Merzig Im Bann einer zauberhaften Natur

„Zwischen Paradies und Hölle – im gefährlichsten Land der Welt“ hat Philip Hoffmann die Beschreibung seiner Tour durch El Salvador überschrieben. Der 30-jährige Merziger schildert in der SZ, was er während seiner Reise durch den Staat in Zentralamerika erlebt hat.

 Philip Hoffmann und sein Freund und Gastgeber Luis (r.). 

Philip Hoffmann und sein Freund und Gastgeber Luis (r.). 

Foto: Philip Hoffmann

Am Flughafen ist von der Gefahr nichts zu spüren. Das Land, das sechs Millionen Einwohner zählt, hat einen kleinen Flughafen, vor dessen Tür hunderte von Menschen warten, um ihre Familienmitglieder zu empfangen. Es ist Tradition, dass die ganze Familie kommt, um Heimkehrer zu begrüßen. Unter den vielen fröhlichen Menschen befand sich auch mein Studienfreund. Er wartet auf mich. Ich habe meinen 30. Geburtstag im gefährlichsten Land der Welt gefeiert – in seiner Heimat El Salvador.

In der Hauptstadt San Salvador fällt sofort auf, dass vor vielen Gebäuden Menschen mit Waffen stehen, um diese zu beschützen. Vor jeder Tankstelle steht ein privater Sicherheitsmann, der mit einer Pumpgun ausgestattet ist. Ein weiterer Sicherheitsmann bewacht mit Pistole den Shop der Tankstelle. Selbst auf Straßenbaustellen werden die Bauarbeiter und Maschinen durch Sicherheitspersonal mit Maschinengewehren geschützt. Mein Studienfreund und Gastgeber Luis hat mich darüber aufgeklärt, dass man in El Salvador nicht alleine auf die Straße darf. Es könnte ein böses Ende nehmen, wenn man die falsche Straße betreten würde. Daran habe ich mich gehalten.

In El Salvador ist das Leben so gefährlich, weil das Land von zwei Gangs beherrscht wird, die sofort das Feuer eröffnen, wenn sich Unbekannte in den Straßen aufhalten, die sie als ihr Terrain betrachten. Die Territorien, die von den Gangs beherrscht werden, weiten sich immer mehr aus. Dies ist einer der Gründe warum viele Menschen aus El Salvador in die USA flüchten. Junge Menschen schließen sich oft den Gruppierungen an, weil sie keine andere Perspektive haben. Geld lässt sich in dem armen Land einfacher verdienen, wenn man in einer Gang ist. Hinzu kommt, dass man dort  auch Ansehen erreicht. Dies ist jedoch nur ein Teil der Mitgliederwerbung. Die Gangs, die in El Salvador Maras genannt werden, fordern bereits junge Menschen dazu auf, sich ihnen anzuschließen. Zum Aufnahmeritual gehört ein Mord. So passiert es oft, dass Kinder morden, um ihr Leben und das ihrer Familie zu schützen. Denn wenn man nicht Mitglied der Mara wird, dann kann es passieren, dass die ganze Familie getötet wird.

Die Menschen flüchten wegen der Gewalt in die USA, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Das „Exportieren“ von Menschen in die USA gehört zu Geschäftsmodell von El Salvador, wie ich bei einem Gespräch mit Analysten von internationalen Organisationen erfuhr: Mehr als 20 Prozent der Wirtschaftsleistung hängen von den Überweisungen ab, die von Auswanderern geleistet werden, die in den USA leben. Die heimische Wirtschaft könnte zusammenbrechen, würden die Amerikaner diese Auswanderer zurückschicken. Zusätzlich ist die Abhängigkeit von den USA sehr groß, weil El Salvador seit 2001 keine eigene Währung mehr nutzt. Stattdessen wurde der US-Dollar als Zahlungsmittel eingeführt. Somit verfügt die heimische Zentralbank über deutlich weniger Instrumente, um die Inflationsentwicklung zu steuern. Eine Zinsänderung bei der amerikanischen Zentralbank hat direkte Folgen in dem kleinen zentralamerikanischen Land.

Auch die allgegenwärtige Gewalt, unter der das Land leidet, hängt mit den USA zusammen. Während des Bürgerkrieges, der von den USA mitfinanziert wurde, sind viele Menschen aus El Salvador in die USA geflüchtet. Besonders in Los Angeles haben sich viele Auswanderer angesiedelt. In Auswanderer-Ghettos in der Stadt entstanden die ersten Gangs. Viele Gang-Mitglieder wurden nach dem Bürgerkrieg abgeschoben und haben ihre kriminellen Machenschaften in ihrer Heimat aufgrund der noch größeren Perspektivlosigkeit dort ausgeweitet.

Wegen der Armut könnte man meinen, dass Lebensmittel und Kleidung in El Salvador billiger sind. Dem ist jedoch nicht so. Alle Artikel, die ich in den Supermärkten gesehen habe, sind deutlich teurer als in Deutschland, aber auch als in den USA. Dies hängt zum einen daran, dass es nur wenige  Supermarktketten gibt. Der mangelnde Wettbewerb hält die Preise oben. Aber dies ist nicht der einzige Grund. Als gute Qualität gilt in El Salvador, was teuer ist, einen internationalen Markennamen trägt und somit importiert werden muss. Die Welt ist dort spiegelverkehrt. Regionale Lebensmittel etwa zählen als Nahrung für arme Menschen, die schlechtere Qualität bieten sollen.

Dass Europa weit weg ist, sieht man auch im Straßenverkehr. Angesichts des dichten Qualms, der aus den Bussen, Lkw und vielen Autos strömt, die Oldtimer-Fans glücklich machen würden, spricht niemand dort von Stickoxiden und Feinstaub. Dabei stößt ein Diesel-Truck, der aus den USA importiert wurde, wohl viel mehr aus als eine Vielzahl Euro-4-Diesel, die von unseren Straßen verbannt werden.

Neben der hohen Mordrate sind die Menschen auch natürlichen Gefahren ausgesetzt. Bei meinem Besuch im Nachbarland Guatemala habe ich davon erfahren, dass mein Flug nach El Salvador vielleicht ausfällt, weil ein Vulkan Probleme bereitet. Der Flug ist nicht ausgefallen, und der aktive Vulkan ist auch nicht wirklich zur Gefahr geworden.  Aber als in meiner Unterkunft im 16. Stock plötzlich die Couch wackelte und der Tee in der transparenten Kanne schunkelte wie Gäste auf dem Oktoberfest, war klar, dass ich eines der 150 täglichen Erdbeben spürte, die oft aufgrund mangelnder Signifikanz nicht auffallen.

Es ist wahr, dass es in El Salvador wesentlich gefährlicher zugeht als in Deutschland. Aber es ist auch ein paradiesisch schönes Land. Die Einwohner El Salvadors, die ich kennenlernen durfte, sind die herzlichsten Menschen, die ich auf meinen Reisen getroffen habe. Es wird alles getan, um für die Gefahr zu entschädigen, die in den sicheren Gebieten nicht einmal spürbar ist. Dies hat auch dazu geführt, dass ich mich trotz der beschriebenen Umstände keine Sekunde lang unsicher gefühlt habe. Die wunderschönen Städte, die im spanischen Stil aufgebaut sind, erinnern an Spanien, wie es früher wohl  ausgesehen hat. Die Vulkanlandschaften, tropischen Wälder, wunderschönen Strände, Palmen und Maya-Tempel bieten gemeinsam mit dem angenehmen immer warmen Klima und der üppigen Natur genau das, was ich mir immer unter dem Paradies vorgestellt habe. Es entschädigt für alle negativen Punkte, die man in dem kleinen Land wahrnimmt. Hinzu kommt, dass die kulinarische Vielfalt El Salvadors von nationalen Gerichten über frisch gerösteten Kaffee auch für Magen und Gaumen paradiesähnliche Genüsse bereit hält. Daher steht für mich fest, dass ich wieder komme. Denn jeder Dollar, den ich in El Salvador ausgebe, trägt vielleicht dazu bei, dass der Tourismus irgendwann wichtiger ist als Gangs und sich viele andere Touristen trauen das Risiko einzugehen, um eines der schönsten und leider auch gefährlichsten Länder der Welt kennen zu lernen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort