Satire Aus starken Gefühlen werden starke Texte

Thomas Gsella erzählt über seine Arbeit, Grenzen der Satire und plädiert dafür, dass die Menschen wieder mehr lesen – vorzugsweise seine Bücher.

 Thomas Gsella war von 2005 bis 2008 Chefredakteur des Frankfurter Satiremagazins „Titanic“.

Thomas Gsella war von 2005 bis 2008 Chefredakteur des Frankfurter Satiremagazins „Titanic“.

Foto: Thomas Gsella

Thomas Gsella ist ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“, Robert-Gernhard-Preisträger und Stern-Hauslyriker. Er arbeitet als freier Schrifsteller und schreibt unter anderem für die FAZ, die Zeit, Spiegel Online, Das Magazin, SWR und den WDR. Neben zahlreichen Lesereisen geht Thomas Gsella mit der „Titanic Boygroup“, die sich aus den ebenfalls ehemaligen Titanic-Chefredakteuren Martin Sonnenborn und Oliver Maria Schmitt zusammensetzt, auf Tour. In der vergangenen Woche war Gsella in der Merziger Buchhandlung „Rote Zora“ mit seinem aktuellen Programm „Das Beste aus 50 Jahren“ zu Gast. Am Rande dieser Lesung stand er der SZ für ein Gespräch zur Verfügung.

Was darf, soll, kann und muss Staire sein?

Thomas Gsella: Satire „soll“ lustig sein. Satire ist eine komische Überspitzung von Wirklichkeiten. Satire „soll“ kritisieren. Satire „soll“ die schlechte Welt darstellen und die Hoffnung erwecken, dass man  das ändern könnte. Satire „soll“ kraftvoll und scharf sein. Sie „darf“ nicht harmlos sein, sonst fällt sie denjenigen, die sie betreffen und die man damit angreifen möchte, nicht auf. Satire „muss“ scharfe und deutliche Töne haben.

Was meinen Sie damit?

Gsella: Leute, die die Welt durch ihre Machtgeilheit, ihre Gier, Grausamkeit und Brutalität zum Schlechten drehen, müssen scharf und deutlich angegriffen werden.Weil die Satire komisch sein soll, „kann“ sie und darf nicht auf Opfer gerichtet sein. Das sind die Grenzen der Satire, die sich ihr aber von selbst stellen, wenn die Komik ausbleibt.

Bei welchen Themen bleibt Ihrer Meinung nach die Komik aus?

Gsella: Man kann über Judenvernichtung, Verkehrsopfer, vertriebene Völker und Flüchtlinge einfach keine guten Witze machen. Satire hört da auf, wo es nicht mehr lustig ist. Es gibt aber auch viele andere Themen und Menschen, die sich als Zielscheibe der Satire anbieten und sich einem mit ihrer Eitelkeit, Dummheit, Machtherrlichkeit und Arroganz regelrecht aufdrängen. Da sollte die Satire dann scharf sein, kritisieren und auch mal aufs Maul hauen.

Sie sagen, Satire darf keine Opfer angreifen. Wo sind die Grenzen?

Gsella: Ja, das ist eine Grenze, aber eine Grenze, die nicht von Moralinstitutionen oder Politikern gezogen werden sollte. Von Politikern schon mal gar nicht, weil die kennen sich in der Regel gar nicht aus mit Satire. Die Grenze von Satire verläuft da, wo sie nicht mehr diejenigen trifft, die für das Elend anderer verantwortlich sind. Die Komik bleibt dann auch von selbst aus.

Konkreter?

Gsella: Es kann nie komisch sein, wenn man Opfer mit dieser Härte der Satire angreifen will. Es gibt deswegen auch keine guten rechten Satiriker. Die wollen das Böse und Schlechte ja radikalisieren. Deswegen gibt es keine guten, satirischen Witze von Rechten oder von Neonazis. Die könne das nicht, weil sie nicht komisch angreifen können.

Hat Satrire eine Aufgabe?

Gsella: Satire kann weiterhin dafür sorgen, dass Leute auf andere Gedanken kommen. Dadurch, dass sie gut formuliert ist und in klaren Worten angreift, kann es sein, dass die Gedanken der Leser in die Richtung gestoßen werden, dass sie über bestimmte Dinge noch mal neu überlegen und sich tatsächlich die Kritik zu eigen machen, die Satire äußert. Satire hat natürlich nicht die Möglichkeit, die Welt umzustürzen und Machtverhältnisse zu ändern. Sie kann nur bei denen, die sie mitbekommen, Veränderungen hervorrufen.

Was kann Satire erreichen?

Gsella: Satire kann erreichen, dass die Leute, die die Satire mitbekommen auf Denkweisen gestoßen werden, die sie sich vielleicht vorher nicht zu eigen gemacht haben. Der Blick auf Ungerechtigkeiten und Veränderungsmöglichkeiten kann durch Satire geschärft werden.

Wie das?

Gsella:  Als ich im ersten oder zweiten Semester an der Uni war, kam 1979 die „Titanic“ raus und für mich war das so wie beschrieben. Diese Satirezeitschrift hat meinen Blick geschärft für Eitelkeiten, für Ungerechtigkeiten auf allen Gebieten von Politik, Kultur, Sport und so weiter. Überall. Man musste ja nur irgendwo hingucken und schon hatte man es mit einem Idioten zu tun. Das ist leider so. Satire kann da den Blick schärfen und das Selbstbewusstsein erhöhen. Satire sieht andere Dinge und weiß sich mit geübten Worten zu wehren.

Was kann Satire nicht?

Gsella: Satire wird keine Mauern durchbrechen, keine Ungerechtigkeit verhindern, nicht den Mindestlohn erhöhen, nicht dafür sorgen, dass Nazis machtloser werden oder dass die AfD aus den Parlamenten gedrängt wird. Sie kann nur die Menschen, die sowieso schon ein Hirn besitzen, zum noch klareren Nachdenken anregen. Vielleicht hat es bei dem ein oder anderen auch Erfolg, dass sie zum Handeln angeregt werden. Satire kann keine Machtverhältnisse ändern, nur manche dazu bringen, dass sie dagegen etwas tun wollen.

Brauchen wir heutzutage Satire mehr denn je? Oder ist unsere Realität Satire genug?

Gsella: Nein, Satire ist ja zum Glück nicht die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist natürlich sehr, sehr schrecklich und dumm. Sie wird auch immer dümmer. Satire aber ist eine Kunstform. Sie versucht, diese Wirklichkeit so darzustellen, dass man den Impuls bekommt, sie ändern zu wollen oder zumindest die Realität getrösteter ertragen zu können. Man kennt das Wort Realsatire, was ein wirklich unglückliches Wort ist. Das gibt es eigentlich nicht, weil Satire eine Kunstform ist. Da braucht es Formulierungskunst und Erfahrung so wie bei allen anderen Kunstformen auch, die sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen.

Was bedeutet Satire für Sie persönlich?

Gsella: Satire ist eine verarbeitete oder auch überarbeitete Wirklichkeit. Sie bringt unsere Wirklichkeit in Form. Deswegen kann die Wirklichkeit niemals so blöd werden, dass Satire nicht mehr erforderlich ist. Im Gegenteil: Je blöder sie wird, desto mehr Satire muss es geben.

Wie kann man sich den Arbeitsprozess eines Satirikers vorstellen?

Gsella: Zunächst muss man entweder Tageszeitungen lesen oder sich im Netz über aktuelle Geschehnisse informieren. Man braucht eine klare Haltung zu den Dingen, die man erzählt. Wenn man mit allem einverstanden ist, kann man kein Satiriker werden. Auch wenn man gegen grundlegende Veränderungen ist, kann man kein Satiriker werden. Man muss recht wütend, empört, geknickt oder auch traurig sein über die Nachrichten, die einem entgegenschwappen. Man kann versuchen, alle möglichen unschönen Gefühle in Satire zu packen, um mit den Wirklichkeiten besser zurechtzukommen. Man braucht eine Haltung, man muss informiert sein und  auch viel gelesen haben, um selbst einen guten Schreibstil zu bekommen.

Wie wird aus der kritischen Haltung dann ein satirischer Beitrag?

Gsella: Dann sitzt man halt da und überlegt sich etwas, oder es springt einen der Impuls an. Es kommt aber auch vor, dass man von Redaktionen Themenaufträge bekommt. Das ist auch gar nicht immer Satire. Das ist teilweise auch ganz freie Komik, Nonsens oder Albernheit. Die satirischen Themen suche ich mir jeweils selbst aus, weil es viel leichter ist, wenn man schon eine Haltung zu einem bestimmten Thema hat.

Woran merkt man, dass ein Thema sich für einen satirischen Beitrag eignet?

Gsella: Man muss angepackt werden von einem Umstand oder auch von einem Missstand. Es ist nicht lustig oder satirisch, wenn man sich über die Schönheit eines Bachlaufes aufregt. Man muss schon wütend oder angeekelt sein. Man braucht ein starkes Gefühl, um einen starken Text zu schreiben.

Für wen schreiben Sie? An wen oder was denken Sie beim Schreiben?

Gsella: Es muss einem immer selbst Spaß machen, denn wenn man das Gefühl hat, es ist gut formuliert, es entspricht meiner Haltung und meinen sprachlichen Empfindungen und den Ansprüchen, die man selbst an die geschriebene Sprache stellt, dann denkt man gleichzeitig, dass es für den Leser auch in Ordnung ist. Ich denke dann immer, wenn etwas in meinen Augen gut ist, dann gefällt es auch den Lesern. Ich schreibe nicht für Menschen, von denen ich glaube, dass sie das nicht verstehen. Ich vereinfache nichts. Ich hole nicht weiter aus, nur um Leuten, die sich gar nicht auskennen, Zusammenhänge zu erklären. Ich setze schon voraus, dass mein Leser ähnlich denkt wie ich. Wenn ich einen schönen Satz schreibe, dann denke ich, dass derjenige der das liest, das auch schön findet.

Wann eignet sich ein Thema für Satire?

Gsella: Es muss eine Allgemeingültigkeit haben. Wenn zum Beispiel vor meinem Haus ein Loch gebohrt wird, weil ein Kanaldeckel kaputt gegangen ist, würde ich keine Satire darüber schreiben wollen. Das muss dann halt wohl so sein. Aus diesem Zustand kann man schlecht einen allgemeingültigen Text schreiben, der sich gegen irgendetwas wendet. Ich glaube, es bieten sich nur Themen, die in den Bereich der allgemeinen Politik beziehungsweise Kunst gehören. Es müssen teilbare Erfahrungen sein.

Themen gibt es also reichlich ...

Gsella: Ja. Für alle, die sich ein gewisses Bewusstsein bewahrt haben, ist die Welt voller schlechten Sachen und Dinge, die geändert werden müssen. So lange das so ist, ist genug Stoff da. So lange die Welt falsch ist, muss man mit richtigen Worten dagegen angehen.

Wie unterscheidet sich Satire von Comedy?

Gsella: Comedians sind verachtenswerte Menschen in meinen Augen. Die wollen nichts ändern, sondern nur mit billigen Witzen reich werden. Das sollen sie auch. Ich missgönne ihnen aber jeden Euro, den sie mit ihren schlechten Witzen einnehmen, aber natürlich muss es auch solche Menschen geben. Die gehören zum Unheil der Welt dazu wie alle Ratten zum Müll.

Was fällt Ihnen zu  „Fake News“ ein?

Gsella: Dass jetzt Politiker seit neuestem mit offenbaren Lügen arbeiten, ist wohl neu, überrascht mich aber gar nicht. Sie werden immer unverschämter und greifen zu immer billigeren Methoden, um ihre Macht zu sichern. Das war vielleicht auch zu erwarten. Früher haben sie auch gelogen, nur haben sie es damals nicht so offenbar gemacht und nicht zugegeben, dass sie lügen. Gelogen haben sie damals genauso. Jetzt ist es vielleicht sogar einfacher geworden: Wenn sie selbst schon so bewusst zum Mittel der Lüge greifen, muss man gar nicht mehr nachforschen, ob es denn wahr sein könnte. Man weiß sofort, dass es falsch ist.

Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Erdogan sorgte für mehr als nur Furore. Satire wurde zur Staatsaffäre. Was sagen Sie dazu?

Gsella: Ich war damals überrascht. Da kann man mal sehen, wie viel Macht das Netz inzwischen hat. Wenn das Gedicht in einer Tageszeitung erschienen wäre, wäre es wahrscheinlich nicht so weit gekommen. Ich finde Jan Böhmermann gut. Er ist lustig. Er hat eine Meinung, die ich teile. Er ist schön scharf mit immer wieder überraschenden Pointen und Arbeitsweisen. Ich fand das Gedicht zu Erdogan ganz lustig, weil es absolute Klischees beinhaltet gegenüber einem Menschen, der sich so viel erlaubt und herausnimmt, dass man sich ihm gegenüber auch alles herausnehmen darf.

Stimmen Sie Jan Böhmermann mit seinen Äußerungen gegenüber Erdogan zu?

Gsella: Man kann Erdogan gar nicht genug beleidigen und unsittlich anfassen. Das ist so ein Verbrecher, Geiselnehmer und Massenmörder. Da darf man sich alles erlauben und eigentlich dürfte er gar nicht von irgendwelchen Gesetzen geschützt sein, weil er ein offenbarer Verbrecher ist. Eigentlich dürfte er sich nicht mithilfe der Gesetze gegen Satire wehren. Deswegen war ich froh, dass dieses Gedicht in die Welt kam. Dass die Merkel sich blöd verhalten hat, war auch wieder zu erwarten. Sie ist ja nicht die Hellste, aber es ging ja dann doch noch ganz gut aus.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Gsella: Es wird immer weniger gelesen. Das ist sehr schade, weil das auch meine Bücher betrifft. Man sollte das ändern, indem man mit meinen Büchern wieder anfängt, mehr zu lesen.

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