Merzig Die Schattenseiten der Freihandelsabkommen

Merzig · Über Probleme mit Umweltschutz und Menschenrechten in ihrer Heimat berichteten Aktivisten aus Südamerika in Merzig.

 Aurelia Martina Arzú Rochez aus Honduras (links) und Everardo Ulises Pérez Piche aus Honduras (rechts) erzählten von der Situation in ihren Heimatländern. Samuel Weber (Mitte) vom ökumenischen Büro München übernahm die Aufgabe des Dolmetschers.  Foto: NES e.V.

Aurelia Martina Arzú Rochez aus Honduras (links) und Everardo Ulises Pérez Piche aus Honduras (rechts) erzählten von der Situation in ihren Heimatländern. Samuel Weber (Mitte) vom ökumenischen Büro München übernahm die Aufgabe des Dolmetschers. Foto: NES e.V.

Foto: NES e.V.

Er wirkt unscheinbar, dieser kleine Mann mit der Brille, dem Pferdeschwanz und dem leichten Bierbauch. Doch wenn er über sein Heimatland spricht, hört man die Überzeugung in seiner Stimme, spürt man das Feuer, mit dem er für seine Sache brennt. Everardo Ulises Pérez Piche ist aus El Salvador nach Deutschland gekommen, um über die Missstände in seinem Heimatland aufzuklären.

Er vertritt an diesem Abend im Berufsbildungszentrum (BBZ) Merzig das „Red Ambientalistas comunitarios“ (auf Deutsch etwa „Netzwerk der gemeinschaftlichen Umweltschützer“). Dieses Netzwerk von Aktivisten kämpft für den Umweltschutz und für Menschenrechte. Zwei Ziele, die besonders in El Salvador eng miteinander verknüpft sind, wie Piche erläutert: „Unser Land ist ein sehr kleines, und wenn die Umwelt verschmutzt wird, geht dies unvermeidlich zu Lasten der Menschen.“

Nach Merzig gekommen sind Piche und die Aktivistin Aurelia Martina Arzú Rochez aus Honduras über das Netzwerk Entwicklungspolitik im Saarland (NES) und das ökumenische Büro München. Letzteres wurde vertreten von Samuel Becker, der für die lateinamerikanischen Gäste, die nur Spanisch sprachen, übersetzte.

Eines der Hauptanliegen der Aktivisten: Widerstand gegen Freihandelsabkommen Nordamerikas und Europas mit Zentralamerika, darunter DR-CAFTA („Dominican Republic-Central America Free Trade Agreement“, besteht offiziell seit 27. Juli 2005) zwischen den Vereinigten Staaten, Costa Rica, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua und das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika (unterschrieben am 1. August 2013).

Das Problem dieser Abkommen: Laut Piche öffnen diese Verträge der Ausnutzung der Menschen und der Umwelt der zentralamerikanischen Länder Tür und Tor. Unternehmen, die in El Salvador investieren wollten, setzten sich regelmäßig über die Souveränität des Landes hinweg. „Und unsere korrupte Regierung schert sich nur um die eigenen wirtschaftlichen Interessen, nicht um das Volk. Wir müssen auf die Straße gehen, um uns Gehör zu verschaffen“, klagt Piche. Selbst radikale Aktionen wie das Blockieren ganzer Straßen reichten nicht aus, um die Regierung zum Handeln zu bewegen.

„Die Abkommen schaden unseren Ländern mehr, als dass sie ihnen helfen“, behaupten die Aktivisten. Daher kämpfen sie dafür, dass sich ihre Regierung aus den Abkommen zurückziehe. Allerdings müsste El Salvador beim Verstoß gegen die Bedingungen der Abkommen Strafen in Millionenhöhe zahlen. „Geld, das unser Land nicht hat“, beanstandet Piche. „Wenn die meist ausländischen Unternehmen jedoch unsere Menschenrechte verletzen – was ständig passiert –, gibt es keine Möglichkeit, die Firmen dafür zur Rechenschaft zu ziehen.“

Dennoch konnte das Netzwerk in El Salvador Erfolge verbuchen, wie Piche berichtet. Im vergangenen Jahr setzte das Parlament etwa das Verbot des metallischen Bergbaus in El Salvador durch. Wie der Abbau von Mineralien dem Land und den Menschen schaden kann, erklärt der Aktivist: „Chemikalien wie Zyanid und Quecksilber werden bei Suche und Abbau von Gold verwendet. Die Auswaschung von Schwermetallen und anderen giftigen Abfällen gefährden Wälder, Böden und Wasservorkommen. Dabei ist die Zerstörung der Umwelt unumkehrbar.“ Diese Firmen schrecken nach Piches Darstellung nicht vor Einschüchterung und Mord zurück, um die Bevölkerung ruhig zu halten. Die Situation verschlimmere sich dadurch, dass die Bürger nicht wüssten, welche Unternehmen was in das Land investieren. „Vor allem die reichen Bodenschätze unseres Landes sind es, die diese Firmen nach El Salvador bringen“, kritisiert Piche.

Aurelia Martina Arzú Rochez aus Honduras, Vize-Koordinatorin der „Organización Fraternal Negra Hondureña“ (auf Deutsch etwa „brüderliche Organisation der schwarzen Bevölkerung von Honduras“) hatte Ähnliches zu berichten. Sie gehört den Garifuna an, einer indigenen Bevölkerungsgruppe in den USA und Zentralamerika. Die Garifuna waren, wie Rochez erzählt, ursprünglich auf der Karibikinsel St. Vinzent heimisch, wurden von dort aber vor 220 Jahren vertrieben. Ihre Flucht endete schließlich in Honduras. „Wir stammen nicht aus Afrika und wir waren auch nie Sklaven“, so beschreibt die Aktivistin die Abstammung ihres Volkes. Die Garifuna sind vor allem entlang der Küste im Norden Honduras‘ zu Hause, sie leben größtenteils vom Fischfang und der Landwirtschaft. Ihre Organisation kämpfe „für die Rechte der Bevölkerung der Garifuna und aller indigenen Bevölkerungen von Honduras“, stellt Rochez klar.

„Wir werden verfolgt und bedroht, denn wir leben auf dem wertvollsten Land von Honduras“, beklagt die Aktivistin. Ähnlich wie in El Salvador erlaube die honduranische Regierung ausländischen Firmen, die Einheimischen zu vertreiben, das Ermorden und Bedrohen von Aktivisten sei an der Tagesordnung. „Die Firmen nutzen das Land aus“, schimpft Rochez, „sie bauen Ölpalmen an, die das Wasser vergiften und Flora wie Fauna schaden.“ Das gesunde Öl, das aus den Kokosnüssen gewonnen werde, verkauften die Garifuna auch, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. „Diese Firmen bieten dann als Konkurrenz das Öl von Ölpalmen an, doch dieses Öl ist voller Chemikalien“, flucht die Aktivistin.

Wie es zu alldem kommen konnte, steht für Rochez fest: „Wir leben in einer Diktatur. Unsere Regierung ist dabei, die Demokratie abzuschaffen.“ Seit einem Putsch 2009 befinde sich das Land in einer Krise, wettert Rochez. Präsident Juan Orlando Hernández habe das Gesetz so weit verändert, dass er wiedergewählt werden konnte, obwohl dies gemäß der Verfassung nicht möglich sein sollte. „Nach dem Wahlbetrug im vergangenen Jahr will der Präsident jetzt sogar das Vetorecht abschaffen“, beklagt die Aktivistin. Auf internationale Hilfe könnten die Honduraner nicht hoffen. „Die Unesco und die Internationale Arbeitsorganisation sollten die Rechte der Garifuna schützen, aber alle internationalen Bemühungen werden von der Regierung Honduras‘ nicht anerkannt“, schilt Rochez. Viele Menschen wollten aus dem Land fliehen, es gebe zu viel Gewalt und zu wenig Arbeit.

Grundsätzlich sind sie nicht gegen internationalen Handel, betonen Piche und Rochez, allerdings prangern sie Freihandelsabkommen an, welche nach Ansicht der Aktivisten die lateinamerikanischen Länder immer benachteiligen. Viele Nahrungsmittel würden hingegen ohne solche Verträge gehandelt. In den zentralamerikanischen Ländern spürten die Einheimischen jedoch nichts vom „Fairen Handel“. Bauern müssten ihre Erzeugnisse immer noch unter Wert verkaufen, in der Fachsprache „Dumping“ genannt. „Dabei gibt es kleine Initiativen, die bemüht sind, es den Landwirten zu ermöglichen, alles, was sie für die Produktion brauchen, selbst herstellen können“, erkennt Piche an.

 Foto oben: Everardo Ulises Pérez Piche aus El Salvador berichtete über Ungleichheit, Ausbeutung und Korruption in seiner Heimat. Foto recht: Aurelia Martina Arzú Rochez aus Honduras erzählte von der schwierigen Situation der indigenen Völker in ihrer Heimat.

Foto oben: Everardo Ulises Pérez Piche aus El Salvador berichtete über Ungleichheit, Ausbeutung und Korruption in seiner Heimat. Foto recht: Aurelia Martina Arzú Rochez aus Honduras erzählte von der schwierigen Situation der indigenen Völker in ihrer Heimat.

Foto: NES e.V.
Aktivisten aus El Salvador und Honduras erzählen in Merzig
Foto: NES e.V.
 Die Teilnehmer des Vortrags halten Schilder hoch, mit denen sie fordern, dass die Modellstädte in Zentralamerika abgeschafft werden, und dass die Wasserversorgung in El Salvador nicht privatisiert werden soll.

Die Teilnehmer des Vortrags halten Schilder hoch, mit denen sie fordern, dass die Modellstädte in Zentralamerika abgeschafft werden, und dass die Wasserversorgung in El Salvador nicht privatisiert werden soll.

Foto: NES e.V.

„Was können wir in Deutschland tun, um den Menschen in Zentralamerika zu helfen?“ Diese Frage stand an diesem Abend im Raum. „Wir sind nicht gekommen, um Sie um Geld zu bitten. Wir werben für Solidarität“, verdeutlichte Piche. Er und Rochez bekräftigten die Absicht der beiden Organisationen, vor allem die Botschaft über den Zustand ihrer Heimatländer verbreiten zu wollen. „In Deutschland weiß überhaupt niemand, was in El Salvador und in Honduras vorgeht. Niemand weiß, wie es den Menschen dort geht“, mit diesen Worten machte Rochez ihrem Ärger Luft. Die Regierungen der zentralamerikanischen Länder behaupteten, dass es den Ländern besser ginge, als es ihnen tatsächlich geht. Das politische System in Honduras und El Salvador sei leicht zu manipulieren. „Was das Volk will, spielt keine Rolle“, fassen die beiden Aktivisten zusammen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort