Kolumne „Wort zum Alltag“ Mauern aus Hass müssen eingerissen werden

Wer am vergangenen Wochenende den Fernseher anschaltete, konnte dem Mauerfall vor 30 Jahren nicht entgehen. Besonders die Worte unseres Bundespräsidenten Steinmeier sind mir hängen geblieben.

Er nennt den 9. November einen ambivalenten Tag. Denn neben der friedlichen Wende 1989 und der Ausrufung der Republik 1918 erinnert er vor allem an die Barbarei 1938 mit brennenden Synagogen sowie die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Damit zeigt dieser Tag die Ambivalenz von uns Menschen und zu was wir fähig sind, im Guten und absolut Schlechten.

Mittlerweile sind wir Menschen bei all den Bildern von Gewalt und Terror abgestumpft. Der unglaubliche Versuch in Halle, eine ganze jüdische Gemeinde beim Gebet umzubringen, ist nur einige Tage vorbei und schon wieder vergessen. Wir Menschen brauchen das vermutlich, um zu überleben. Aber mich erschrecken diese zwei Seiten des Menschen zutiefst.

Warum können wir Menschen so komplett unsere Menschlichkeit verlieren? Ich denke vor allem, wenn wir anderen Menschen ihre Menschlichkeit absprechen und wenn wir mit Gewalt all das, was wir nicht verstehen und was uns Angst macht, vernichten wollen. Die Angst, verwundet zu werden, steckt in jedem von uns. Und diese Angst kann eine unerhörte Macht ausüben.

Ganz richtig weist unser Bundespräsident darauf hin, dass die Berliner Mauer, die so viele Opfer gefordert hat, nicht mehr steht. Aber quer durch unser Land seien neue Mauern entstanden: Mauern aus Frust, Mauern aus Wut und Hass. Mauern der Sprachlosigkeit und der Entfremdung. Mauern, die unsichtbar sind, aber trotzdem spalten. Diese neuen Mauern, die hätte nicht Walter Ulbricht gebaut, sondern wir selbst. Aber wie er wiederum richtig hinweist, wir haben erlebt, dass wir Mauern auch selber wieder einreißen können. Übrigens: Damals, 1989, zeigten sich einige christliche Gruppen besonders aktiv und mutig und einige Kirchen wurden zu Orten der Solidarität und des mutigen Kampfes gegen die Unfreiheit. Diese christlichen Orte des Mutes sollten uns heute ein Vorbild sein.

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