Interview mit Wladimir Kaminer „Die Saarländer sind wie Wunderkerzen“

Merzig-Wadern · Der Autor erzählt, welche Eindrücke er vom Saarland gesammelt hat und was seine Kinder von seinen Geschichten halten.

 Wladimir Kaminer hätte beim landesweiten Literaturfestival „Erlesen“ in Losheim lesen sollen.

Wladimir Kaminer hätte beim landesweiten Literaturfestival „Erlesen“ in Losheim lesen sollen.

Foto: dpa/Felix Hörhager

In seinen Büchern erzählt Wladimir Kaminer Anekdoten aus seinem Leben, von seinen Reisen und von zahlreichen Menschen, denen er so begegnet ist. Wie er auf alle diese Geschichten kommt, was als Nächstes ansteht und was er von den Saarländern hält, hat der Autor und Kolumnist im Interview mit der SZ verraten.

Herr Kaminer, Sie haben bereits 27 Bücher veröffentlicht, jedes Jahr erscheint ein neues, Sie schreiben quasi ständig. Wie finden Sie all diese Geschichten?

KAMINER Für mich ist der größte Wert eines Menschen seine Geschichte. Ich mache ja im Grunde genommen nichts anderes, als mit anderen zu kommunizieren. Und aus diesen Gesprächen entstehen meine Bücher. Es ist das einzig Wichtige, was die Menschen produzieren: So wie die Bienen den Honig machen, so machen die Menschen Geschichten.

Passiert Ihnen eigentlich mehr Absurdes oder Tragikomisches als anderen? Oder ist es Ihr Blick darauf, der eine gute Geschichte daraus macht?

KAMINER Mir passiert sicherlich viel. Ich bin viel auf Reisen, außerdem interessiere ich mich auch für das Abenteuer um die Ecke. Ich bin kein Mensch, der sich ständig mit sich selbst beschäftigt, ich bin ein neugieriger Mensch. Neugier und Empathie sind sehr wichtige Lebensgrundlagen, ohne sie wäre die Welt nicht zu ertragen.

Humor spielt bei Ihnen aber auch eine wichtige Rolle.

KAMINER Natürlich, das Leben ist eine Tragödie. Die Frage ist bloß, wie man mit dieser Tragödie umgeht. Man muss über diese Tragödie des Lebens lachen lernen, dann kann man damit leben.

Sie schreiben oft über Ihre Freunde oder Ihre Kinder. Fragen Sie die eigentlich, bevor Sie eine Geschichte über sie veröffentlichen?

KAMINER Es sind ja ihre Geschichten, ich habe sie mir nicht ausgedacht. Manchmal sind sie gegen ein bestimmtes Thema. Aber ich versuche immer, das Wichtige vom Alltäglichen zu trennen. Inzwischen sind sie, glaube ich, sogar stolz darauf: Es ist etwas anderes, ob man nur als Mensch agiert oder als ein Stück Literatur. Und außerdem sind sie ja finanziell beteiligt an dem Ganzen.

Wovon handelt Ihr nächstes Buch?

KAMINER Eigentlich drehe ich mich immer im Kreis: Entweder schreibe ich über Menschen, die ich gut kenne, oder über Länder, die ich ständig bereise. Jetzt kommt ein Buch über meine erwachsenen Kinder, und Eltern, die immer kindischer werden. Das Buch wird heißen: „Rotkäppchen raucht auf dem Balkon“. Und danach möchte ich wieder über Deutschland schreiben – ein gutes Buch, weil Deutschland ständig gemobbt und kritisiert wird.

Bei Ihren Reisen durch die Provinz haben Sie sich vor einigen Jahren auch das Saarland angesehen, Sie waren in Saarbrücken, im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

KAMINER Sehr offene, liebenswürdige Menschen. Das erste Mal war ich im Frühling dort, die Schulen waren gerade auf dem Sprung in die Ferien, alle saßen an der Saar, und es roch nach süßem Gras, die kiffen da alle wie verrückt – also, es war schon sehr nett.

Sie haben über die Saarländer mal gesagt, sie ständen für das Feuer und sie zeichne eine gewisse Sturköpfigkeit aus. Wie haben Sie das gemeint?

KAMINER Das habe ich gesagt? Nun, ich habe wahrscheinlich gemeint: Sie sind wie ... Wunderkerzen. Sie zünden nicht gleich, aber wenn sie brennen...

...dann funkeln sie?

KAMINER Ja, genau, dann können weder Gott noch Teufel sie mit bloßen Händen löschen.

Das klingt nach einem positiven Blick auf die Region hier.

KAMINER Ja, das Saarland ist in Deutschland schon etwas Besonderes. Alle wundern sich, wenn sie Menschen aus dem Saarland treffen, hier in Berlin wirken sie ein bisschen außerirdisch. Ich glaube, das war auch das Problem von AKK (Annegret Kramp-Karrenbauer, Anm. d. Red.).

In der Bundespolitik finden sich ja derzeit viele Saarländer.

KAMINER Das stimmt, das Saarland bringt viele dieser Politiker hervor, die etwas eigen sind und etwas anders, ja alternativ.

Die Saarländer streben offenbar nach Macht.

KAMINER Ja, das kann sein. Aber nach einer Weile gehen sie dann wieder zurück ins Saarland, insofern schließt sich der Kreis.

Sie legen ja immer noch auf in Ihrer berühmten „Russendisko“, obwohl sie inzwischen über 50 sind. Ist man eigentlich irgendwann zu alt für die Disko?

KAMINER Für alles andere bin ich zu alt. Sagt meine 23-jährige Tochter. Sie findet immer, ich ziehe mich zu jugendlich an und dass ich dieses oder jenes nicht machen soll. Aber die Disko möchte sie unbedingt, das soll ich weitermachen. Sie sagt dann: „Papa, du hast schon lange nicht mehr aufgelegt.“

Und Ihr Publikum, wie alt ist das?

KAMINERAlso da sind Menschen, die sich auf jeden Fall noch bewegen können. Und Saufen, Tanzen, Spaß haben, das geht in jedem Alter.

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