Interview Sabine Minninger „In Katowice war es ganz besonders bitter“

Merzig-Wadern/Kattowitz · In über 50 Ländern war die Saarländerin Sabine Minninger für „Brot für die Welt“ schon unterwegs. Sie kennt die Folgen des Klimawandels aus erster Hand.

 Sabine Minninger in Kattowitz

Sabine Minninger in Kattowitz

Foto: Brot für Welt/Fentje Jacobsen

Dieses Jahr war Ihr Jubiläumsjahr, Sie waren zum zehnten Mal auf einem Klimagipfel im Einsatz. Das haben Sie selbst aber nicht als Rosenhochzeit, sondern eher als Rosenkrieg bezeichnet. Wieso?

SABINE MINNINGER Die Klimaverhandlungen sind wirklich eine Hassliebe. Auf der einen Seite die Verhandlungspositionen, die ich mit „Brot für die Welt“ und Partnerorganisationen seit zehn Jahren einfordere, auf der anderen Seite das ganz wenige Entgegenkommen in diesem Verhandlungsprozess. Allerdings ist es so, dass es doch in ganz kleinen Schritten weitergegangen ist, so dass man diesem Prozess nicht wirklich den Rücken kehren kann.

Wie haben Sie den Klimagipfel in Polen erlebt?

MINNINGER In Katowice war es ganz besonders bitter – vom ersten Tag an. Weil vor allen Dingen die USA, Russland, Saudi Arabien, Kuwait anerkannte Weltklimawissenschaft infrage gestellt haben. Nachdem jahrelang der Klimawandel kaum mehr angezweifelt worden ist, weil die Wissenschaft kaum noch Lücken aufweist, nehmen die Klimawandel-Skeptiker und -Leugner an Schwung auf. Angetrieben durch den Leugner, der im wichtigsten Amt der Erde sitzt, Donald Trump. Aber auch die AfD lädt Klimawandel-Leugner in den Bundestag ein. Das ist jetzt salonfähig.

Haben Sie eine Vermutung, woher diese Entwicklung kommt?

MINNINGER Das hat natürlich eine politische Bedeutung. Im IPCC-Bericht steht drin, dass wir nur noch ganz wenige Jahre haben, um von den fossilen Energieträgern weltweit wegzukommen, sonst schaffen wir es nicht, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu halten. Wir brauchen eine globale Energiewende hin zu erneuerbaren Energien. Staaten möchten auf den wirtschaftlichen Gewinn nicht verzichten, den sie durch die Nutzung fossiler Energien haben. Vermeintlich übrigens, das sieht man am Beispiel USA: Schaut man nur auf die Kohleverbrennung, ist das kein Argument. Es ist eine rein politische Lobby und Machtstruktur, die Trump dazu bewegt, an der Kohle festzuhalten. Kohle ist gar nicht mehr rentabel. Die Erneuerbaren sind viel rentabler. Aber er hat seinen Job bekommen, weil die Kohlelobby ihn unterstützt hat. Deshalb hat er in seiner Rede zum Austritt aus dem Pariser Abkommen gesagt: „Es sind nicht die Menschen von Paris, die mich gewählt haben, sondern die von Pittsburgh.“ Damit hat er sich entlarvt.

Was kann jeder Einzelne von uns gegen den Klimawandel machen?

MINNINGER Vernünftige Wahlentscheidungen treffen, damit fängt es schon mal an. Jeder Einzelne kann sich dafür einsetzen, dass Deutschland aus der Kohle aussteigt. Ansonsten mache ich den Menschen keine Vorschriften, welches Konsumverhalten sie an den Tag legen sollten, auf was sie verzichten oder ändern sollten. Ich glaube, unsere Rolle bleibt einfach, zu informieren. Nur gut informierte Menschen können verantwortliche Entscheidungen treffen. Aber wie viel Auto jemand fährt, wie viel er fliegt oder wie viel Fleisch er in der Woche isst, muss er selbst entscheiden. Ich lebe in Berlin, habe kein Auto, kann jeden Tag U-Bahn oder Fahrrad fahren. Sobald ich im Saarland bin – bei meiner Familie in Reimsbach – gibt es keine andere Möglichkeit, als mit dem Auto meiner Eltern unterwegs zu sein. Von daher kann ich niemandem Vorschriften machen, dass manche Familien vor dem Haus zwei oder drei Autos stehen haben, weil sie sonst nicht zur Arbeit kommen. De facto ist es in ländlichen Regionen ein Problem, dass es die Möglichkeiten, die Großstädte bieten, nicht gibt: Und zwar vom Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr zu wechseln, die Wahl zu haben.

Dieses Wissen ist auch in den jüngeren Generationen angekommen. Wie haben Sie die 15-jährige Greta Thunberg aus Schweden erlebt?

MINNINGER Die hat mir so aus dem Herzen gesprochen, ich bin sehr sehr froh, dass gerade jüngere Leute so ein hohes Bewusstsein haben, dass der Klimawandel wirklich eine Bedrohung für ihre Generation ist. Ich bin auf vielen Jugendkongressen weltweit eingeladen, und wenn es sich mit Dienstreisen verbinden lässt, nehme ich auch teil. Ich mache das total gerne. Da kommt so viel positives Feedback für meine Arbeit. Wenn ich bei Senioren irgendwo in Kirchengemeinden eingeladen bin, kommt doch immer mal die zögerliche Rückfrage: „Ist es denn jetzt so, dass der Klimawandel wirklich menschgemacht ist?“.

Greta hat aber auch gesagt: „Wir hatten so viele Klimakonferenzen, und nichts ist passiert. Wenn sich nichts ändern wird, wird es immer so weiter gehen.“

MINNINGER Wir müssen leider am Verhandlungstisch sitzen, es ist total wichtig, damit alle bei der Stange gehalten werden. Ganz schnell könnte da jemand rausplumsen und dann gibt es einen Domino-Effekt. Davor hatten wir alle Angst, als Donald Trump ausgestiegen ist aus Paris, aber es ist nicht passiert. Ich finde trotzdem, dass viel zu wenig bei diesen Kongressen rumkommt. Es erfolgt viel zu wenig nationale Umsetzung. Es sind gerade die kleinen und ärmsten Länder, die am progressivsten auftreten. Aber die großen Dinosaurier bewegen sich kaum. Und da hat eine 15-Jährige aus Schweden völlig Recht, dass es völlig verantwortungslos ist, was hier eine ältere Generation als ihre zu verantworten hat. Und ihre Generation wird wirklich die erste sein, auch in Europa, die das Ganze ausbaden muss.

Wieso sind Sie Klimabeauftragte geworden?

MINNINGER Ich komme aus einem Erdkundelehrer-Haushalt. Ich habe dann Geographie studiert an der Universität Trier und hatte meinen ersten Arbeitseinsatz nach dem Tsunami 2004 in Südostasien. Über ein paar Jahre in der Wiederaufbau-Phase der Regionen Thailand, Sri Lanka und Indonesien. Da hat sich schon gezeigt, dass es die Menschen, die am ärmsten sind und von einer Katastrophe betroffen sind, viel schwerer haben, sich von einem Extremereignis zu erholen, als die Menschen, die besseren Zugang zu finanziellen Mitteln haben. Irgendwann war meine Arbeit dort abgeschlossen, und ich habe die Lehre daraus gezogen, dass es so schnell vielleicht nicht nochmal so eine Jahrhundertkatastrophe gibt wie den Tsunami, aber der Klimawandel eigentlich ähnliche Auswirkungen auf die ärmsten Bevölkerungsgruppen haben wird.

Und wieso haben Sie sich für die politische Lobbyarbeit bei einer NGO entschieden?

MINNINGER Im Studium habe ich ein Praktikum bei den Vereinten Nationen gemacht, daraus erwuchs der Wunsch, in diesem Umfeld zu arbeiten. Aber während des Praktikums habe ich gemerkt, wie langweilig das ist. Das ist Behördenarbeit, die UNO entscheidet eben nicht selbst, sondern gibt nur eine Plattform für alle Staaten weltweit, um ihre Entscheidungen zu treffen. Und da hab’ ich schon gemerkt, dass es viel spannender ist, zu sehen, wie die Zivilgesellschaft sich in diese Prozesse einbinden. Die müssen kein Blatt vor den Mund nehmen. Die Zivilgesellschaft kann auf dieses ganze diplomatische Rumgeeiere verzichten und die Probleme beim Namen nennen.

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