Interview mit Lars Brandt „Bei ihr geht es nie um vordergründige Realität“

Vor dem Norwegen-Abend in Merzig spricht der Übersetzer über das Werk von Dagny Juel und seine Beziehung zu Norwegen.

 Lars Brandt wurde 1951 in Berlin geboren, lebt in Bonn und ist tätig als Maler, Übersetzer und Filmemacher. Mit dem Verleger Stefan Weidle stellt er in Merzig die Lebensgeschichte der Schriftstellerin Dagny Juel vor.

Lars Brandt wurde 1951 in Berlin geboren, lebt in Bonn und ist tätig als Maler, Übersetzer und Filmemacher. Mit dem Verleger Stefan Weidle stellt er in Merzig die Lebensgeschichte der Schriftstellerin Dagny Juel vor.

Foto: Renate Brandt

Ihre Mutter Rut war Norwegerin, Ihr Vater verbrachte einige Jahre in Norwegen. Inwieweit wuchsen Sie mit Norwegen, seiner Sprache, Kultur und Bräuchen auf?

BRANDT Die Normalität meines Elternhauses war zweisprachig, Literatur und Presse eingeschlossen. Das ist aber unübersehbar schon ein paar Jahre her. Die Beschäftigung mit Dagny Juel berührt sich damit nur insofern, als dass ich halt der norwegischen Sprache mächtig und ein wenig mit Land und Leuten vertraut bin.

Was macht Norwegen im Vergleich zu Deutschland besser und wie oft waren Sie bereits dort?

BRANDT In meiner Jugend war ich mehr in Norwegen als heute. Mir gefiel dort nicht zuletzt, dass in den Gewässern tatsächlich Fische anzutreffen waren. So wie früher stellenweise ja auch hier noch, etwa in der forellenreichen Ruwer.

Sie veröffentlichen zusammen mit Stefan Weidle ein Buch über die gesammelten Werke von Dagny Juel. Woher stammt diese Idee und Ihr Interesse an der Autorin?

BRANDT Der Verleger Stefan Weidle wusste, dass ich die Sprache kann, und fragte mich, ob ich Juels knappes, aber nicht kleines – und hauptsächlich in Deutschland entstandenes, aber noch nie in unsere Sprache übersetztes – Werk übertragen wolle. Er hielt es wohl für vorteilhaft, wenn das nicht von einem Übersetzer, sondern von einem Künstler erledigt würde, ich denke, so kam er auf Lars Brandt. Wie sich herausstellte, ergaben sich für mich durch die Beschäftigung mit der von zahllosen Legenden umrankten Autorin Juel und ihrem Leben im bürgerlichen Norwegen, in der Berliner und Krakauer Boheme bis hin zu ihrem frühen furchtbaren Tod auf dem Kaukasus durch die Hand eines ihrem Mann, dem Schriftsteller und Satanisten Stanisław Przybyszewski, verbundenen Mörders äußerst farbige und interessante Einblicke in eine Epoche, die von enormen Umbrüchen geprägt war. Das ausgehende 19. Jahrhundert überforderte die Menschen gründlich und erinnert darin nicht zuletzt auch an unsere Zeit. In einem Essay, der die zweite Hälfte des Buchs ausmacht, ging ich auf die verschiedenen Aspekte der Geschichte ein.

Warum haben Sie sich für diese Gesamtausgabe entschieden? Was macht die Texte von Dagny Juel aus?

BRANDT Dagny Juels Werk ist nicht umfangreich, der Band „Flügel in Flammen“ enthält alle bekannten Schriften von ihr. Sogar in Norwegen sind sie erst seit wenigen Jahren vollständig veröffentlicht, und hier waren sie überhaupt unbekannt. Es bot sich an, durch die Übersetzung erst einmal eine Basis für die Beschäftigung mit ihrem Schaffen auch in Deutschland zu schaffen. Das ist kein umfangreiches, dafür aber ein sehr konzentriertes Werk. Ihre Dramen, Gedichte und Erzählungen enthalten auf engstem Raum reichlich Stoff in eingedampfter Form. Interessant ist dabei auch, dass Dagny Juel ihre Figuren, also auch die Frauen, nicht idealisiert, wie es andere Schriftstellerinnen ihrer Zeit taten, um den Anspruch auf Gleichberechtigung zu untermauern. Bei ihr geht es auch nie um die vordergründige Realität mit ihren sozialen und moralischen Seiten, sondern um die mehrbödige Wirklichkeit der Gefühle im Innern der Menschen mit ihrem unbedingten Herrschaftsanspruch.

Was war Ihnen beim Übersetzen der Texte wichtig? Welche Faktoren mussten dabei berücksichtigt werden?

BRANDT Mir lag daran, den charakteristischen Ton und die eigentümliche Atmosphäre zu bewahren. Juels Sprache ist literarisch und nicht vom Umgangston geprägt, sie hat eine historische Tiefendimension und spiegelt stark den Einfluss der schwedischen und dänischen Sprache. Norwegen war ja lange dänisch und schwedisch dominiert, auch noch zu Juels Zeit, und erlangte erst spät dauerhafte staatliche Eigenständigkeit.

Norwegen ist in diesem Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse gewesen. Gibt es für Sie Unterschiede in der norwegischen Literatur im Gegensatz zur deutschen oder anderen?

BRANDT Man kann einfach nur staunen, was dieses Land an Literatur von internationaler Geltung hervorbringt – nicht erst heute, wenn man nur an Ibsen oder Hamsun denkt – und jetzt eben auch an Dagny Juel.

Welches Buch hat Sie zuletzt begeistert und warum?

BRANDT Durchsichtige Dinge, Vladimir Nabokovs vorletzter Roman und der letzte von ihm, den ich bislang nicht kannte. Nabokov zu lesen ist für mich immer ein spezieller Genuss – so auch in diesem Fall: dichte Poesie, gesättigt mit erotischem Wirklichkeitssinn, strahlender Intelligenz und alles durchdringendem Humor.

An welchem Projekt arbeiten Sie derzeit?

BRANDT An einem Theaterstück, das vom Schauspiel Frankfurt im kommenden Frühjahr uraufgeführt werden soll.

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