Wochenkolumne Der Irrsinn ist dreilagig

Es gibt ein Bild in diesen außergewöhnlichen Corona-Tagen, das mir tatsächlich Angst bereitet. Es ist der Anblick der leer geräumten Toilettenpapier-Regale in allen, aber wirklich ausnahmslos allen Läden und Märkten, die dieses Produkt anbieten.

Wochenkolumne zu den gesellschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie
Foto: SZ/Robby Lorenz

 Diese leeren Regale stehen für die Kapitulation des gesunden Menschenverstandes vor dem irrationalen Irrsinn. Sie markieren für mich das Ende der Vernunft und den Triumph der Hysterie. Sie sind für mich ein Menetekel, das das Ende der Solidarität und den Primat des blanken Egoismus ankündigt. Seit dieser Anblick des nicht vorhandenen Klopapiers unseren Alltag bestimmt (also seit gut einer Woche), frage ich mich: Was in aller Welt bewegt Menschen dazu, sich ausgerechnet damit einzudecken, als gäbe es ab morgen nichts mehr?

Gewiss, wir befinden uns in einer Situation, die nach Ernsthaftigkeit, Vor- und Umsicht verlangt. Es geht um die Eindämmung einer Erkrankung, die für einige von uns zu einer wirklichen Bedrohung werden kann. Für einige, aber bei weitem nicht für alle. Und damit eben jene vor einer Infektion geschützt werden, die gefährdet sind, gilt es ein paar einfache Regeln zu beachten: Wir sollen größere Menschenansammlungen vermeiden respektive unterlassen. Wir sollen Abstand zu unseren Mitmenschen wahren und uns nur dann unter andere begeben, wenn es unbedingt notwendig ist. Wir sollen daheim bleiben, anstatt durch die Stadt zu schlendern und die Cafés zu bevölkern. Eigentlich alles gar nicht so schwer. Aber doch scheinen ganz viele ein Problem damit zu haben, diese Verhaltensregeln umzusetzen. Und darum greifen die Behörden nun zu verhältnismäßig drastischen Mitteln, um uns zur Einhaltung dieser Regeln quasi zu zwingen. Hier findet sich das erste Beispiel von fehlender Solidarität. Wenn es die denn gegeben hätte in den letzten Tagen, wäre manches von dem, was uns jetzt bevorsteht (Stichwort: Ausgangsbeschränkungen) wohl nicht notwendig gewesen.

Aber selbst wenn diese Ausgangsbeschränkungen kommen: Wir werden uns immer noch nach draußen begeben können, um uns mit dem Nötigsten zum Leben zu versorgen. Es besteht also gar keine Notwendigkeit, sich mit Bergen von Klopapier (und noch einigen anderen Dingen) einzudecken. Der niederländische Premierminister Mark Rutte hat es dieser Tage ebenso unverblümt wie unmissverständlich formuliert: „Wir haben so viel Klopapier, wir können zehn Jahre lang kacken.“ Selten hat ein Spitzenpolitiker sich so dezidiert zu diesem ganz speziellen Thema geäußert. Und doch hat er schlicht und ergreifend recht: Klopapier ist nun alles Mögliche – nur kein Mangelartikel, den es in rauen Mengen zu bevorraten gilt.

Und doch tun es – ganz offenkundig – viele. Sie nehmen damit allen anderen die Möglichkeit, sich ebenfalls damit zu versorgen – auch jenen, die es vielleicht ganz dringend bräuchten. Das ist zutiefst unsolidarisch, das ist im wahrsten Sinn des Wortes asozial. Ich frage mich da, und das mittlerweile ziemlich bang: Was steht uns bevor, wenn wir uns als Gesellschaft mal wirklich in einer ernsten, großen Krise befinden? Wenn eine Naturkatastrophe oder sonstiges Unheil über uns hereinbricht? Die Klopapier-Hamsterer dieser Welt (denn es gibt sie nicht nur bei uns, sondern offenbar allerorten) zeigen mir, dass der römische Dichter Plautus wohl recht hatte, als er vor über 2000 Jahren konstatierte, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei.

Ein wenig Trost spenden da die vielen Zeichen gelebter Solidarität und echten Miteinanders vor Ort. Die Menschen etwa, die freiwillig für andere, die sich wegen Corona nicht mehr aus der Wohnung trauen, Botengänge oder Einkäufe erledigen. Bleibt zu hoffen, dass dies auch unter verschärften Ausgangsbestimmungen noch möglich sein wird. Damit die Menschlichkeit im Angesicht der Pandemie nicht vor die Hunde geht.

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