Einigung beim Drahtcord-Werk"Mehr als ein Jahr können wir nicht planen"

Merzig. Am 22. September 2009 erfuhren die Mitarbeiter des Drahtcord-Werkes in Merzig, was viele schon seit längerem befürchtet hatten: Der Merziger Reifendraht-Hersteller schließt zum 31. März dieses Jahres eine von zwei Produktionshallen, rund 110 der aktuell noch etwa 210 Arbeitsplätze bei Drahtcord gehen verloren (Die SZ berichtete)

Merzig. Am 22. September 2009 erfuhren die Mitarbeiter des Drahtcord-Werkes in Merzig, was viele schon seit längerem befürchtet hatten: Der Merziger Reifendraht-Hersteller schließt zum 31. März dieses Jahres eine von zwei Produktionshallen, rund 110 der aktuell noch etwa 210 Arbeitsplätze bei Drahtcord gehen verloren (Die SZ berichtete). Die Herstellung von Stahlcord, der zur Reifenherstellung benötigt wird, soll komplett ins rumänische Slatina verlagert werden. Schon seit längerem werden sukzessive Maschinen im Merziger Werk abgebaut und nach Rumänien gebracht, um dort wieder in Betrieb genommen zu werden. In Merzig verbleibt noch die Verarbeitung von Walzdrähten zu vermessingtem Draht, einem Vorprodukt von Stahlcord. Dafür werden in der verbleibenden Produktionshalle eins noch knapp 100 Mitarbeiter beschäftigt, sagte Betriebsratschef Gerd Spath (Foto: SZ) gegenüber der SZ.Seit Bekanntgabe dieser Entscheidung hatten die Arbeitnehmervertreter und die Geschäftsführung des Merziger Werkes um einen Sozialplan gerungen, mit dem der Arbeitsplatzabbau so sozialverträglich wie möglich gestaltet werden kann. Am Dienstag stellten beide Seiten nun die Einigung vor, auf die sie sich Ende des Jahres verständigt hatten. Demnach wird ein Großteil der 110 Beschäftigten, deren Arbeitsplätze in Merzig gestrichen werden, in Altersteilzeit wechseln. "Diese Altersteilzeitverträge sind bereits vor Bekanntgabe der Schließung von Halle zwei unterzeichnet worden, uns war daran gelegen, dass diese Verträge beim geplanten Stellenabbau mit berücksichtigt werden", sagte Spath. 43 Mitarbeitern wurde betriebsbedingt gekündigt, sie scheiden zum 31. Juli aus dem Unternehmen aus. Im Sozialplan haben Betriebsrat und Geschäftsführung eine Formel für die Abfindung, die sie erhalten sollen, vereinbart. Auch sind dort Kompensationszahlungen festgelegt, mit denen das Unternehmen eventuelle Einbußen bei den Altersbezügen abfedert, sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Michael Salmon. Einige der betroffenen 43 Mitarbeiter könnten nach Ablauf der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in den Ruhestand wechseln. Salmon sagte, die meisten Mitarbeiter hätten die bevorstehende Werksschließung gefasst aufgenommen, "weil die Entwicklung sich schon seit einigen Jahren abzeichnete". Wie Betriebsrats-Vorsitzende Gerd Spath sagte, hätten die Beschäftigten des Merziger Drahtcord-Werkes in den vergangenen Jahren wiederholt ihren Beitrag zur Sicherung des Standortes geleistet. So habe der Betriebsrat gemeinsam mit der Gewerkschaft IG Metall erhebliche Widerstände und Unmut in der Belegschaft in Kauf genommen, um ein neues Schichtsystem zu billigen, das zu einer Ausweitung der Produktionszeiten und damit einer Erhöhung der Produktivität führte. Damals wurde der Samstag als regulärer Arbeitstag neu in den Produktionsablauf eingebunden.Dies alles konnte die Schließung der Produktionshalle zwei letztlich nicht verhindern. Wie Gerd Spath erläuterte, werden nun einige Mitarbeiter innerhalb des Werkes ihren Arbeitsplatz wechseln und in der noch verbleibenden Produktion weiter tätig sein. "Bis zum Schließungsdatum Ende März wird auf jeden Fall noch in Halle zwei produziert, erst danach werden die noch vorhandenen Maschinen dort sukzessive demontiert", sagte Spath. Merzig. Es waren im vergangenen Jahr in erster Linie die Produktionskosten, die nach Aussage von Drahtcord-Geschäftsführer Josef Lottes (Foto: SZ) die Unternehmensleitung zur Schließung einer Produktionsstätte veranlassten. "An unserem Standort Slatina in Rumänien liegen die Produktionskosten für Stahlcord 40 Prozent unter denen in Deutschland." Es gebe die generelle Tendenz in der Automobil- und Reifen-Industrie, die Produktion zunehmend in Niedriglohnländer und dabei bevorzugt in Ostblockstaaten zu verlagern. "Und die Zulieferer ziehen dann mit." Die anstehende Schließung der Produktionshalle habe nichts mit der Qualität der Produkte oder der Motivation der Beschäftigten am Standort Merzig zu tun, sondern einzig und allein mit dem Arbeitskosten-Niveau in Deutschland: "An die rumänischen Kostenstrukturen kommen wir nicht heran", sagte Lottes. "Rein menschlich sind mir die Mitarbeiter nahe, denn sie machen den Erfolg dieses Unternehmens aus." Er betonte, die Geschäftsführung habe bei den zurückliegenden Sozialplan-Verhandlungen "alles getan, um in einem gegebenen Kostenrahmen die Schließung so sozialverträglich wie möglich zu gestalten". Lohnkosten-Anteil geringer Nun richte sich das Augenmerk von Werksleitung und Betriebsrat darauf, die verbleibende Produktionshalle mit rund 100 Beschäftigten zukunftssicher zu machen. Dort sei der Lohnkosten-Anteil geringer, da die Stahlcord-Produktion wesentlich personalintensiver sei als die Verarbeitung seiner Vorprodukte. Aber auch hier kann Lottes keine langfristigen Perspektiven aufzeigen: "Mehr als ein Jahr können wir derzeit nicht verbindlich zusagen und planen. Unser Blick geht natürlich über dieses eine Jahr hinaus, sonst hätten wir uns nicht die Mühe mit den jetzt anstehenden Umbesetzungen und Einarbeitungen der Mitarbeiter gemacht." Auch Gerd Spath unterstrich, dass nach Abschluss der Sozialplan-Verhandlungen jetzt die Zukunftssicherung des Standortes Merzig im Zentrum der Arbeit des Betriebsrates stehen werde. cbe "In der verbleibenden Halle werden noch 100 Mitarbeiter beschäftigt."Gerd Spath"Die Entwicklung zeichnete sich seit einigen Jahren ab." Michael Salmon

stichwortDie Drahtcord Saar (DCS) produziert Festigkeitsträger für Stahlgürtel-Reifen. Das Unternehmen wurde 1970 gegründet und ist ein gemeinsames Unternehmen der Continental AG und Pirelli Deutschland AG, denen jeweils 50 Prozent des Unternehmens gehören. Drahtcord Saar ist einer von fünf Standorten in dem Unternehmenszweig "Business Unit Steelcord" (BUS) von Pirelli, das in dem Gemeinschaftsunternehmen die Management-Entscheidungen trifft. Nach dem Stammsitz im italienischen Figline Valdarano war Merzig 1972 das zweite Werk in der Drahtcord -Gruppe, das seinen Betrieb aufnahm. Später kamen Werke im brasilianischen Sumaré (1983), im türkischen Izmit (1987) und 2005 in Slatina in Rumänien hinzu. Der Saar-Standort Merzig hatte Anfang der 80er Jahre fast 1000 Beschäftigte, Ende 2009 lag die Mitarbeiterzahl bei 210. cbe Auf einen blickFerdinand Weidig, zuständiger Gewerkschaftssekretär der IG Metall, übte am Dienstag scharfe Kritik an der von Drahtcord vollzogenen Produktionsverlagerung nach Rumänien. "Diese Tendenz, auch bei anspruchsvollen Hightech-Produkten wie Stahldraht eine Billiglohn-Strategie durch Ausweichen in Niedriglohn-Länder zu fahren, ist nach unserer Auffassung kontraproduktiv und gefährlich." Gerade die Mitarbeiter von Drahtcord in Merzig hätten gezeigt, dass sie anspruchsvolle Produkte auf hohem Qualitätsniveau produzieren könnten. "Und dennoch werden ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, um die Renditeerwartungen von Anteilseignern zu erfüllen. Was dürfte das für die Motivation der Mitarbeiter bedeuten?", sagte Weidig. Zudem sehe er die Gefahr, dass es Qualitätsverluste bei den Endprodukten geben könne, unter denen das Ansehen und damit das Geschäft der Hersteller leiden werde. "Dann wäre mit der Billiglohn-Strategie das Gegenteil davon erreicht, was angestrebt war." cbe

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