Der Architekt der Einheit

Merzig · Der ehemalige deutsche Außenminister war auf Einladung der Sparkasse Merzig-Wadern am Freitag in der Stadthalle Merzig zu Gast. Der 87-Jährige beeindruckte mit seinem Referat über Europa.

 Starke Bühnenpräsenz: Hans-Dietrich Genscher bei seinem Vortrag in Merzig. Fotos: Rolf Ruppenthal

Starke Bühnenpräsenz: Hans-Dietrich Genscher bei seinem Vortrag in Merzig. Fotos: Rolf Ruppenthal

 Hans-Dietrich Genscher trägt sich ins Goldene Buch ein. Von rechts die Sparkassen-Direktoren Wolfgang Fritz, Frank Jakobs, Sparkassen-Präsident Alfons Lauer, Landrätin Daniela Schlegel-Friedrich und Bürgermeister Marcus Hoffeld.

Hans-Dietrich Genscher trägt sich ins Goldene Buch ein. Von rechts die Sparkassen-Direktoren Wolfgang Fritz, Frank Jakobs, Sparkassen-Präsident Alfons Lauer, Landrätin Daniela Schlegel-Friedrich und Bürgermeister Marcus Hoffeld.

"Wahnsinn”, sagte einer, "ganz toll”, ein anderer. Und praktisch alle fügten hinzu: "Und das in dem Alter!” Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hatte am Freitagabend in der Stadthalle zum Thema Europa referiert und das Publikum dabei nachhaltig beeindruckt.

Die Sparkasse Merzig-Wadern hatte den 87-Jährigen als Redner für ihr 25. Sparkassenforum engagiert. Zwei Tage vor dem 25. Jahrestag des Mauerfalls schöpfte Genscher vor rund 750 geladenen Gästen, darunter unter anderem Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger sowie Merzigs Bürgermeister Marcus Hoffeld , aus dem Erfahrungsschatz seiner langjährigen Amtszeit als Außenminister. Zwischen 1974 und 1992 leitete Genscher die Geschicke der deutschen Außenpolitik, war daher auch entscheidend an der Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands beteiligt. "Mein Ziel”, erzählte er, "war es, dafür zu arbeiten, dass mein Volk wieder zusammenlebt.”

Seinen Platz in der Geschichte hat Genscher ja allein schon durch seinen Auftritt vom 30. September 1989 auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag sicher. Dort verkündete er vor tausenden DDR-Flüchtlingen: "Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise ..." - der Rest ging im Jubel unter. In Merzig handelte eine seiner zahlreichen Anekdoten von der Vorgeschichte zu diesem Moment. Er war nämlich zu Verhandlungen nach New York gereist, mit seiner Frau und zwei Kardiologen im Gepäck, da er kurz zuvor einen Herzinfarkt hatte. In New York versuchte er mit dem russischen Außenminister Schewardnadse zu reden, aber der hatte bloß ganz kurzfristig Zeit - und dazu musste Genscher einige Kilometer durch die Stadt fahren, und das zur Rush Hour. Die Versuche, von der New Yorker Polizei durch den Verkehr geleitet zu werden, scheiterten jedoch zunächst: Von den Beteuerungen, es handle sich schließlich um den deutschen Außenminister, ließen sich die Polizisten nicht beeindrucken und antworteten bloß mit einem trockenen "So what?”. Sobald aber klar war, dass es um die DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft ging, verlor die Polizei keine Sekunde und bahnte sich mit Blaulicht den Weg zu Genschers Termin. Der Rest ist Geschichte.

Humorvoll brachte Genscher solche Anekdoten vor, sprach aber auch - und zwar frei, ohne Manuskript - engagiert über die Zukunft Europas und der Welt. Er schlug dabei einen Bogen von der zweigeteilten Weltordnung zur Zeit des Kalten Krieges zur unübersichtlicheren Lage heute. Da heute alle viel enger miteinander verknüpft seien, brauche es ein "neues Denken” in der Außenpolitik: eine Zusammenarbeit zwischen den Ländern auf Augenhöhe. Ein Wink auch in Richtung Ukraine-Konflikt, bei dem Genscher sowohl Russland als auch den Westen vor einer "Aufrüstung der Sprache” warnte: "Mit der Sprache des Krieges hat es immer angefangen.”

Einen der "bedeutendsten lebenden Deutschen” nannte Sparkassen-Chef Frank Jakobs Genscher in seiner Begrüßung. Das Merziger Publikum wollte nicht widersprechen.

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