Serie „Losheimer Opfer der Krankenmorde“ Fern der Heimat wurde Ferdinand J. ermordet

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden etwa 200 000 Menschen getötet, die psychisch erkrankt oder geistig behindert waren. Diesen Krankenmorden hat Henry Selzer in seinem Buch „Unrecht auf dem Land“ ein eigenes Kapitel gewidmet. Die dort geschilderten Fälle druckt die SZ anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus in einer kleinen Serie ab.

  An vielen Orten wird der NS-Opfer gedacht, so auch im Psychiatrie-Museum in Merzig. In einem Raum sind Kreuze zu sehen, die vom ehemaligen Friedhof des Krankenhauses gerettet wurden. Das leere Feld in der Bodeninstallation mit Erden aus mehreren Orten steht für alle unbekannten Verstorbenen.

An vielen Orten wird der NS-Opfer gedacht, so auch im Psychiatrie-Museum in Merzig. In einem Raum sind Kreuze zu sehen, die vom ehemaligen Friedhof des Krankenhauses gerettet wurden. Das leere Feld in der Bodeninstallation mit Erden aus mehreren Orten steht für alle unbekannten Verstorbenen.

Foto: Barbara Scherer

In den 30er Jahren erkrankte der in Losheim geborene und lebende Ferdinand J. Die später erstellte Diagnose lautete auf Schizophrenie. Er wurde zu den Barmherzigen Brüdern nach Trier eingeliefert. Im Rahmen der von der Aktion T 4 angeordneten Verlegungen aus kirchlichen Heimen wurden ab 3. August 1939 die meisten Patienten aus der Einrichtung der Barmherzigen Brüder in Trier an verschiedene Orte, unter anderem nach Andernach, verlegt. Die letzten in Trier Verbliebenen wurden am 10. September 1939 informiert, dass sie am folgenden Tag abtransportiert werden sollten.

„So zogen unter Begleitung der Brüder und Angestellten der Anstalt die letzten ‚Geisteskranken’ von Trier zu den Franziskanerbrüdern nach Ebernach. (…) Die Chronik (der Barmherzigen Brüder von Maria Hilf in Trier, Anm. d. Autors) hält fest: ‚In der Zeit vom 3.8.1939 bis 11.9.1939 wurde unser Bestand von 542 Nervenkranken durch die Nazis zwangsläufig von Trier abtransportiert und 530 Patienten des Krankenhauses einschließlich St. Johann ins Innere Deutschland evakuiert.’“1

Ferdinand J. verblieb die nächsten fast drei Jahre, bis Mai 1943, in Kloster Ebernach bei Cochem. Am 20. April 1943 hatte ein Brief des Oberpräsidenten der Rheinprovinz die Franziskanerbrüder in Ebernach erreicht.

Bei Ries und Marzi heißt es dazu: „Er enthielt die kurze Mitteilung, ‚aufgrund der Freimachung von Anstaltsplätzen aus Anlass des Luftkrieges habe die Reichsregierung angeordnet, dass in bestimmten Teilen des Reiches Anstalten bzw. Anstaltsteile für dringlich neue Zwecke, besonders des Gesundheitswesens… freizumachen seien, wofür der Reichsbeauftragte für Heil- und Pflegeanstalten in anderen Teilen des Reiches Plätze zur Verfügung gestellt habe.’ 200 Pfleglinge aus Ebernach seien zu verlegen, und zwar unverzüglich. Die Angehörigen dürften nicht benachrichtigt werden.

Am 3., 4., 5. und 6. Mai 1943 erfolgte der Abtransport von je 50 Bewohnern des Hauses in das rund 1250 Kilometer entfernt liegende Kulparkow bei Lemberg. Da gab es keine Diskussion mehr. Die Omnibusse fuhren vor. Die auf den Listen benannten Bewohner mussten die Reise antreten.“1

 Das Buch "Unrecht auf dem Land" stellten in Losheims Schlößchen (v.l.) Helmut Harth, Hubert Schommer und Henry Selzer vor. FOTO: DIETER ACKERMANN

Das Buch "Unrecht auf dem Land" stellten in Losheims Schlößchen (v.l.) Helmut Harth, Hubert Schommer und Henry Selzer vor. FOTO: DIETER ACKERMANN

Foto: a-n

An anderer Stelle heißt es zu Kulparkow: „Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen 1939 begannen dort auf Initiative des Chefs der Zivilverwaltung und späteren Gauleiters von Danzig/Westpreußen, Albert Forster, Einheiten der SS mit der Erschießung von Patienten polnischer Heil- und Pflegeanstalten. Nachdem deutsche Truppen im Juli 1941 die ehemalige polnische Anstalt Kulparkow besetzt hatten, wurden die dortigen Patienten systematisch ausgehungert. Im Januar 1943 waren nur noch 260 von ursprünglich über 2000 Anstaltsbewohner am Leben. Der Anstaltsraum wurde daraufhin mit Patienten aus der Rheinprovinz belegt.“2

Und auf der Internetseite www.gedenkort-t4.eu heißt es: „Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 gerieten binnen kurzer Zeit nicht nur hunderttausende Juden unter deutsche Herrschaft, sondern auch Patienten und Anstaltsinsassen in den okkupierten Gebieten der Sowjetunion.

Organisatorisch unabhängig von der ‚Euthanasie’-Aktion, aber einmal mehr mit ähnlichen Zielen und Opfern operierten die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD in den besetzten Gebieten und erschossen nicht nur Juden, sondern machten auch psychiatrische Einrichtungen und Pflegeheime zu einem ihrer Ziele.

Beispielsweise wurde im November 1941 das Psychiatrische Krankenhaus Kulparkow in Lemberg von einer SS-Einheit buchstäblich leergemordet, erschossen wurden dabei 1000 bis 1200 Patienten, darunter 600 Juden.“

„Franziskanerbruder Eberhard schrieb in seiner Geschichte über Ebernach zu Kulparkow: ‚Ein deutscher Arzt hatte dort die Leitung in Händen, katholische Ordensschwestern die Pflege. Schon bald trafen aber von den Angehörigen Schreiben ein, dass ihr Sohn, Bruder usw. dort verstorben sei. Warum wir von der Verlegung nichts mitgeteilt hätten?’ Das Koblenzer Landgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 29. Juli 1948 festgestellt: Die nach Kulparkow verbrachten Pfleglinge wurden dort umgebracht. Angebliche Ordensschwestern waren nichts anderes ‚als zu Zwecken der Tarnung, das ist zur Erweckung von Vertrauen, in Ordenstracht gesteckte Pflegerinnen.’

Die zwischen 1870 und 1875 erbaute Anstalt Kulparkow bei Lemberg war 1907 bereits mit 1100 Menschen überfüllt gewesen. 1939 wurden dort mehr als 2000 Kranke betreut. Im Juli 1941, nach der Übernahme durch die Deutschen, begann hier ihre massenhafte und planmäßige Vernichtung durch Hunger und Unterernährung.

Zu den Toten zählten auch die namentlich aufgelisteten Bewohner von Ebernach.“1

In den standesamtlichen Unterlagen der Gemeinde Losheim ist Ferdinand J.s Todesdatum mit dem 3.11.1943 angegeben, und zwar durch Benachrichtigung durch das Standesamt Lemberg. So war auch Ferdinand J. fern der Heimat zum Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde geworden.

Das Buch „Unrecht auf dem Land“ ist in der Losheimer Reihe zur Heimatgeschichte, herausgegeben vom Verein für Heimatkunde Losheim am See, erschienen. Henry Selzer widmet sich darin der Geschichte der Losheimer Juden sowie weiterer Opfer des Nationalsozialismus.

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