Gesichter mit dem ganzen Adel demütiger Menschen

Merzig · Kein Thema bewegt seit längerer Zeit die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In unserer Serie wird die Zuwanderung in die Merziger Region während der vergangenen 200 Jahre auch als Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt.

Während die deutschen Arbeiter weitgehend in Privathäusern einquartiert waren, wurden die ausländischen Arbeitskräfte in Lagern untergebracht. Am 10. Oktober 1944 waren 400 ausländische Arbeitskräfte aus dem Gau Hessen-Nassau im früheren RAD-Lager in Beckingen einquartiert. Sie hatten täglich etwa 11 Stunden schwere Arbeit, dazu oft einen An- und Abmarsch von zwei Stunden bei nur einer Stunde Pause, zu bewältigen. Die sanitären und hygienischen Verhältnisse in den Lagern waren vollkommen unzureichend, so dass es zu hohen Ausfällen infolge Krankheit und Erschöpfung kam.

Seit Oktober 1944 waren auch einige hundert ausländische Arbeiter in den RAD-Lagern Düppenweiler und Reimsbach untergebracht. In Düppenweiler handelte es sich um russische Kriegsgefangene . Im Reimsbacher Lager waren dagegen vorwiegend russische und ukrainische Zwangsarbeiter untergebracht. Während die Kriegsgefangenen beim Näherrücken der Front im November 1944 wieder evakuiert wurden, befanden sich Zwangsarbeiter noch im Reimsbacher RAD-Lager, als dieses bereits durch den Volkssturm belegt war. Ein russischer Kriegsgefangener namens Iwan Negrub wurde im November 1944 kurz vor der Auflösung des Düppenweiler Lagers von einem Wachmann in Beckingen erschossen.

Reimsbacher Zwangsarbeiter wurden beispielsweise beim Bau von Panzersperren im Bereich von Düppenweiler eingesetzt. Sie wurden morgens unter der Bewachung von Volkssturmangehörigen auf die Arbeitsstellen geführt und abends wieder in die Unterkünfte zurückgebracht. Auf ihrem Marsch wurden den Gefangenen von Zeit zu Zeit auch Lebensmittel von der Bevölkerung zugesteckt, was den Unwillen der Parteifunktionäre hervorrief und von diesen nicht gerne gesehen wurde.

Wegen Plünderns erschossen

Aber nicht nur die Parteifunktionäre zeigten sich den Zwangsarbeitern gegenüber herzlos und unmenschlich. Im Sterberegister der Bürgermeisterei Haustadt sind sechs Sowjettote registriert. Davon ist bei Vieren als Todestag der 10. Januar 1945 genannt. Bei mindestens Zweien dieser vier getöteten Sowjetbürger handelte es sich nachweislich um zwei Unbekannte, die in der Gemarkung "Haferstücker" in Düppenweiler auf Drängen eines Bürgers des Ortes von Soldaten "wegen Plünderns" erschossen wurden. Sie waren von diesem denunziert worden, weil sie angeblich Strümpfe und Kartoffeln gestohlen hatten. Diese Tat wird heute noch in Düppenweiler mit Verachtung für den Denunzianten erzählt.

Dass es auch Menschen gab, die Mitleid mit den Kriegsgefangenen hatten, schildert die nachfolgende Begebenheit, die von einem Zeitzeugen aus Düppenweiler berichtet wurde: "Der Herbst des Jahres 1944 war relativ trocken verlaufen und das Wetter ausgesprochen freundlich. Nun aber gab es einen trüben Novembertag mit leichtem Nieselregen. Schwer klebte die Erde an den Schaufelblättern der Schippen und an den Schuhen haftete der Aushub in Form dicker Sohlen. Mehr als an früheren Tagen warteten alle, junge Mädchen und Frauen, aber auch die für den Wehrdienst noch zu jungen Burschen auf das Zeichen zur Frühstückspause am nördlichsten Ende der Großbaustelle ‚Im Sank'.(in Beckingen; d. Verf.) Dort waren an diesem Tag auch ganze Kolonnen von kriegsgefangenen Russen eingesetzt. Auch ihnen wurde zeitgleich Frühstückspause eingeräumt, auch wenn sie eigentlich nichts mehr zu essen hatten, da die meisten die zu knappe Tagesration schon im Lager verspeist hatten. So wandelten denn die hungernden Gestalten in der vagen Hoffnung, von irgend jemand doch noch vielleicht einen Bissen abzubekommen, durch den Abschnitt, in dem die Einheimischen ihr Frühstück einnahmen. Jeden Morgen machten wir Burschen auf dem Hinweg an den uns bekannten Apfel- und Birnenbäumen der ‘Äppelchaussee' Station, um uns zu den Broten noch reichlich mit Obst zu versorgen. Ich stand da, äußerst betroffen, vor einem Kriegsgefangenen, einem russischen Menschen, riesenhaft groß und breitschultrig, aber mit der Gebärde eines bittenden Kindes. Er war bekleidet mit einem dreckigen, russischen Militärmantel und der typischen Russenmütze auf dem Kopf. Ein unübersehbarer Zwiespalt war festzustellen zwischen seiner äußeren, menschlichen Erscheinung und seiner inneren, gebeutelten Geisteshaltung. In seinem Gesicht aber war der ganze Adel eines demütigen Menschen zu erkennen. Da war kein Hass zu sehen wegen des erlittenen Schicksals, in Deutschland gefangen gehalten zu werden und als billige Arbeitskraft bald diesen, bald jenen Dienst tun zu müssen. Vor allem aber sah man dem riesigen Mann an, dass er in letzter Zeit für seine Körpergröße zu wenig zu essen bekommen hatte. So sehe ich auch heute immer noch diesen russischen Menschen fast lebendig vor mir stehen." < Wird fortgesetzt

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