Annäherung von Juden und Christen macht Fortschritte

Merzig · Kein Thema bewegt in diesen Tagen die Gemüter im Land so sehr wie die durch die Flüchtlingskrise bedingte Masseneinwanderung nach Deutschland. In diesem Beitrag soll die Zuwanderung in die Merziger Region während der letzten 200 Jahre als eine Geschichte der auf vielfache Weise stattgefundenen Begegnung mit dem Fremden dargestellt werden.

 Die Synagoge Merzig, Ansicht von der Neustraße aus. Foto: Archiv Porz

Die Synagoge Merzig, Ansicht von der Neustraße aus. Foto: Archiv Porz

Foto: Archiv Porz

Dies bestätigt, obwohl es sich dabei um ein Ereignis aus dem Jahr 1887 handelt, auch ein Bericht in der Merziger Zeitung vom 17. Juni 1887 aus Brotdorf. Darin heißt es: "Die Thora-Weihe in der hiesigen Synagoge konnte sich einer großen Beteiligung von nah und fern erfreuen. Am vergangenen Freitag, gegen 6.00 Uhr, bewegte sich ein Zug von über 300 Glaubensgenossen von dem Hause Meier Moses aus, woselbst die von dem hiesigen israelischen Jünglingsverein gespendete Thora der Abnahme harrte, nach der Synagoge. Zu Anfang des Zuges schritten die vier Ältesten der Gemeinde mit den vier alten Thoras, dann folgte die neue, umgeben von 20 weiß gekleideten Kindern, welche Kränze und eine Girlande trugen. Die Fabrikkapelle spielte den Choral: ‚Nun danket alle Gott.‘ Jetzt schlossen sich der Synagogenchor Merzig, an der Spitze Herr Kantor Schnerb und Herr Dirigent Hirsch an, dann der Herr Bürgermeister Reuter, Ortsvorsteher, Schullehrer u.n.A. Die Mitglieder der Gemeinde und viele Gäste bildeten das Gros. Vor der Synagoge angekommen, erklangen ein gut geschultes Lied mit Musikbegleitung und andere Gesänge. Darauf trug der Sohn des Herrn Hanau von hier ein passendes Weihegedicht in wahrhaft vorzüglicher Weise vor. In der Synagoge geschah die eigentliche Thora-Weihe durch Herrn Kantor Schnerb, welcher auch eine bedeutsame Festpredigt hielt. Samstags fand wieder Festgottesdienst mit Predigt statt, den der Synagogenchor von Merzig durch seine feierlichen Weisen verherrlichte. Abends und am Sonntagabend fand ein Festball bei Meier Moses statt. Es sei hier lobend erwähnt, dass die Einwohnerschaft von Brotdorf sich den Festteilnehmern gegenüber sehr nett benommen hat, was die erschienenen Gäste besonders angenehm berührte. Viele Einwohner hatten sogar ihre Häuser beflaggt."

Für die zunehmende Integration der Juden in die kleinstädtisch-ländliche Gesellschaft der Saarregion in der zweiten Jahrhunderthälfte spricht auch die Wahl mehrerer Juden in kommunale Ämter. Jüdische Stadtverordnete waren keine Seltenheit mehr, was auch für Merzig gilt, wo mit Simon Weil bis 1892 ein Jude im Stadtrat saß.
Keine Juden im Stadtrat

Allerdings blieb nach dem Ausscheiden Simon Weils den jüdischen Bürgern der Einzug in das Merziger Stadtparlament verwehrt, so auch bei den Wahlen am 8. November 1899. Im Hinblick auf das damals herrschende preußische Drei-Klassen-Wahlrecht, das sich an der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Wahlberechtigten orientierte, wurden in der 1. Klasse 10, in der 2. 69 und in der 3. Klasse 325 Stimmen abgegeben.

Die Merziger Zeitung, brachte in ihrem Bericht über die Wahlen am 10. November 1899 quasi ihr Bedauern zum Ausdruck, dass kein Jude dem Stadtrat angehörte, als sie kommentierte: "Den Israeliten ist es also auch diesmal nicht gelungen, einen Sitz im Stadtrat zu gewinnen, trotzdem die Berechtigung hierzu vielerseits anerkannt wurde, denn wenn, wie es hier der Fall ist, die israelitische Gemeinde einen so beträchtlichen Prozentsatz der Kommunalumlagen aufzubringen hat, so sollte sie auch bei der Erörterung und Beschlussfassung über städtische Fragen ein Wörtchen mitzureden haben."

Überhaupt machte auf einer breiteren gesellschaftlichen Ebene die Annäherung von Juden und Christen Fortschritte. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war ein erstaunlicher sozialer Aufstieg der jüdischen Minderheit erfolgt. Zunehmend betätigten sich jüdische Bürger in Merzig auch in den örtlichen Vereinen. Auffällig stark vertreten waren Juden in Vereinen, die sich der Geselligkeit und organisierten Fröhlichkeit verschrieben hatten. In Merzig war dies in der Karnevalsgesellschaft "Humor" der Fall, deren Präsident der Kaufmann Leo Weil war. Auch an der Gründung der Merziger "Liedertafel" waren jüdische Mitbürger aktiv beteiligt, wie Wilhelm Laubenthal berichtet.
Integration durch Vereine

Nicht zuletzt waren Juden zudem in den Militär- oder Kriegervereinen, zu denen sich die Veteranen der vorangegangenen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 zusammengeschlossen hatten, zahlreich vertreten. Vor allem diese Vereine galten geradezu als Hort deutsch-nationalen Denkens. Gerade dies stellt einen deutlichen Beleg dafür dar, dass die jüdische Bevölkerung mehr und mehr in die christliche Mehrheitsgesellschaft integriert war. < Wird fortgesetzt.

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