Betroffene sichtbar gemacht

Losheim · In der Peter-Dewes- Gemeinschaftsschule ist derzeit die Ausstellung „Auf Augenhöhe – Gesichter der Armut“ zu sehen.

 Stephan Klein vor seinem Projektbild, rechts Fotograf Pasquale D'Angiolillo. Fotos: Nina Drokur

Stephan Klein vor seinem Projektbild, rechts Fotograf Pasquale D'Angiolillo. Fotos: Nina Drokur

930 Euro - das ist die Grenze. Wem im Monat weniger zur Verfügung steht, der gilt nach europäischer Definition offiziell als arm. Laut dem Saarländischen Armuts- und Reichtumsbericht von 2013 werden im Saarland 15,9 Prozent der Einwohner als armutsgefährdet eingestuft. Tendenz steigend. "In der Statistik sieht man nur Zahlen, nicht aber die Menschen", klagt Wolfgang Edlinger, Vorsitzender der Saarländischen Armutskonferenz. Betroffene Menschen sichtbar zu machen ist der Leitgedanke hinter der Ausstellung "Auf Augenhöhe - Gesichter der Armut", die noch bis Donnerstag, 30. März in der Peter-Dewes-Gemeinschaftsschule zu sehen ist. Gezeigt werden Portätfotos von 14 Saarländern, die offiziell als arm gelten.

"Auf der Straße ist es ein Mal vorgekommen, dass ich mich so unerkannt, geradezu unsichtbar gefühlt habe, dass in mir eine Angst aufstieg, die schließlich so groß war, dass ich ein Gespräch mit dem erstbesten Rostwurst-Verkäufer suchte, nur um wieder ‚da' zu sein", beschreibt Stephan Klein, einer der Teilnehmer, einen prägenden Moment in seinem Leben. Seine Motivation am Projekt mitzuwirken: "Ich wollte so abgelichtet werden, weniger aus Eitelkeit, als aus dem Wunsch nach Anerkennung heraus. Anerkennung gegenüber meiner Person, meiner Geschichte und meines Innenlebens".

Das, so sagt er, habe er im Alltag nie wirklich erfahren. Mit 18 Jahren erhielt er die niederschmetternde Diagnose Schizophrenie. Der Krankheit geschuldet ist er auf Hartz-IV angewiesen - wie viele derjenigen, die auf den schwarz-weiß Fotos abgelichtet sind. Die Bilder sollen aber keinesfalls Stereotypen darstellen, sondern vor allem die Stärken der Betroffenen und deren Individualität in den Vordergrund rücken. "Sie sollen die Lebensenergie verkörpern, die jeder Einzelne braucht um jeden Tag zu meistern. Deswegen haben wir auch nicht einfach 14 Fotos geschossen", erläutert Edlinger.

"Es war ein zweijähriger, intensiver Prozess. Wir haben uns in der Gruppe die Lebenssituationen jedes Einzelnen angehört, darüber gesprochen und eine Vertrauensbasis aufgebaut." Vorgaben habe es keine gegeben, außer: Die Betroffenen hatten stets das Sagen. "Sie konnten sich selbst ein Motiv aussuchen, dass ihrer Meinung nach ihre Lebenssituation am besten wiederspiegelt", schildert Edlinger weiter.

Auch die Titel der Bilder wurden von den Mitwirkenden selbst gewählt. "Deshalb sind sie auch so verschieden. Mal ein ganzer Satz, mal nur ein einzelnesWort."

Die Titel verraten auch, dass die Gründe für den Abstieg in die Mittellosigkeit unterschiedlich sind: "Etappensieger - 15 Jahre Drogensucht", "Einsamkeit - 13 Jahre Einzelkämpfer" , "Will endlich wieder wollen können - Selbstbefreier" sind nur einige Beispiele. Krankheit, Schicksalsschläge oder Behördendschungel, stecken dahinter. "Ich war überrascht, wie klein die Auslöser in vielen Fällen waren. Das hat mir gezeigt, dass es jeden treffen kann. Wir könnten alle irgendwann in die Armut fallen", sagt Fotograf Pasquale D'Angiolillo.

Zum Thema:

 Wolfgang Edlinger, Vorsitzender der saarländischen Armutskonferenz.

Wolfgang Edlinger, Vorsitzender der saarländischen Armutskonferenz.

Eine Ausstellung setzt Akzente Im Oktober vergangenen Jahres wurde die Austellung bereits in der Arbeitskammer in Saarbrücken gezeigt. Dort wurde Lehrerin Anna-Maria Schmitz auf sie aufmerksam und schlug vor, die Bilder auch nach Losheim zu holen. Dagmar Ertl, Referentin für Arbeitsmarktpolitik der Arbeitskammer des Saarlandes und eine der Initiatorinnen des Projektes, war zunächst überrascht von der Anfrage: "Die Ausstellung war ursprünglich nicht als Wanderausstellung geplant, wir freuen uns aber über die Resonanz. Im Landkreis Merzig-Wadern ist jedes fünfte Kind von Hartz-IV betroffen. Das Thema steht oft nicht im Blickfeld des öffentlichen Interessens. Es ist gut, dass die Ausstellung auch in die ländliche Gegend kommt." Schulleiter Gerd Bermann versicherte: "Die Ausstellung wírd auch in den Unterricht eingebunden. Beim Aufstellen der Bilder zeigten die Schüler bereits großes Interesse Einige waren neugierig, einige fasziniert, einige auch irritiert". Es solle deutlich werden, dass man sich nicht verstecken müsse, wenn man von Armut betroffen sei. "Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass auch diese Menschen wichtige Menschen sind, die zu unserer Gesellschaft gehören", sagte Bermann.

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