Fahrendes Volk wurde von den Einheimischen misstrauisch beäugt

Merzig · Kein Thema bewegt in diesen Tagen die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In diesem Beitrag soll die Zuwanderung in die Merziger Region während der letzten 200 Jahre als eine Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt werden.

Sicherlich bereits geprägt von den Vorurteilen und Erfahrungen der vorangegangenen 100 Jahre, dürfte Krantz damit dennoch die Gefühle der Menschen um 1400 nachempfunden haben, als sie zum ersten Mal der "Zigeuner " ansichtig wurden. In einer Mischung aus Abscheu, Furcht, und Neugierde standen die Einheimischen damals einem fremden Volk gegenüber, das bis auf den heutigen Tag durch bewusste Selbstisolierung auf der einen und ständige Ausgrenzung auf der anderen Seite den Status des Fremden nie hat überwinden können.

Der Begriff "Zigeuner " bezeichnete nicht immer eine klar abgrenzbare ethnische Gruppe. Er wurde vielmehr oft ganz allgemein als Synonym für die klischeehaft als kriminell empfundene "fahrende", nicht sesshafte, Lebensweise gebraucht.

Von Anfang an war die Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber den "Zigeunern" zwiespältig: Sie wurden anfangs noch als interessante Abwechslung bestaunt, schon bald jedoch gewannen Misstrauen und Abneigung die Oberhand. Kirche, weltliche Obrigkeit und Zünfte wandten sich gegen sie und drängten sie durch ständigen wirtschaftlichen und sozialen Druck an den Rand der Gesellschaft. Äußeres Erscheinungsbild und die Lebensformen der unbehausten Fremden wurden bald Anlass für Ausgrenzung und Aggression sowie zur Ausbildung einer Fülle von Vorurteilen, die das Verhältnis von "Zigeunern" und Nicht-Zigeunern zum Teil bis auf den heutigen Tag belasten.
Wenige Berufsmöglichkeiten

Sinti und Roma standen in der ständisch gegliederten Gesellschaft, ähnlich wie auch den Juden, zunächst nur wenige Berufe jenseits der Zunftordnung offen. So bildeten sich die als "traditionell" betrachteten Berufe der "Zigeuner " heraus, wie Geigenbauer , Holzschnitzer, Korbflechter, Pferdehändler, Schuhmacher, Steinbildner, Porzellanhändler, Puppenspieler und ähnliches.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Begriff "Zigeuner " immer mehr biologisch-rassistische Konturen an. So hieß es zum beispiel in einer 1905 in München erschienen Schrift mit dem Titel "Zigeuner-Buch" bereits in der Einleitung: "Das fahrende Volk der Zigeuner ist seit dem 15. Jahrhundert, in dem es zum ersten Mal in Deutschland aufgetreten ist, ein schädlicher Fremdkörper in der deutschen Kultur geblieben. Alle Versuche, die Zigeuner an die Scholle zu fesseln und an eine sesshafte Lebensweise zu gewöhnen, sind fehlgeschlagen. Auch drakonische Strafen konnten sie von ihrer unsteten Lebensführung und ihrem Hange zu unrechtmäßigem Vermögenserwerb nicht abbringen. Trotz vielfacher Vermischung sind ihre Abkömmlinge wieder Zigeuner geworden mit den gleichen Eigenschaften und Lebensgewohnheiten, die schon ihre Vorfahren besessen hatten."
Kindesentführung?

Generell bezichtigte man "Zigeuner " häufig des Diebstahls, der Brandstiftung und des Kindsraubs. Eines dieser Klischees, dem unter Umständen durchaus vielleicht auch ein tatsächliches Geschehen zugrunde gelegen haben mag, spiegelt der folgende Artikel des Merziger Kreisblatts vom 28. November 1890 wieder. Darin heißt es: "Der Untersuchungsrichter beim Königlichen Landgericht Trier sendet uns im Betreff der Zigeuner-Angelegenheit bei Merzig folgendes mit der Bitte um Veröffentlichung: ‚Am Mittwoch, dem 12. des Monats, durchzog von Merzig kommend eine Bande sogenannter fahrender "Künstler", wirklicher oder angeblicher Zigeuner , mit fünf Wagen den Ort Brotdorf. Vielfach fiel ein kleines, blondes, blauäugiges, gut gekleidetes Mädchen auf, welches schon dem Äußeren nach nicht zu der Bande zu gehören schien und auch selbst verschiedenen Dorfbewohnern gegenüber äußerte, es sei genommen, es bleibe hier, es könne von dem Pack nichts essen, es sei aus dem Bayerischen, es habe so Verlangen nach Hause, seine Eltern suchten es gewiss mit der Gemeinde. Das Kind spielte mit einem mit Bildern versehenen Gebetbüchlein. Dasselbe scheint eher hell-, denn dunkelblond gewesen zu sein. Die schätzungsweisen Angaben über das Alter schwanken von vier bis acht Jahre. Der Anzug wird beschrieben: hellrote Kapuze, rot-wollenes Kleid mit schwarzen Längsstreifen, faltig angesetztem Röckchen - die Kinder sprechen von Volant - und violettem Bandbesatz am Saum; rot-wollene Strümpfe mit weiß-blau-schwarzen Querstreifen; gute Schnürstiefelchen, vorne mit Blech beschlagen. Das Kind ist noch am selben Nachmittag von der Bande bis Hausbach mitgeführt worden. Als hier abends gegen 10 Uhr die inzwischen von Merzig requirierte Polizeimannschaft erschien, war bei einer Durchsuchung der Wagen, welche am Morgen des 13. wiederholt wurde, das Kind nicht mehr aufzufinden. Dasjenige Kind, welches von Mitgliedern der Bande als das Gesuchte vorgestellt wurde, trug zwar dessen Kleider, war aber nach dem allgemeinen Urteil der Brotdorfer und Hausbacher Zeugen nicht das gesuchte Kind. Es muss daher angenommen werden, dass letzteres am Spätnachmittag des 12. oder in der Nacht vom 12./13. in anderen Kleidern verbracht worden ist. Während man am Abend des 12. die ganze Bande festgenommen zu haben glaubte, kann als festgestellt angesehen werden, dass mindestens ein Mann von der Truppe verschwunden ist, in dem am 13. bei und in Losheim ein Zigeuner vielfach gesehen worden ist, welcher in der Richtung von Hausbach aus dem Wald kam, allerdings allein‘. "

Es folgte dann eine Personenbeschreibung des Mannes, dessen Alter man auf 30 bis 40 Jahre schätzte. Er sollte schwarzhaarig gewesen sein, einen schwarzen kurzen, struppigen Bart gehabt haben, mit einer dunklen Jacke und einem großen Schlapphut bekleidet sein sowie zwei Ringe an der linken Hand tragen. Er entsprach damit vollkommen dem Klischee, wie man sich zur damaligen Zeit einen "Zigeuner " vorstellte. < Wird fortgesetzt.

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