Kampf zwischen Kirche und Staat entbrennt

Merzig · Ganz unabhängig hiervon hatte noch während des deutsch-französischen Krieges auch die Zentrumspartei an der Saar begonnen, sich zu formieren. In einem Aufruf zur Wahl des preußischen Abgeordnetenhauses im November 1870 forderte der Trierer Bischof Matthias Eberhard (1867-76) die katholischen Wähler auf, Männern mit christlicher Glaubenstreue und kirchlicher Gesinnung die Stimme zu geben. Der im Wahlkreis Saarburg-Merzig-Saarlouis gewählte Dechant Hecking aus Saarlouis schloß sich der Zentrumsfraktion an. Auch bei der ersten Reichstagswahl im März 1871 setzte sich in diesem Wahlkreis der Zentrumskandidat durch, offiziell unterstützt durch einen Wahlaufruf der Dechanten von Merzig, Saarburg und Lebach. Seitdem blieb dieser Wahlkreis die Hochburg des Zentrums im Saarrevier.

 Die Karikatur („Der Hochwald“) zeigt Reichskanzler Bismarck und Papst Pius IX. beim Schachspiel. Nach dem Krieg von 1870/71 sah der Kanzler den geeigneten Zeitpunkt, der Kirche den Kampf anzusagen. Dass dabei die Zentrumspartei, für ihn der politische Arm der Kirche, mit in den Kampf hineingezogen wurde, ergab sich zwangsläufig. FOTO: GLUTTING

Die Karikatur („Der Hochwald“) zeigt Reichskanzler Bismarck und Papst Pius IX. beim Schachspiel. Nach dem Krieg von 1870/71 sah der Kanzler den geeigneten Zeitpunkt, der Kirche den Kampf anzusagen. Dass dabei die Zentrumspartei, für ihn der politische Arm der Kirche, mit in den Kampf hineingezogen wurde, ergab sich zwangsläufig. FOTO: GLUTTING

Dem Zentrum kam dabei zugute, dass der Reichstag, im Gegensatz zu dem in Preußen herrschenden Dreiklassenwahlrecht, nach dem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht gewählt wurde; wahlberechtigt waren alle Männer ab 25 Jahren. Demgegenüber hielt vor allem Preußen bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Gemeindevertretungen an seinem ungleichen, indirekten Dreiklassenwahlrecht fest. Dieses Wahlrecht teilte die Wähler nach ihrem direkten Steueraufkommen in drei Klassen ein. Die erste Klasse der am höchsten Besteuerten umfasste aus diesem Grund 1908 nur vier Prozent der Wähler, durfte aber ebenso viele Wahlmänner stellen wie die dritte Klasse mit rund 82 Prozent der Wahlberechtigten.

Das Zentrum selbst trug allerdings auch dazu bei, antiklerikale Schreckbilder zu bekräftigen. Gleich bei seinem ersten Auftreten im neuen Reichstag am 30. März 1871 hatte die Zentrumsfraktion eine Adresse eingebracht, in der die Reichsregierung aufgefordert wurde, sich für die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes einzusetzen. Der Kirchenstaat war nämlich im September 1870 durch italienische Truppen besetzt worden. Für die Liberalen war dieses Ansinnen ein Beweis dafür, dass das Zentrum seine Weisungen "ultra montes", das heißt"von jenseits der Berge", also vom Papst, empfange. Mithin stelle der Katholizismus die Loyalität gegenüber Rom höher als die Verpflichtung gegenüber der eigenen Nation. Bismarck wiederum wertete den Vorstoß des Zentrums als einen Angriff auf seine ureigenste Domäne, die Gestaltung der auswärtigen Politik. Im Sommer 1871 entfesselte er eine Pressekampagne gegen das Zentrum, die, wie es damals hieß, "ultramontane Partei".

Ende Juni 1871 holte Bismarck zum ersten Schlag aus, indem er die katholische Abteilung im preußischen Kultusministerium auflösen ließ. Der Konflikt verschärfte sich durch den Ende 1871 als Paragraf 130 a in das Strafgesetzbuch eingefügten "Kanzelparagraphen". Dieser stellte jeden Geistlichen, der Angelegenheiten des Staates "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündung oder Erörterung" machte, unter Strafe.

Den nächsten Schlag führte Bismarck mit dem Schulaufsichtsgesetz vom 11. März 1872, das dem Staat die Aufsicht über alle öffentlichen und privaten Schulen und das alleinige Recht zur Ernennung der bis dahin von den Kirchen gestellten Schulinspektoren zusprach.

Ihren Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung im Mai 1873, als eine Reihe von Gesetzen, die später als "Maigesetze" bezeichnet wurden, in Kraft trat. Dadurch griff der Staat ganz massiv in die inneren Belange der Kirche ein. Dies kam ganz besonders im "Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen" zum Ausdruck. Danach durfte nur noch in das Amt des Pfarrers berufen werden, wer Gymnasium und Universität besucht und neben der theologischen Prüfung ein zusätzliches "Kulturexamen" in Philosophie, Geschichte und deutscher Literatur abgelegt hatte. Für die Besetzung eines geistlichen Amtes galt eine Anzeigepflicht; ohne Zustimmung der Staatsbehörden durfte danach kein Geistlicher angestellt oder versetzt werden.

Als sich die katholischen Bischöfe weigerten, die Maigesetze anzuerkennen, antwortete Bismarck mit einer weiteren Verschärfung der Kampfmaßnahmen: Ein im Mai 1874 verabschiedetes Gesetz bot die Handhabe, Geistliche, die ihr Amt ohne Zustimmung der staatlichen Behörde ausübten, an ihrer Tätigkeit zu hindern, auch durch Ausweisung aus dem betreffenden Ort oder gar durch Ausbürgerung. Ein Jahr später folgte das "Brotkorbgesetz", das die Einstellung aller finanziellen Zuwendungen an die Kirche vorsah, solange sich die Geistlichen nicht auf die Beachtung der "Maigesetze" verpflichtet hatten.

Doch Bismarck hatte die Widerstandskraft der katholischen Kirche unterschätzt. Sein Versuch, einen Keil zwischen Bischöfe und Gläubige zu treiben, scheiterte. Ganz im Gegenteil schweißte die Verfolgung Klerus und Kirchenvolk erst recht zusammen. Kein katholisches Seminar übernahm das staatliche "Kulturexamen" und auch nicht ein einziger preußischer Bischof erfüllte die Anzeigepflicht bei der Besetzung der Stellen der Pfarrgeistlichen. Wurden Geldstrafen wegen Missachtung der "Maigesetze" verhängt, weigerte sich die Geistlichkeit zu zahlen. Wurde daraufhin ihr Eigentum gepfändet und zwangsversteigert, gab es immer wieder Anlass zu Protestkundgebungen. Schließlich gingen die Behörden dazu über, die unbotmäßigen Geistlichen, darunter auch einige prominente Bischöfe , zu verhaften und ins Gefängnis zu werfen.

Auch der Trierer Bischof Matthias Eberhard bekam die Auseinandersetzung mit der Staatsmacht am eigenen Leib schmerzlich zu spüren. Als er die staatliche Kontrolle der Priesterausbildung verweigerte, verfügte die Regierung am 29. Dezember 1873 die Schließung des Trierer Priesterseminars. Erst 1886 wurden Priesterseminar und bischöfliches Konvikt wiedereröffnet. Auch nach der Schließung des Seminars ging die Regierung gegen den Bischof mit gerichtlichen Vorladungen, hohen Geldstrafen und Pfändungen vor. Da weder diese Maßnahme noch die Sperrung seines Gehalts die Haltung des Bischofs ändern konnte, wurde er am 6. März 1874 verhaftet und ins Trierer Gefängnis gebracht. Dort blieb er fast zehn Monate, bis zum 31. Dezember 1874, inhaftiert. Auch nach seiner Haftentlassung verweigerte Bischof Eberhard die Befolgung der "Maigesetze" und musste nun mit der staatlichen Amtsenthebung rechnen. Er entschloss sich daher, nach Luxemburg ins Exil zu gehen. Hierzu kam es jedoch nicht mehr, da der Bischof am Morgen des 30. Mai 1876 einem Herzanfall erlag. Nach dem Tod Eberhards blieb das Bischofsamt in der ältesten Diözese Deutschlands fünf Jahre lang, bis zur Inthronisation des Bischofs Michael Felix Korum am 25. September 1881, vakant.

Der katholische Klerus fühlte sich durch die Gesetze des preußischen Staates in die Defensive gedrängt und sah die in der preußischen Verfassung verankerte Religionsfreiheit bedroht. Bischöfe und Priester riefen vor Wahlen daher die Katholiken dazu auf, Abgeordnete zu wählen, die die Interessen der katholischen Kirche vertreten sollten. Durch die Bestimmungen des Kanzelparagraphen musste es daher unweigerlich zu Konflikten zwischen der Staatsgewalt und den Priestern kommen.

Dies war aus eben diesem Grund zum Beispiel in Düppenweiler der Fall. Hier hatte Pfarrer Greif, wie ihm der damalige Merziger Landrat Baron v. Louisenthal in einem Schreiben vom 17. Juni 1874 vorwarf, bei den Abgeordneten- und Reichstagswahlen in "leidenschaftlicher und parteiischer Weise eine Agitation eingeleitet, wodurch moralischer Druck ausgeübt und die Stimmung der Wahlberechtigten corrumpiert und gefälscht" worden sei. Greif hätte "sowohl zur Zeit der Wahl, wie auch späterhin, die Einwohner, welche sich einer anderen Parteirichtung angeschlossen hatten, in privaten und öffentlichen Kreisen, insbesondere aber von der Kanzel herab und selbst im christlichen Unterricht, dem Hasse, der Verachtung und der Verfolgung ausgesetzt". Weiterhin wurde ihm vorgeworfen, in den Predigten häufig statt religiöser und christlicher Angelegenheiten politische Gegenstände verhandelt zu haben, wobei er eine "der Staatsgewalt abgeneigte und eine den Maigesetzen widerstrebende Stimmung bei den Zuhörern hervorzurufen gesucht" hätte. Ein weiterer Vorwurf lautete, dass durch "moralischen Druck" des Pfarrers auf die Wahlberechtigten auch die Gemeinderatswahlen "corrumpiert" worden seien. Letztlich wurde Pfarrer Greif noch vorgeworfen, seine Stellung als Ortsgeistlicher auch dadurch missbraucht zu haben, indem er in Kanzelreden Ortseinwohner, die ihm durch Privatdifferenzen missliebig geworden seien, verächtlich gemacht habe. "Der Friede in der Gemeinde und in den Familien", so wurde abschließend unterstellt, "sei durch Ihre Betätigung und Ihr Auftreten gestört".

Es hat den Anschein, dass sich in der Gemeinde, die zu diesem Zeitpunkt ausschließlich aus Katholiken bestand, dennoch ein nicht geringer Teil der Bevölkerung gegen den Pfarrer stellte und sich eher den Zielen Bismarcks verpflichtet fühlte. Einleitend hatte Landrat Baron v. Louisenthal in seinem Schreiben nämlich dem Pfarrer schon folgendes mitgeteilt: "Eine große Anzahl von Gemeinde-Einwohnern hat den Herrn Oberpräsidenten gebeten, Einspruch gegen Ihre definitive Anstellung zu erheben und sie in dieser Weise aus Ihrer Stellung zu entfernen." Ob die in dem Schreiben erhobenen Vorwürfe gegen den Pfarrer in allen Punkten zutreffend waren, lässt sich aus den vorhandenen Unterlagen nicht mehr ersehen. Greif spricht in einem Schreiben an das bischöfliche Generalvikariat in Trier vom 20. Juni 1874 lediglich davon, dass es sich um die "Anschuldigungen einer liberalen Clique" handele. Bemerkenswert ist allerdings die Tatsache, dass eine Gruppe von Düppenweiler Bürgern versuchte, dem Pfarrer im Jahre 1874 die "definitive Anstellung" zu versagen, nachdem Jakob Greif bereits im Jahre 1862 vom Trierer Bischof in sein Amt als Pfarrer von Düppenweiler bestellt worden war. Bei dieser erneuten Anstellung muss es sich somit um eine nachträgliche Bestätigung dieser Berufung durch die staatlichen Behörden aufgrund der Bestimmungen der bereits angesprochenen "Maigesetze" von 1873 gehandelt haben. < wird fortgesetzt

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