Ein amüsanter Exkurs durch die Kunstgeschichte

Losheim · SZ-Redaktionsmitglied Michael Aubert hat den Kabarettisten in Pforzheim getroffen. Dabei konnte er so einiges aus dem Leben des Jürgen Becker erfahren, beruflich und auch auf ganz privater Seite.

 Mit der Stunksitzung im Kölner Karneval und den „Mitternachtsspitzen“ im WDR ist Jürgen Becker deutschlandweit eine feste Größe des Kabarett geworden. Foto: Veranstalter

Mit der Stunksitzung im Kölner Karneval und den „Mitternachtsspitzen“ im WDR ist Jürgen Becker deutschlandweit eine feste Größe des Kabarett geworden. Foto: Veranstalter

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 Der Kabarettist Jürgen Becker hatte seine berufliche Laufbahn mit einer Ausbildung zum Grafiker bei 4711 begonnen. Foto: Veranstalter

Der Kabarettist Jürgen Becker hatte seine berufliche Laufbahn mit einer Ausbildung zum Grafiker bei 4711 begonnen. Foto: Veranstalter

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Ganz alleine sitzt Jürgen Becker am späten Nachmittag auf einem der leeren Stühle in der dritten Reihe und blickt auf die Bühne, auf der er später auftritt. Ganz entspannt, die Beine übereinander geschlagen, beißt er unaufgeregt in seinen Apfel und steht auf: "Gut, danke", sagt er den Technikern lächelnd, "dann bis später!" Knapp zwei Stunden vor seinem Auftritt will der Kabarettist noch etwas essen. Nicht, dass man es ihm ansieht, aber es ist sein vierter Auftritt in vier Tagen. Düsseldorf, Ludwigsburg, Reutlingen und in wenigen Minuten: Pforzheim. "Vier Tage sind wirklich gut", sagt er. "Nicht zu viel, nicht zu wenig". Dabei ist sein Programm eine One-man-Show. Keine Helfer, keine Träger, kein Fahrer. Nur vier Kisten Kölsch, eine Kiste mit Büchern CDs, sein Notebook, ein paar Requisiten in seinem unspektakulären Ford und er: Jürgen Becker.

Was sich während des Gesprächs und beim Essen andeutete, bestätigt er auf der Bühne: Große Gesten, wahnsinnige Grimassen. Bei Becker ist Beruf tatsächlich auch Berufung. Nicht, weil der Kölner seit Jahrzehnten auf der Bühne steht, sondern weil und wie er die Zuschauer mitnimmt. "Ich habe heute nur etwas Probleme mit meiner Stimme", sagt der 55-Jährige, "deshalb will ich noch kurz entspannen." Bis, exakt eine Minute verspätet, um 20 Uhr das Licht ausgeht und das Gemurmel der etwa 150 Gäste verstummt. Erst dann erschließt sich, warum Becker schon während des Essens heiser klang, als hätte er zu viel gefeiert. Unentwegt geht er die kleine Bühne auf und ab, erklärt anhand von 120 Kunstwerken, Bildern und Collagen seine Weltanschauung und lässt keine Möglichkeit aus, sich über Politik, Religionen und Kirche lustig zu machen. Immer wieder grift er dabei zum Wasserglas, weil er seine Stimmbänder aufs Äußerste belastet.

Als er sich nach einer Stunde Monolog und gelegentlichem Dialog mit den Zuschauern in die Pause verabschiedet, gönnt man ihm von Herzen ein paar Minuten Ruhe. Doch was macht Becker? Er geht in den Zuschauerraum, signiert und verkauft Bücher und Cds und unterhält sich angeregt mit den Gästen. "Ich finde das super wichtig mit den Menschen die kommen zu sprechen", sagt er als wären sie seine Inspiration. "Nein", sagt er, "aber manchmal erzählen die so lustige Dinge, dass ich das mit ins Programm nehme". Und: "Ohne die Zuschauer funktioniert Kabarett nicht. Kommt keiner, wird es abgesagt".

Auf seinem amüsanten Exkurs durch die Kunstgeschichte wirkt Becker in Jeans, Hemd und Sakko und seinem Laserpointer fast wie ein Lehrer - nur eben nicht lehrerhaft. So wie er es sich wohl selbst von seinen Lehrern gewünscht hätte, bevor er, nachdem er zwei Mal sitzengeblieben ist, von der Schule flog. Sein "Husten" wird dabei von seinen eigenen Worten verschluckt oder vielmehr ignoriert. Bis zum Ende. Nur dass für ihn dann noch lange nicht Schluss ist. Noch bevor die ersten Gäste den Saal verlassen können, öffnet ihnen Becker ein Kölsch und stößt mit ihnen an, macht genau da weiter, wo er in der Pause aufgehört hat. Nur etwas unaufgeregter, schonender für die Stimme. Erst als er seine Sachen im Lastenaufzug zum Auto bringt, und dort seine "Bühnenschuhe" auszieht und erschöpft in seine Straßentreter schlüpft, ist auch für ihn Feierabend. Vier Tage lang. Dann geht es wieder weiter, vier Auftritte im Norden Deutschlands. Aber auch die wird er auf seine Art abreißen - unaufgeregt und am Ende wohl wieder etwas heiser.Sie sind in der Schule zwei Mal sitzen geblieben. Woran lag es?

An Latein und an Mathe. Man hat mir immer gesagt, ich könnte nicht gut Fremdsprachen. Und Latein spricht man ja so wie man es schreibt. Heute hätte ich lieber mal Französisch gehabt, da könnte ich auch was mit anfangen.

Wie kam es, dass Sie bei 4711 eine Ausbildung zum Grafiker gemacht haben?

Ich wollte eigentlich Autodesigner werden. Über die Ausbildung wollte ich über den zweiten Bildungsweg reinkommen. Aber bei 4711 habe ich auch schon Kabarett gemacht. "Mit Tosca kam die Zärtlichkeit" war ein Werbeslogan von mir - dabei ist das eher ein Verhütungsmittel. (lacht)

Und haben dann doch Sozialpädagogik studiert, um danach wieder eine Druckerei zu übernehmen?

Ja, ich wollte dann doch etwas Soziales machen. Und die Druckerei hatte ich ja nur vier Jahre lang. Ich musste mich dann entscheiden: Machste jetzt Kabarett oder Druckerei.

Wie kamen Sie zum Kabarett ?

Während meines Studiums haben wir für Kinder in Brennpunktvierteln ein Kulturprogramm entwickelt, ein pädagogisches Konzept für ein Spielefest. Das hat sehr gut funktioniert. In einem Sommer hatten wir über 30 Auftritte in verschiedenen Städten. Dann haben wir überlegt:Was machen wir im Winter? Wir waren so 30 Studenten. Dann hab ich gesagt: Lass uns doch ne Karnevalssitzung machen. Karneval war damals eher spießig. Mit unseren lange Haaren hätten die uns auch nicht genommen. So haben wir das Prinzip Karnevalssitzung umgekehrt, auf punkige Art.

Die Stunksitzung?

Allein das Wort Stunksitzung hat so gezündet, dass sie immer ausverkauft war. Da habe ich gemerkt dass ich das ganz gerne mache. Da konnte man ja gnadenlos üben. Das war ideal zum Anfangen. Das waren erst drei, dann 9, bis heute 50 Sitzungen.

Haben Sie ihre Leidenschaft für die Bühne dort entdeckt?

Schon beim Spielefest als Student. Die Kinder haben nicht gelacht, aber die Erwachsenen. Und da ich zum Jonglieren überhaupt keine Lust hatte, hab ich die Moderation gemacht. Das war genau richtig. Bei der Stunksitzung eben auch.

Aber Karneval , die Stunksitzung, das ist ja alles auf Köln zugeschnitten?

Angefangen hat es ganz klein, mit dem "Biotop für Bekloppte". Das ging wegen der Stunksitzung ganz gut. Ich wusste nicht, dass das überall geht, auch in Bonn oder München. Aber Köln ist so bekloppt und lustig, dass du denkst: die haben sie doch nicht mehr alle. Das kommt überall an.

Brauchen Sie die Bühne?

Weiß nicht. Wenn ich im Urlaub bin und fünf Wochen nicht spielen, ist auch ganz schön. Was ich vermisse, ist sich abends mit Freunden zu treffen.

Schon daran gedacht, Ihr Pensum zu reduzieren?

Nein. Nach dem Sommer merk ich schon immer: jetzt könnteste wieder. Der Beruf ist wirklich schön, nur die Arbeitszeit ist doof. Kabarett nur am Matinee das wäre schön (lacht). Aber ich mag auch den Kontakt mit dem Publikum. Deshalb bring ich auch immer Bier mit.

Sie sind dadurch ja viel unterwegs. Ist das Reisen Stress?

Nein, ich schau mir dann eben die Städte an. Nächste Woche bin ich in Norddeutschland - ich lerne Deutschland so ganz gut kennen. (lacht). Aber jeden Tag wäre mir das auch zuviel.

Gibt es einen‚Unterschied zwischen Nord- und Süddeutschland?

Man merkt es an den Zuschauerzahlen, dass die katholischen Gegenden besser sind. Überall wo Fasching oder Karneval gefeiert wird, geht es ganz gut. Luther hat ja das ganze Spielerische und den Spaß ein bisschen rausgenommen, da gibt es dann eben weniger Kabarett . Aber wenn die Leute kommen, ist es immer gleich, da merkst du keinen Unterschied

Außer vielleicht in Schwaben, die sind so sparsam, da kannste mit 120 Leuten echt zufrieden sein (lacht).

Was ist erlaubt im Kabarett . Gibt es für Sie Grenzen?

Grenzen gibt es schon immer. Wenn jemand im Rollstuhl sitzt oder ein Erdbeben war. Alles andere kann man im Einzelfall entscheiden.

Sie hatten eine kleine Rolle im Kinofilm "Knockin on heaven's door". Ist das was für Sie?

Da hab ich gemerkt, dass der Beruf des Schauspielers viele Nachteile hat, gegenüber dem des Kabarettisten . Man kommt nicht in Fluss. Viele Leute werden immer nur kurz gebraucht. Man hängt den ganzen Tag ab, ist immer nur am Essen und quatschen - und plötzlich ist man dran - und dann kannst Du den Text nicht (lacht).

Ihre Sendung "Mitternachtsspitzen" läuft jetzt schon seit dem Jahr 1992. Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Viele Kabarettsendungen haben einen Moderator, der die Gäste vorstellt. Das ist natürlich austauschbar. Wir haben auch Gäste, machen aber etwa 60 Prozent selbst, auch Kolumnen. Dadurch haben wir einen eigenen Charakter entwickelt…

Und weil wir nie in die ARD gewechselt sind.

Warum nicht?

Der WDR war immer super für uns. Wir hatten immer freie Hand - und immer unangefochten gute Quoten.

Haben Sie überhaupt schon daran gedacht, aufzuhören?

Nein. Ich schreibe jetzt erst mal neues Programm und dann muss man das oft spielen. Mir gefällt, dass man sich mit einem Thema so beschäftigen kann, aus verschiedenen Facetten natürlich. Und dass manLeuten, die keine Ahnung davon haben eine neue Welt eröffnen kann.

Was verpassen die Saarländer, wenn sie nicht kommen?

Die ganzen Zusammenhänge und dass die Unterschiede auf der Welt ein nie versiegender Quell der Heiterkeit sind.

Karten für das Gastspiel von Jürgen Becker am 19. Februar in Losheim gibt es im Vorverkauf für 24,50 Euro in Losheim in der Tourist-Info, Buchhandlung Rote Zora, Infopunkt im Globusmarkt sowie in allen Vorverkaufsstellen und unter der Ticket-Hotline (0 68 61) 93 99 80 oder online unter www.kultopolis.com .

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