Serie Museen im Saarland Die wilde weite Welt in fünf Räumen

Merzig · Werner Freund besuchte die entlegensten Orte dieser Welt. Was er von dort mitbrachte, zeigt das Expeditionsmuseum in Merzig.

 Hildegard Hoppe hat das Expeditionsmuseum zusammen mit Werner Freund eingerichtet.

Hildegard Hoppe hat das Expeditionsmuseum zusammen mit Werner Freund eingerichtet.

Foto: Nina Drokur

Die 1970er Jahre sind gerade angebrochen. Auf dem Globus gibt es noch weiße Flecken und die weißen Missionare haben noch nicht alle Naturvölker „befriedet“. Hauptfeldwebel Werner Freund, heute vielen als Wolfsforscher bekannt, damals Mitte 30, sucht das Abenteuer. Der Amateurforscher macht sich auf in den tiefen Dschungel von Papua Neuginea. „Unsere Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt. Jetzt sind wir sicher, dass die Steinzeitmenschen uns entdeckt haben, uns beobachten“, schildert Werner Freund 1973 in der Zeitschrift „Quick“. Insgesamt 17 Expeditionen hat Freund seit den 60er Jahren geführt – nach Südamerika, Asien, Afrika und auf den australischen Kontinent. Er hat die Naturvölker in den am schwersten zugänglichen Gegenden dieser Erde gesucht. Von jeder Reise hat er ein Stück Geschichte mitgebracht. Geschenke, Erinnerungsstücke, Errungenschaften aus Tauschgeschäften. Das Expeditionsmuseum Werner Freund in Merzig stellt sie aus.

Fünf Räume im Vereinshaus in der Propsteistraße 4 in Merzig entführen in teils längst vergessene Welten. Sie sind wahre Schatzkisten quer durch die Kontinente. An den Wänden sind Blasrohre mit Giftpfeilen zu sehen, Penisfutterale, die einzige Bekleidung der Dani in Neuginea, und ausgestopfte Exoten. Ergänzt werden die Stücke von Fotos von Freund und seinen Begleitern in jungen Jahren, zusammen mit den Ureinwohnern: beim Entspannen in einer Hängematte; beim Männlichkeitsritual, bei dem den jungen Tuguba Stäbe durch die Nase gestochen werden; beim Häuten einer Schlange – denn im Dschungel darf man bei der Nahrungssuche nicht wählerisch sein.

Eine einzigartige Sammlung, die Einblicke in das Leben indigener Völker fernab jeglicher Zivilisation gibt. Einzigartig auch aus einem anderen Grund: Felle oder gar lebendige Tier über die Grenze zu bringen – wie den Binturong, einen Marderbär, den Freund von den Philippinen mitbrachte, und der 14 Jahre lang bei den Freunds wohnte – daran ist heute nicht mehr zu denken. Dafür sorgt das Washingtoner Artenschutzabkommen von 1979. Nicht zuletzt ein Umstand, der vor der Eröffnung 1995 für Diskussionen im Merziger Stadtrat gesorgt hatte. Ein Hinweisschild im Museum verweist deshalb auf die vom Aussterben bedrohten Arten und deren besonderen Schutz. „Wie er das alles über den Zoll gebracht hat, hat er uns nie verraten“, sagt Christel Marquardt, die seit über 20 Jahren durch die Ausstellung führt. Die außergewöhnlichen Exponate sind heute allerdings alle registriert, versichert sie.

Die wohl interessantesten Hingucker stehen in einer Vitrine gleich im ersten Raum, der sich überwiegend mit Freunds Reisen nach Südamerika beschäftigt: zwei Schrumpfköpfe. Schrumpfköpfe, das sind echte Köpfe. Kopfjäger der Jivaro-Indianer, einem indigenen Volk im Amazonasbecken, hacken sie ihren Feinden ab, ziehen die Schädelhaut ab. Anschließend nähen sie den Mund zu und legen den abgetrennten Kopf dann in einen Pflanzensud ein. Danach wird er mit heißem Sand befüllt und der Kopf beginnt zu schrumpfen. So erklärt es Marquardt. Dann hängen die kriegerischen Jivaro die Schrumpfköpfe als Trophäen an ihre Zelte. In der ehemaligen Propsteischule sind jedoch nur noch Nachbildungen aus Affenköpfen zu sehen. Über die echten gab es Kontroversen in Merzig.

Die Schrumpfköpfe deuten es schon an, und wer durch die Medienberichte blättert, die im Museum ausliegen, ist sich schnell sicher: Werner Freunds Expeditionen waren gefährlich. Mehr als eine hätte er fast mit dem Leben bezahlt. „Vor der Hütte stehen nackte Krieger, sie bewachen uns. Schwere Steinäxte sind ihre einzige Waffe. [...] Bevor wir in ihr Dorf kamen, hatten diese Kannibalen noch nie einen Weißen gesehen“, schreibt Freund in dem packenden Tagebuch über seine Reise nach Irian in Neuginea in der „Quick“. Trotz der Risiken fand Freund Jahr für Jahr Mitstreiter, die ihn auf seinen Reisen in die „grüne Hölle“ wie er sie betitelt, begleiteten. Meist waren es andere Soldaten, ausgebildete Einzelkämpfer, wie er selbst. „Er war ein Menschenfänger“, sagt Marquardt. Auch sie ist ihm ins Netz gegangen. Vor über 25 Jahren habe sie viel Zeit im Wolfspark, den Werner Freund seit Ende der 1970er Jahre in Merzig aufgebaut hatte, verbracht. Damals, so erzählt sie, sei es dort noch anders gewesen, frei zugänglich ohne Schranken. „Es war etwas Neues.“ Eines Tages hat Werner Freund sie angesprochen. Lange Zeit haben Marquardt, Gerfried Gräff und Elisabeth Meiers zu dritt Einblicke in die Expeditionen gegeben. „Die ersten 15 Jahre gab es mehr Führungen als Freizeit.“ Heute ist das Museum fast in Vergessenheit geraten. „In diesem Jahr habe ich erst zwölf Führungen gegeben. Früher waren es zwölf in der Woche“, bedauert Marquardt. Insbesondere die Schulklassen blieben aus. „Es gibt ja nicht mehr so viele Zuschüsse“, weiß die Rentnerin.

In den Fängen von Werner Freund ist auch Hildegard Hoppe gelandet. Sie hat das Museum Mitte der 90er aufgebaut. Dabei ist Hoppe nicht etwa Kuratorin, sondern Orthopädin. „Werner Freund hat mich gefragt und ich hab gesagt: ‚Ich kann!‘“ Er wusste Menschen zu begeistern, sind sich die beiden Frauen einig.

Ein Jahr hat Hoppe an der Ausstellung gefeilt. Erst die vielen Fotos sortiert, die Freund und die Soldaten von ihren Touren mitgebracht hatten. Dann die Ausstellung konzipiert. Werner Freund kam nachmittags immer dazu, erzählt sie. Dann habe sie von ihm die Texte zu den Ausstellungsstücken gefordert. „Er musste nie lange überlegen. Er wusste immer gleich genau, wo es herkam.“ Die Stücke, daran erinnert sich Hoppe noch genau, hatte er in einem alten Bauwagen vor seinem Haus gelagert. „Das wird mal ein Museum“, soll er stets gesagt haben. Und er sollte recht behalten. Hat sein Vorhaben bei der Stadt eisern durchgesetzt, in deren Besitz das Museum bis heute ist. Noch heute ist Hildegard Hoppe „der gute Geist des Museums“, wie Marquardt lobt. Sie kümmere sich um die Vitrinen, hält den Kontakt mit dem Naturkundemuseum in Luxemburg, das die kleine Ausstellung in Merzig unterstützt. Etwa beim Instandhalten der empfindlichen Felle.

Seit 2002 ergänzt ein weiterer Raum ein Stockwerk höher das Museum. Nach Kirgistan führten Freunds letzte Reisen, insgesamt acht. Nicht zuletzt wegen seines sozialen Engagements dort wurde er zum Ehrenbürger von Karakol, einer rund 70 000-Einwohner-Stadt im Nordosten des Landes, ernannt. Traditionelle Kleidung, eine ausgestattete Jurte, dem Wohnzelt aus der kirgisischen Steppe, aber auch das Fell eines Wolfes sind im Expeditionsraum zu sehen. Denn die Wölfe, die in Kirgistan noch in freier Wildbahn zu beobachten sind, haben Freund so oft dorthin gezogen. Die weiten Landschaften sind nicht nur auf Fotos, sondern auch an den Wänden zu sehen. Tatjana Schneider, die nach Freunds Tod 2014 den Wolfspark übernommen hat, hat sie bemalt.

Auch der Wolfspark bleibt im Expeditionsmuseum nicht unerwähnt. In einem Medienraum, dem letzten Raum der Ausstellung, werden unter anderem Videos über Freund und sein Leben mit den Wölfen gezeigt.

Serie Museen im Saarland: Die Saarbrücker Zeitung stellt wöchentlich ein Museum aus der Region vor. Folgende Beiträge sind erschienen:
Teil 1: Interview mit Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor Weltkulturerbe Völklinger Hütte und Präsident Saarländischer Museumsverband (6. Juni)
Teil 2: Saarland-Museum und Moderne Galerie (13. Juni)
Teil 3: Ludwig-Galerie Saarlouis (20. Juni)
Teil 4: St. Wendeler Museum im Mia-Münster-Haus (27. Juni)
Teil 5: Uhrenmuseum Köllerbach (4. Juli)
Teil 6: Historisches Museum Saarbrücken (11. Juli)
Teil 7: Römermuseum Schwarzenacker (18. Juli)
Teil 8: Saarland-Museum für Vor- und Frühgeschichte (25. Juli)
Teil 9: Zeitungsmuseum Wadgassen (1. August)
Teil 10: Altenkirch-Museum Rubenheim (8. August)
Teil 11: Die Römische Villa Borg (15. August)
Teil 12: Jean-Lurçat-Museum Eppelborn (22. August)
Teil 13: Keramikmuseum Mettlach (29. August)
Teil 14: Museum für Mode und Tracht Nohfelden (5. September)
Teil 15: Theulegium Tholey (12. September)
Teil 16: Glasmuseum Ludweiler (19. September)
Teil 17: Städtisches Museum Saarlouis (26. September)
Teil 18: Der Europäische Kulturpark Reinheim/Bliesbruck (2./3./4. Oktober)
Teil 19: Erlebnisbergwerk Velsen (10./11. Oktober)
Teil 20: Stadtmuseum Wadern (17. Oktober)
Teil 21: Saarländisches Schulmuseum Ottweiler (24. Oktober)
Teil 22: Schlossmuseum Saarbrücken (31. Oktober)
Teil 23: Kulturzentrum Goldener Engel in Baumholder (7. November)
Teil 24: Museum für Vor- und Frühgeschichte im Kreis Saarlouis in Pachten (15. November)
Teil 25: Heimatmuseen im Regionalverband (21. November)
Teil 26: Expeditionsmuseum Werner Freund in Merzig (28. November)

 Ein Schrumpfkopf aus einem Affenschädel im Expeditionsmuseum Werner Freund.

Ein Schrumpfkopf aus einem Affenschädel im Expeditionsmuseum Werner Freund.

Foto: Nina Drokur
 Dieses Wolfsfell hat Werner Freund aus Kirgistan mitgebracht.

Dieses Wolfsfell hat Werner Freund aus Kirgistan mitgebracht.

Foto: Nina Drokur
 Ein präparierter Ozelot gehört ebenfalls zur Sammlung.

Ein präparierter Ozelot gehört ebenfalls zur Sammlung.

Foto: Nina Drokur
 Der Raum über Kirgistan ist 2002 eingerichtet worden. Dort sind etwa eine Jurte und traditionelle Kleidung zu sehen.

Der Raum über Kirgistan ist 2002 eingerichtet worden. Dort sind etwa eine Jurte und traditionelle Kleidung zu sehen.

Foto: Nina Drokur
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