Industrialisierung nimmt langsam Fahrt auf

Merzig · Das bei Münchweiler gelegene Hüttenwerk wurde im Juli 1818 von Baron von Zandt zur Versteigerung angeboten. Es ging daraufhin 1819 in den Besitz der Dillinger Hütte über. Von Eisengewinnung war nun in Münchweiler nicht mehr die Rede. Im Jahr 1834 erzeugten 16 Arbeiter hier mittels eines Großhammers und zwei Frischfeuern, die kurze Zeit später um sechs erweitert wurden, allerdings noch 270 Zentner Stabeisen für die Blechfabrikation in Dillingen. Im Jahr 1868 wurde der Betrieb in Münchweiler schließlich ganz eingestellt und nach Dillingen verlegt.

 Jean-Francois Boch hatte 1809 die säkularisierte Benediktiner-Abtei St. Peter in Mettlach erworben und eine mechanisierte Geschirrfabrik eröffnet. Foto: Rolf Ruppenthal

Jean-Francois Boch hatte 1809 die säkularisierte Benediktiner-Abtei St. Peter in Mettlach erworben und eine mechanisierte Geschirrfabrik eröffnet. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

Gerade die Dillinger Hütte entwickelte sich ab der Jahrhundertmitte nach und nach zu einem der größten Eisenproduzenten an der Saar. An dem Unternehmen war auch die für die saarländische Hüttenindustrie sehr bedeutsame Familie Stumm beteiligt. Stumm besaß seit 1828 sogar die Aktienmehrheit an der Dillinger Hütte . Die Eisenindustrie hatte es im Vergleich zum Kohlebergbau zunächst allerdings wesentlich schwerer. Um mit der ausländischen Konkurrenz, vor allem aus England und Belgien, mithalten zu können, war man gezwungen, in der Erzverhüttung von Holzkohle auf Koks (ab 1840), in der Stabeisen- und Stahlbereitung auf den steinkohlenbeheizten Puddelofen (ab 1831), in der Fertigung vom Hammer auf die Walze (ab 1831), also von Wasser- auf Dampfkraft, umzusteigen. Hinzu kam durch das Ausweichen auf auswärtige Erze ein deutlicher Anstieg der Transportkosten.

Eisenproduktion verdoppelt

Die Eisenproduktion in der Saarregion verdoppelte sich von 1815 bis 1830 zwar von 3000 auf 6000 Tonnen, stagnierte aber dann rund 15 Jahre lang und stieg schließlich von 1845 bis 1850 schwungvoll auf 8000 Tonnen an. Die zugehörigen Beschäftigungszahlen in den Eisenwerken beliefen sich im Jahr 1815 auf bescheidene 348, im Jahr 1835 auf 617 und im Jahr 1850 auf lediglich 1368 Arbeiter .

In der Keramikindustrie gab es 1846 vier Betriebe mit einem lokalen Schwerpunkt an der mittleren und unteren Saar, die 723 Arbeiter beschäftigten. Mit diesem Wirtschaftszweig ist besonders der Name Boch verbunden. Jean-Francois Boch hatte, wie bereits ausgeführt, 1809 die säkularisierte Benediktiner-Abtei St. Peter in Mettlach erworben und eine mechanisierte Geschirrfabrik eröffnet. Das in einer Berliner Ausstellung 1822 präsentierte Steingut wurde schon mit einer Goldmedaille prämiert. Patriarchalisches Denken hatte Boch bereits 1819 veranlasst, eine Kranken-, Witwen- und Waisenunterstützungskasse einzurichten. Der finanziellen Absicherung der Arbeiter in Notzeiten sollte des Weiteren eine Spar- und Darlehenskasse dienen.

Um auf dem europäischen Markt bestehen zu können, hatte das Unternehmen Bochs mit dem Konkurrenten Nicolas Villeroy aus Wallerfangen fusioniert. Das 1836 gegründete Unternehmen Villeroy & Boch expandierte in der Folgezeit in Deutschland sowie nach Frankreich und Belgien. Der Firmenzusammenschluss wurde durch die Heirat zwischen Eugen Anton Boch und der Schwester Alfred Villeroys, Octavie Sophie, 1842 besiegelt. 1843 eröffneten Villeroy & Boch mit der Kristallerie Wadgassen auch ihr erstes gemeinsames Werk zur Glasherstellung. Um 1850 waren im Mettlacher Werk rund 410 Arbeiter beschäftigt.

In unserer Region hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu also lediglich der Landstrich um Dillingen ein etwas stärkeres industrielles Gepräge angenommen, schließlich mit Abstrichen auch Mettlach mit seiner keramischen Industrie. Ansonsten stellten sich die gewerblichen Betriebe, die es damals im Kreisgebiet gab, als sehr übersichtlich dar. Zwar gab es, wie einem Bericht der Merziger Volkszeitung vom 25. August 1930 zu entnehmen ist, im Kreis zwölf Betriebe, die den hier angebauten Tabak weiterverarbeiteten, davon in Merzig allein sieben, während sich die restlichen in Wadern und Nunkirchen befanden. Unter diesen Betrieben war auch die 1824 gegründete Tabakfabrik Fuchs, die bis 1960 bestand und sich im Lauf der Zeit zu einer der bedeutendsten saarländischen Tabakfabriken entwickelte. Zur Mitte des Jahrhunderts beschäftigten die erwähnten zwölf Firmen insgesamt jedoch nur 87 Arbeiter und verarbeiteten 2475 Zentner Rohtabak. Die Fabrikation von Zigaretten betrug damals 2 542 500 Stück.

Ein größerer Betrieb war noch in Merzig die Wollspinnerei der Gebrüder Gusenburger. Sie löste die Handarbeit der Leineweber durch die Maschine ab und beschäftigte 30 Arbeiter . Die Maschinerie der Spinnerei trieb eine Dampfmaschine von 12 PS an. Jährlich wurden hier an die 300 Zentner Rohwolle verarbeitet. Absatzgebiete waren das Saarbrücker Land, Eifel, Mosel, Hochwald, die Rheinpfalz und Luxemburg.

Zu dieser Zeit gab es im Kreis noch eine Reihe von Bierbrauereien . Zählte man 1816 nur sieben im Ganzen, in Merzig fünf und in Losheim und Wadern-Dagstuhl je eine, so gab es 1849 in Merzig fünf, in Losheim und Hilbringen je zwei, in Mettlach, Dagstuhl und Lockweiler je eine und in Wadern vier Brauereien. 1864 gab es in Merzig nur mehr drei und in Hilbringen keine mehr. Allerdings handelte es sich bei der Mehrzahl dieser Betriebe im Allgemeinen um kleinere Hausbrauereien, die ihr Bier lediglich für den eigenen Ausschank produzierten.

Ansonsten sollte noch Erwähnung finden, dass sowohl Ziegeleien, als auch Lohgerbereien einen erwähnenswerten Wirtschaftsfaktor darstellten. Im Jahr 1864 gab es elf Ziegeleien im Kreis, von denen sich allein neun in der Bürgermeisterei Hilbringen befanden. Jede der Ziegeleien brannte im Jahr ungefähr 30 000 Stück. Absatzgebiete waren neben dem Kreisgebiet Merzig, die Kreise Saarburg und Saarlouis und auch das nahe Frankreich, das heißt die in Lothringen gelegenen grenznahen Ortschaften. Die produzierten Ziegel ermöglichten es den Menschen hier in der Merziger Region, die bis dahin mit Stroh gedeckten Dächer nach und nach durch Ziegeldächer zu ersetzen. Wie man sich die Häuser in den Dörfern in unserer Region zu jener Zeit in etwa vorstellen kann, ist beispielsweise der Schulchronik von Düppenweiler zu entnehmen. In einer Beschreibung, die um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert entstanden ist, heißt es dort: "Die ältesten Häuser waren ausschließlich einstöckig und teilweise aus Lehm gebaut, weshalb man noch jetzt den zweiten Stock der neuen oder auch erweiterten Häuser ‚Speicher‘, den eigentlichen Speicher aber ‚obersten Speicher‘ nennt. Zwei Häuser und die Kirche haben Schieferdächer, während alle anderen mit roten, seltener schwarz glasierten Ziegeln gedeckt sind. Auch die wenigen, insgesamt noch drei Strohdächer werden nach Aussage der Besitzer bald einer Ziegelbedeckung weichen müssen. Die meisten Häuser haben zugehörige Ökonomiegebäude, und da diese den größten Teil des Bauplatzes einnehmen, so sind die Wohnräume oft sehr beschränkt und durchgehend niedrig. Der Raumersparnis halber führt der Hausgang oft in die Küche, ja in den alten Gebäuden ist diese letztere nichts anderes als der erweiterte Hausflur, weshalb dieser vom Volke schlechtweg ‚Küche‘ genannt wird. Die Fenster sind allgemein klein und die sie umfassenden Steine und Fensterläden wurden noch vor wenigen Jahren mit Vorliebe in grellen Farben, rot, blau oder grün gestrichen, doch zieht man zartere Farben vor."

Zur Zeit der preußischen Herrschaftsübernahme 1816/17 gab es im Kreis 18 Lohgerbereien, deren jährlicher Verbrauch an Lohe 2000 Zentner betrug. 1865 waren 19 Gerbereien vorhanden, von denen sich sechs in Losheim, fünf in Wadern, drei in Merzig, zwei in Weiskirchen und in Hilbringen sowie in Mettlach je eine befanden. Der Gesamtverbrauch an Lohe betrug 1865 demgegenüber 12 620 Zentner.

Um diese Zeit bestand in Krettnich auch noch ein Braunsteinbergwerk, bei dem 25 bis 30 Arbeiter beschäftigt waren. Jährlich wurden 700 Zentner Manganerze, die man auch als Braunstein bezeichnet, zu Tage gefördert. Dieses Gestein wurde zum einen in den Glashütten für die Glasproduktion und zum anderen zum Bleichen von Leinengewebe benötigt. Da die Flachsfaser den Grundstoff für Leinengewebe bildet, wurde der Anbau von Flachs im 19. Jahrhundert von staatlicher Seite gefördert. In einigen Orten der Merziger Region wurde daher diese Pflanze angebaut. In manchen Orten, wie beispielsweise in Reimsbach und Oppen, erinnern heute noch Flurnamen, wie "Tuchbleiche" und "Brech" oder "Brechkaul" an den bis etwa 1875 betriebenen Flachsanbau.

Es gab zu dieser Zeit auch eine Reihe von Gipsgruben in der Region. Bei Merzig waren es zwei, zum einen die von Fellenbergsche und zum anderen die Seilersche. Erstere förderte im Jahr 25 000 bis 30 000 Zentner zu Tage, die in zwei Öfen gebrannt wurden, die Letztere 4500 bis 5000 Zentner. Rechnet man die übrigen Gipsgruben des Kreises in Merchingen, Mondorf, Fitten und Fickingen (Saarfels) noch hinzu, so ergab sich eine Gesamtförderung von rund 40 000 Zentnern. Kalköfen gab es 25 bis 30, die jedoch nicht ständig brannten, sondern meistens nur bei Bedarf. Dabei wurden insgesamt 100 000 Tonnen Kalk gebrannt.

Not und Alltagskriminalität

Man kann aus diesen Angaben ersehen, dass die Zahl größerer wirtschaftlicher Unternehmungen im Kreisgebiet insgesamt gesehen doch noch recht bescheiden war. In einer ländlichen Region, wie sie der Kreis Merzig damals darstellte, arbeitete der größte Teil der Bevölkerung nicht in Fabriken, sondern als Tagelöhner in der Landwirtschaft , im dörflichen oder kleinstädtischen Handwerk oder in Heimarbeit. Allerdings herrschte gerade in den Gebieten, in denen der Industrialisierungsprozess noch nicht eingesetzt hatte, die größte Not. Der relativ geringe Produktivitätsanstieg in den hier zum Tragen kommenden wirtschaftlichen Bereichen konnte das bereits beschriebene enorme Bevölkerungswachstum, das nach 1815 bis etwa 1850 auch im Kreis Merzig zu verzeichnen war, nicht auffangen.

Volkswirte würden sagen, dass das Prinzip von Angebot und Nachfrage nicht funktionierte. Schlechte Ernten hatten die Situation der Armen erheblich verschärft. Ein Mangel an Grundnahrungsmitteln trieb deren Preis in die Höhe. Tagelöhner mussten mehr arbeiten, um sich zu ernähren. Es kam zu einem Überangebot an Arbeit, das auf der anderen Seite zu einem Verfall der Löhne führte. Viele Menschen waren trotz schwerster Arbeit nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Auch Krankheit, Unfälle und das Alter konnten die Arbeitsfähigkeit gefährden und die Betroffenen dadurch in die Bedürftigkeit stürzen. Aus Verzweiflung flüchteten sich viele bedürftige Arme in eine Art von "Notkriminalität". Durch den Diebstahl von Feldfrüchten und Holz, Wilderei und Schmuggel versuchten sie ihre Situation zu verbessern. Holzdiebstähle gehörten deshalb auch zur weit verbreiteten Alltagskriminalität des Vormärz. < Wird forgesetzt.

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