Serie Museen im Saarland Ein Gefühl von Rom auf dem Land

Merzig · Mehrere Millionen Steinchen fügen sich in der Villa Nennig zu einem Kunstwerk zusammen.

 Auf einem der Mosaike kämpfen drei Novizen gegen einen Bären.

Auf einem der Mosaike kämpfen drei Novizen gegen einen Bären.

Foto: Villa Nennig

Hinter den Häusern von Nennig, eingekesselt zwischen Schrebergärten, versteckt sich eine kleine Sensation. Neben Maulwurfhügeln ragen kleine Säulenfragmente aus dem Boden. Mauerstücke lassen vermuten, was hier in der römischen Antike gestanden haben muss. Eine prächtige Villa Rustica, so zeigt es das kleine Modell im gallo-romanischen Schutzhaus, das den eigentlichen Sensationsfund beherbergt. Noch liegt das Areal im Winterschlaf, ab April können Besucher hier einen der bedeutendsten römischen Mosaikfußböden nördlich der Alpen betrachten.

Als Landwirt Peter Reuter im Jahre 1852 eine Rübengrube aushob, staunte er nicht schlecht. Schaute ihm doch plötzlich ein Löwe entgegen. Aus Angst um seinen Boden schaufelte er die antiken Steinchen, die er entdeckte, jedoch zunächst wieder zu. Erst ein Jahr später wandte er sich mit seinem Fund an die „Gesellschaft für nützliche Forschung zu Trier“. Die begann mit den Ausgrabungen und fand den jahrtausendealten Mosaik-Fußboden. So erzählt es Thomas Martin, der seit 1. Dezember die Leitung des Museums für Vor- und Frühgeschichte übernommen hat und damit auch für die Römische Villa Nennig verantwortlich ist. Die steht nämlich unter der Trägerschaft der „Stiftung Saarländischer Kulturbesitz“. „Das hat historische Gründe“, erläutert der 35-Jährige. Die preußische Regierung, der die Region im 19. Jahrhundert unterstand, habe die Bedeutung des Fundes erkannt und das Grundstück 1854 erworben.

Um den wertvollen Boden zu schützen, hat König Friedrich Wilhelm IV. sogleich ein Holzdach, und 1854 das noch heute bestehende Schutzgebäude errichten lassen. Es gehört damit zu den ältesten Museumsbauten in Deutschland überhaupt. Der Fußboden lag im Eingangsbereich der repräsentativen Villa. Vermutlich die Sommerresidenz reicher Römer, die den Bewohnern ein „Gefühl von Rom auf dem Land“ vermitteln sollte, wie Martin sagt. Der Villenkomplex zeichnet sich besonders durch seine schiere Größe aus, sagt Martin. Über 6000 Quadratmeter umfasst er. Von der Galerie im Schutzhaus aus haben Besucher freien Blick auf den zehn mal 15 Meter großen Mosaik-Boden. Ringsherum liegen schwarz-weiße Kacheln, „Es soll wie ein Marmorboden mit Teppich aussehen“, sagt Martin. Auf dem „Teppich“ ranken sich grün-gelbe Stränge, florale Motive und geometrische Muster sind zu erkennen, Rauten und Dreiecke. Die meisten Steinchen sind Originale. Nur wenige hat Villeroy & Boch 1874 rekonstruiert. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass sie etwas dunkler sind. Aus dem überladenen Durcheinander stechen acht Bilder hervor: sieben achteckige und ein viereckiges. Typische Szenen aus einem Tag im Amphitheater, sagt Martin, während er entlang der Galerie schreitet. Morgens geht es noch harmlos zu, sagt der Archäologe und zeigt auf das Mosaik, auf dem ein Tiger gegen einen Wildesel kämpft. Blut tropft in einzelnen Steinchen aus der Stelle, wo die Tigertatze das Huftier trifft. In den folgenden Bildern kämpfen Menschen gegen Tiere wie Raubkatzen und Bären. Verschiedene Waffen kommen zum Einsatz, Speere, Peitschen. Die Abwechslung habe eine große Rolle gespielt bei den Kämpfen, sie sollten schließlich unterhalten, weiß Martin. Tödlich sollten sie, entgegen der Darstellung in Hollywood, eigentlich nicht sein, klärt der Museumsleiter auf. Es waren Extrem-Sportler. Sklaven, die ihre Besitzer viel Geld kosteten in der Ausbildung, Ernährung und Unterbringung. Und das Publikum hatte seine Lieblinge. „Die konnte man nicht einfach sterben lassen.“ Trotzdem hat vor allem Wundbrand die meist jungen und übermütigen Gladiatoren das Leben gekostet.

Der Fußboden zeigt eine weitere Besonderheit. „Er ist oft in Musikbüchern zu sehen“, sagt Martin und macht auf das letzte Achteck aufmerksam, das dem heutigen Eingang am nächsten ist. Zu sehen sind zwei Musiker, ein Tubenspieler und ein Mann an einer Wasserorgel. „Eine der ältesten Darstellungen einer Orgel“, sagt Martin. Höhepunkt im Amphitheater und Höhepunkt des Kunstwerks ist der Kampf zweier Gladiatoren gegeneinander. Ein Leicht- und ein Schwergewicht, einer mit Speer und leichter Rüstung, einer mit massivem Schild.

Wie bei Villae Rusticae üblich, gehörte zu der repräsentativen Villa auch ein entsprechender Gutshof mit Nebengebäuden, der sich im Fall der Villa Nennig bis zur Mosel erstreckte. Eines davon, ein Badehaus etwa 250 Meter entfernt. Ein Gang verband die beiden Gebäude. Ob die Wandelhalle nur dazu diente, trockenen Fußes von A nach B zu gelangen, daran glauben die Forscher nicht. „Es gibt viele Theorien um diesen Gang“, sagt Martin. „Es könnte eine Sportstätte gewesen sein, vielleicht eine Gladiatorenschule.“ Das passe jedenfalls zu den Motiven des Mosaik-Fußbodens.

Einige der überirdischen Mauern lassen die einzelnen Räume zwar noch erkennen, genau zuordnen kann man sie heute jedoch nicht mehr. Es gab relativ wenig Funde, bedauert Martin. Der frühe Ausgrabungspunkt ist Fluch und Segen zu gleich. Man wollte damals so schnell wie möglich die Sensation freilegen. Dabei ist sicherlich vieles zu Bruch gegangen, auch gab es damals noch kein Gesetz, das darauf pochte, Funde dem Staat zu überlassen. Einige Entdeckungen bleiben so bis heute verschollen, sagt Martin. Ein Großteil des Komplexes liegt jedoch unter der Erde verboren, reicht sogar bis unter die Dorfkirche, um die historischen Funde vor Verwitterung zu schützen.

Wie er den Besuchern die Hintergründe dennoch anschaulich vermittelt, und wie die Zukunft der Villa Nennig aussieht, vor dieser Aufgabe steht der neue Museumsleiter jetzt. Gerade im Außenbereich sieht er Verbesserungspotenzial, weil es dort ohne Führung wenig Informationen für die Besucher gibt. Martin denkt deshalb über Infotafeln nach. Und eine Kooperation mit der Villa Borg schwebt ihm vor. Unlängst kam deshalb Kritik im Landkreis auf. „Eine Zusammenarbeit ist mit Sicherheit sinnvoll“, sagt er dennoch. Gerade weil die unterschiedliche Trägerschaft – Villa Borg unter der „Kulturstiftung für den Landkreis Merzig-Wadern“, Villa Nennig unter der „Stiftung Saarländischer Kulturbesitz“ – für Besucher nur schwer nachvollziehbar sei. Wissenschaftliche und Verwaltungsebene müsse man getrennt betrachten. Aber: „Ich finde Borg und Nennig ergänzen sich wunderbar komplementär.“ Die Stärke der Villa Nennig sieht der Saarbrücker Museumsleiter darin, dass Besucher den Boden an seinem ursprünglichen Ort in seinem ursprünglichen Kontext sehen, er nicht als Ausstellungsstück in irgendeinem Museum hängt.

Den Beruf hat er „ganz klar nicht fürs Geld gewählt“, lacht der 35-Jährige. Es gehöre viel Idealismus dazu: „Ich empfinde es als Privileg mit Originalen arbeiten zu dürfen.“

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