen · Der Vorsitzende des Vereins „Bietzerberg-miteinander-füreinander“ spricht über bisherige Erfolge und den Nachbarschaftspreis.

 Manfred Klein

Manfred Klein

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Hatte der Verein damit gerechnet, als Landessieger hervorzugehen?

KLEIN Zum Zeitpunkt der Bewerbung mehr gehofft als fest damit gerechnet. Der Blick in die Preisträgerlisten der vergangenen Jahre hat uns motiviert, selbst eine Bewerbung abzugeben. Bei 800 Bewerbern am Start kann man sich nur sehr schwer einschätzen.

Werden Sie am 24. Oktober in Berlin sein, wenn die Entscheidung fällt, wer Bundessieger wird?

KLEIN Ich selbst werde nur mit dem Herzen in Berlin sein. Unser Verein wird bei der Siegerehrung durch meine Stellvertreterin Therese Schmitt und Reinhard Kremer in Berlin präsent sein.

Gegen welche Konkurrenz mussten Sie sich auf Landesebene stellen?

KLEIN In der Endausscheidung verblieben 106 von 800 Bewerbern. Hierunter neben uns drei weitere saarländische Projekte: Netzwerk Nachbarschaft Wallerfangen, ein gemeinnütziger Verein der nachbarschaftliche ehrenamtliche Hilfeleistungen in der Gemeinde Wallerfangen vermittelt. Lastenfahrrad für Malstatt – „Molschder Muli“, eine Initiative, die es sich zum Ziel setzt, alternative Mobilitätsformen aufzuzeigen. Das Lastenfahrrad ist im Besitz des Stadtteilvereins „Malstatt – gemeinsam stark“, der das Lastenfahrrad allen Bürgern zur kostenosen Ausleihe zur Verfügung stellt. Bei „Gesichter unserer Stadt“ geht es darum, nicht übereinander, sondern miteinander zu reden. Dabei sollen Gemeinsamkeiten erkannt und Unterschiede anerkannt werden.

Welche Institutionen haben beim Bundeswettbewerb ihren Hut in den Ring geworfen?

KLEIN Laut Ausschreibung Nachbarschaftsprojekte mit Vorbildcharakter, die sich vielerorts für ihr lokales Umfeld einsetzen, das Miteinander stärken und das Wir gestalten.

Wie ist die Idee des Mehrgenerationendorfes entstanden?

KLEIN Auf den Ärger und den Frust über die Schließung der Grundschule folgte die Beschäftigung mit der offiziellen Begründung – dem demografischen Wandel. Als Antwort auf die Herausforderung des demografischen Wandels gründeten die drei Dörfer des Bietzerberges den Dorfübergreifenden Verein. Die vorausgehenden Dorfgespräche und der Zukunftstag haben deutlich aufgezeigt, dass unser ursprünglich grundgelegter, defizitorientierter Ansatz zu kurz gesprungen war. Demografie ist kein Problem der Alten, es ist vielmehr ein Generationenproblem. Wenngleich dieses an den urbanen Zentren nicht vorbei geht, versuchen wir seit nunmehr elf Jahren den Beweis anzutreten, dass mehr Dorf durch Mehrgenerationenarbeit erhalten bleibt oder erneut entsteht.

Haben Sie Ihr Ziel, das Sie sich am Anfang gesteckt haben, Solidarität und Wir-Gefühl zu stärken, erreicht?

KLEIN Mehr geht immer, aber rückblickend bin ich zusammen mit allen Bietzerberger Akteuren stolz, dass wir im vergangenen Jahr mit fast 250 Teilnehmern unser zehnjähriges Jubiläum feiern durften. Gleich nach der Gründung unseres Vereins sind wir als bundesweiter Leuchtturm mit dem Aufbau des Freiwilligendienstes gestartet. Unsere Arbeit fußt auf zwei Bedarfsbefragungen aller Bürgerinnen und Bürger des Bietzerberges. Ehrenamtliche aller Altersgruppen schaffen vielfältige Angebote zur Überwindung der Einsamkeit. Diese werden sehr gut und zwischenzeitlich von Menschen weit über die Grenzen des Bietzerberges und der Stadt Merzig hinausgehend angenommen.

Welche Ziele verfolgt der Verein noch?

KLEIN Unter dem Generalziel des Zusammenwirkens aller Generationen möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass der alle Befragungen durchziehende Wunsch – bis zuletzt zu Hause verbleiben zu können – möglichst lange erfüllt werden kann. Hierbei ist ein genossenschaftliches Bauen eines Mehrgenerationen-Wohn-Projektes ausgeschlossen.

Was nennen Sie als größten Erfolg des Vereins im Laufe von nun mehr als zehn Jahren?

KLEIN Den größten Erfolg des Vereins würde ich darin festmachen, dass der Verein nunmehr elf Jahre aktiv alt geworden ist. Eine Erfolgsursache ist sicherlich, dass er sich seit Gründung immer wieder aufs Neue erfindet, Ehrenamtliche an die Aufgaben bindet, das Potenzial der Helfer für den Aus- und auch den Umbau von Angeboten nutzt. Mit besonderem Stolz erfüllt mich, dass es uns, seit der Inbetriebnahme unseres Stützpunktes im alten Pfarrhaus Bietzen, gelingt, die Betriebskosten aus eigener Kraft durch unsere vielfältigen Aktivitäten zu erwirtschaften.

Was war die größte Niederlage?

KLEIN Es ist uns bislang nicht gelungen, eine hauswirtschaftliche Kraft für eine bedarfsgerechte Beschäftigung zu finden.

Welche Angebote gibt es mittlerweile im Mehrgenerationendorf?

KLEIN Montags, 10 Uhr, „Flotte Sohle“, ein Wandertreff, 19 Uhr Kreativwerkstatt; dienstags, 15 Uhr, „Flinke Nadel“ – Handarbeitsgruppe, mittwochs, 9 Uhr, Seniorengymnastik; am ersten Donnerstag im Monat, 9 Uhr, Frühstück im alten Pfarrhaus, am dritten Donnerstag im Monat Kaffeenachmittag im Bürgerhaus Menningen; einmal im Monat freitags „Musik im Schuppen“; am zweiten Samstag im Monat Bietzerberger Repair-Café. Nach Absprache Arztbesuchs-, Einkaufsdienst sowie Alltagsbegleitung. Dreimal jährlich Literarischer Stammtisch. Jugend kreativ – Bastelangebote mit Kindern und Jugendlichen. Weiterentwicklung bedarfsgerechter Angebote nach dem Motto „geht nicht gibt’s nicht“.

Wie viele Mitglieder und Unterstützer hat der Verein mittlerweile?

KLEIN Unser Verein hat Einzel- und Familienmitglieder – hier zählen wir derzeit 348 Mitglieder und darüber hinaus auch zehn institutionelle Mitglieder wie Vereine, Organisationen und die Katholische Kirchengemeinde St. Martin Bietzen. Ein enger Kooperationspartner ist seit Gründung des Vereins die CEB Hilbringen, mit der die Freiwilligenakademie Bietzerberg in gemeinsamer Trägerschaft gegründet wurde.

Gibt es Nachahmer dieser Idee des Mehrgenerationendorfes?

KLEIN Die Ausweisung als Leitbildprojekt und die erhaltenen bundesweiten Auszeichnungen haben zu zahlreichen Einladungen innerhalb des Saarlandes und weit über die Grenzen hinaus geführt. Über Dietz, Montabaur, das Rheinhessische Ober-Olm führten die Vorstellungsreisen bis ins Luxemburgische Wiltz. Wir selbst sind stets mit offenen Augen unterwegs gewesen, haben auf der Suche nach Lösungsansätzen Eichstetten am Kaiserstuhl und viele andere Praxisbeispiele zum Vorbild genommen und deren Lösungsansätze stets auf unsere Bedarfssituation angepasst.

Kann man diese Idee überhaupt eins zu eins vom Bietzerberg kopieren?

KLEIN Unsere Idee und unsere Haltung kann man sicherlich überall dort kopieren, wo sich Menschen finden, die ihre Mitmenschen gern haben und sich ehrenamtlich einbringen. Die umgesetzten Lösungen werden oftmals vergleichbar, aber nicht gleich sein. Sie hängen stets vom Bedarf und den sächlichen und personellen Ressourcen ab.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

KLEIN Zur Stabilisierung des vielfältigen Ehrenamtes wünsche ich mir professionelle Hilfe in der Gemeinwesenarbeit, um das tausendfach vorhandene Potenzial abzurufen. Es gilt, im Sinne der Subsidiarität den „schlafenden Riesen“ der Dorfgemeinschaft zu wecken, so dass der Prozess in den vorhandenen Strukturen und Auffangbecken beständig in Gang fortgesetzt, ausgebaut und dauerhaft gesichert werden kann.

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