Auf fast 200 Seiten Buch blickt zurück auf eine Zeit des Unrechts

Losheim · Ein Buch von Henry Selzer stellt auf knapp 200 Seiten Schicksale von Opfern des Nazi-Regimes in Losheim vor.

 Das neue Buch „Unrecht auf dem Land“ stellten in Losheims Schlößchen (v.l.) Helmut Harth, Hubert Schommer und Henry Selzer vor.

Das neue Buch „Unrecht auf dem Land“ stellten in Losheims Schlößchen (v.l.) Helmut Harth, Hubert Schommer und Henry Selzer vor.

Foto: a-n

Vor zehn Jahren gab der Verein für Heimatkunde Losheim am See in seiner Reihe zur Heimatgeschichte die erste und zweite Auflage des Büchleins „Unrecht auf dem Land“ von Henry Selzer heraus. Als hätte der in Weiskirchen beheimatete Autor damals einen Stein ins Wasser geworfen, zogen die beiden ersten Auflagen über die Geschichte der Losheimer Juden und weiterer Opfer des lokalen Nazi-Regimes immer größere Wellen. Und Selzer wurde nicht müde, neue Quellen aus dieser Zeit für weiterführende Recherchen zu nutzen. Heraus kam dabei letztlich ein fast 200 Seiten umfassendes Buch (dritte Auflage), für das sich Hubert Schommer, Vorsitzender des Vereins, jetzt bei der Präsentation in der Gemäldegalerie des Losheimer Schlößchens beim Autor herzlich bedankte.

Bürgermeister Helmut Harth schloss sich diesem Dank für die vom Heft zum Buch gewachsene Dokumentation und den damit bewiesenen Mut Selzers an, der im sich aktuell vielerorts ausbreitenden Rechtspopulismus offenbar Voraussetzung für eine solche bewegende Aufarbeitung der Geschichte sei. Er fügte noch hinzu: „Die Zeitzeugen aus dieser finsteren Zeit sterben – umso wichtiger ist es, an bekannte Namen und belegbare Fakten aus Losheim zu erinnern.“ Und schon deshalb habe sich auch der Gemeinderat gerne an den Kosten beteiligt.

Dann schilderte Selzer, was ihn schließlich zu der Fleißaufgabe für diese dritte Auflage bewogen habe. Sie sei als Rückblick in die Losheimer Geschichte korrigiert und erweitert worden. „Korrigiert wegen einer Vielzahl von Rückmeldungen, die nach den beiden ersten Auflagen bei mir eingingen. Erweitert, weil ich mir noch einmal in Erinnerung gerufen hatte, dass, bei aller erschreckenden Einzigartigkeit der rassistischen Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten, nicht nur die Juden unter dem Regime zu leiden hatten.“

So sei es ihm erst nach dem Fund von Trierer Gestapo-Akten in Paris gelungen, das Schicksal politisch verfolgter Bürger Losheims zu recherchieren. Ausgangspunkt seien auch dabei, neben der Gestapo-Akte über Josef Scholer, konkrete Aussagen von Zeitzeugen gewesen. In systematischer Recherche in allen verfügbaren Archiven und in der Literatur habe er so die Geschichten von Losheimern, die entweder explizit politisch oder auch allgemein in die Unterdrückungsmaschinerie der Nazis geraten waren, rekonstruieren können. Selzer: „Diese Recherchen haben mich viel Arbeit und auch Geld gekostet. Und wenn man sich in diese alten Akten vertieft, dann können sie einen wirklich niederdrücken. Aber das war mir die Mühe wert!“

Der Autor erinnert unter anderem daran, dass die NSDAP bei der Wahl 1928 in Losheim ganze sechs Stimmen bekommen hatte. Die großen Gewinner dieser Wahlen seien das Zentrum (1040 Stimmen) und die Sozialdemokraten (225 Stimmen) gewesen; aber auch die Kommunisten hätten mit 77 Stimmen weit vor allen anderen angetretenen Parteien gelegen. Selzer: „Dieses Resultat zeigt, wie wenig die NSDAP im Hochwald bis dahin hatte Fuß fassen können.“ Spätestens jedoch mit der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 habe sich das Blatt gewendet.

Danach seien nach Selzer Recherchen mindestens drei Männer, die Mitglieder der örtlichen KPD waren, massiv von Verfolgung betroffen gewesen. Einer von ihnen sei ermordet, einer von 1933 bis 1945 inhaftiert worden, und weitere seien zumindest einmal oder mehrfach kurzfristig oder länger eingesperrt worden. Ein Bürger aus Wahlen, der in Buchenwald umkam, galt in seinem Dorf als Kommunist. Der Autor berichtete: „Viele andere Menschen wurden schikaniert, verhaftet oder ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt.“

Den letzten Teil seines Buches widmet Selzer der NS-Definition „unwertes Leben“ im damaligen rassehygienischen Denken: „Die sogenannte ,Euthanasie‘, in deren Verlauf in den Jahren von 1940 bis 1945 zwischen 185 000 und 200 000 Menschen getötet wurden, war der erste Massenmord in der Schreckensgeschichte der NS-Herrschaft“, sagte er dazu. Losheimer Menschen, die geistig oder seelisch erkrankt waren, wurden zumeist in die Landesheilanstalt Merzig, aber auch in vergleichbarem Ausmaß und sicher aus konfessionellen Gründen, nach Trier in die Einrichtungen der katholischen Barmherzigen Brüder eingewiesen.

Welche Folgen dies hatte, schildert der Autor an einem konkreten Beispiel, wobei er bewusst auf eine volle Namensnennung verzichtet: „Frau J. war in Benratherhof bei Paschel in ärmlichste Verhältnisse hinein geboren worden. Die Familie hatte viele Kinder, und der Vater war trunksüchtig. Mit 32 Jahren heiratete sie den Landwirt Matthias J. aus Britten und zog nach Britten.“ Mit 33 Jahren habe sie eine Zangengeburt gehabt, bei der das Kind verstorben sei. Spätestens von da an habe sie begonnen zu trinken. Weiter heißt es: „Nach einem Suizidversuch wurde sie 1934 das erste Mal in die Merziger Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen, aber auch wieder entlassen.“ 1936 habe sich der Ehemann an einen Losheimer Arzt gewandt. Seine Frau habe „religiöse Wahnvorstellungen“. Prompt wurde Angela J. erneut in die Anstalt eingewiesen. Nach Selzers Recherchen wurde sie später nach Merxhausen verlegt, einer Heilanstalt in Nordhessen. Von dort sei sie nie zurückgekehrt, und ihr Name tauche auch in keiner Aufnahmeliste nach dem Krieg auf. Folglich kam der Autor zu dem naheliegenden Schluss, dass sie dort im Vernichtungslager Hadamar ermordet wurde.

Insgesamt hat der Autor so Dutzende von Schicksalen recherchiert und in den vier Teilen des Buches dargestellt: die Geschichte der Losheimer Juden und ihrer Kinder, die von fünf Kommunisten aus Losheim, sieben Krankenmorde an Losheimer Bürgern und weitere fünf Opfer nationalsozialistischer Politik, die keiner dieser Kategorien zuzuordnen sind.

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