Zwei Wochen, die die Welt verändern

Reimsbach · Zwei Wochen hat sie gerungen, gekämpft für die Interessen der Ärmsten der Armen, unermüdlich die rhetorische und argumentative Trommel gerührt, um die Folgen der Klimaerwärmung im Zaum zu halten.

Und auch wenn das, was bei der UN-Klimakonferenz (COP 21) Mitte Dezember in Paris herausgekommen ist, sie nicht vollends zufrieden stellen kann, so ist Sabine Minninger nach dem diplomatischen Marathonlauf in der französischen Hauptstadt doch auch glücklich: "Es ist ein toller politischer Prozess, dass sich alle Staaten in Zeiten von Krieg und Terror auf solch ein Abkommen verständigen konnten", sagt die 39-jährige Diplom-Geographin, die aus dem Beckinger Ortsteil Reimsbach stammt. Und schiebt gleich im nächsten Satz hinterher: "Das ist es aber dann auch."

Seit 2003 war die gebürtige Saarländerin im Auftrag des Evangelischen Entwicklungsdienstes als Beraterin in vielen Entwicklungsländern vor allem in Südostasien und Südpazifik tätig. Heute arbeitet sie in Berlin bei der Organisation Brot für die Welt als Referentin für Klimapolitik. Und nahm in dieser Funktion an der UN-Klimakonferenz in Paris vom 28. November bis 11. Dezember teil. Die euphorischen Einschätzungen über das dort erzielte, von allen 195 teilnehmenden Staaten und der Europäischen Union befürwortete Abkommen mag sie zwar nicht teilen. Aber es seien doch, im Vergleich zu früheren Ansätzen wie dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009, deutliche Fortschritte erzielt worden, findet die Klima-Expertin. So sei erstmals ein Thema im Abkommen aufgegriffen worden, für das sich Brot für die Welt mit rund 40 Partnerorganisationen in Paris besonders stark gemacht hatte: die Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten (Loss and Damages), die insbesondere die weniger entwickelten und weniger privilegierten Staaten zu tragen haben. Erstmals ist nun das Thema Schäden und Verluste als eigenes Kapitel im Abschlussdokument einer UN-Klimakonferenz enthalten - für die Klimaexpertin ein großer Erfolg.

"Damit bekennen sich die Industrieländer erstmals zu ihrer historischen Verantwortung, die sie für den Klimawandel tragen", erläutert Sabine Minninger. Insbesondere die USA hätten in Paris ihre Blockadehaltung, die sie seit Beginn weltweiter Klimaverhandlungen vor 20 Jahren an den Tag gelegt hatten, aufgegeben, sagt sie - "aber dafür musste manche Kröte geschluckt werden". So setzten die Amerikaner an anderer Stelle einen Passus durch, wonach auf alle Zeiten Schadensersatzforderungen wegen Klimaschäden gegen Industrieländer ausgeschlossen bleiben. "Zumindest kam auf Druck des stark betroffenen Inselsstaates Tuvalu dieser Paragraf aus dem verbindlichen Abkommen in den unverbindlicheren Teil des Schlussdokuments, das so genannte Entscheidungsdokument." Denn die kleinen Inselstaaten , die angesichts des Anstiegs der Meeresspiegel um ihre Existenz fürchten müssen, hätten diese Ausschlussklausel als Beleidigung verstanden. "Es war allerdings zu Beginn der Konferenz schon klar, dass die ärmsten Länder nicht mehr weiterverhandeln würden, wenn das Thema Loss and Damages nicht in das Abkommen aufgenommen werden würde", weiß Sabine Minninger. Umgekehrt hätten die Industrieländer große Befürchtungen davor gehabt, dass Schadensersatzforderungen in unermesslicher Höhe an sie gerichtet würden. So sei das nun erzielte Ergebnis ein typischer Kompromiss, ausgehandelt in einem harten diplomatischen Ringen, in dem auch zu den Instrumenten des Feilschens, Taktierens und Bluffens gegriffen worden sei.

Dieses Tauziehen, das sich mitunter um einzelne Wörter entsponn, hat Sabine Minninger in Paris hautnah miterlebt. Und es war beileibe kein Zuckerschlecken, erinnert sie sich: Jeden Morgen gegen 7 Uhr gab es ein erstes Treffen mit den Partnerorganisationen, wo man sich über den aktuellen Stand der Verhandlungen , die sich meist bis tief in die Nacht hinein erstreckten, und die jüngsten Ergebnisse und Entwicklungen austauschte. "Die eigentlichen Verhandlungen gingen morgens gegen 10 Uhr los, und dann war es meistens so, dass ich bis in den Abend hinein ohne Unterbrechung in irgendwelchen Meetings, Besprechungen und Konferenzen gesessen habe." Auf dem Messegelände von Le Bourget hatten die französischen Gipfel-Gastgeber eine kleine Stadt aus Zelthallen errichtet, in denen sowohl die Verhandlungen zwischen den 195 teilnehmenden Staaten (plus EU) stattfanden als auch die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie eben Brot für die Welt, die ebenfalls am Gipfel teilnahmen, mit ihren Büros untergebracht waren.

"Das war klasse aufgebaut, es gab zwischen den einzelnen Gebäuden eine Art Boulevard, der Champs-Élysées genannt wurde und an dessen Ende sogar ein kleiner Eiffelturm stand", erinnert sich Sabine Minninger. Ohnehin hat sie für die französischen Gipfelgastgeber viel Lob parat: "Die französische Gipfelpräsidentschaft hat sehr frühzeitig erkannt, dass das Thema Loss and Damages gerade den ärmsten Ländern essenziell wichtig ist." So habe Frankreichs Präsident Francois Hollande bei seiner Eröffnungsrede betont, gerade kleine Inselstaaten müssen in der Bewältigung ihrer klimabedingten Schäden und Verluste unterstützt werden. Der französische Präsident habe es als Gastgeber "wunderbar verstanden, die Bedürfnisse der Ärmsten und Verletzlichsten auf den Verhandlungstisch zu packen" - allerdings habe er leider keine eigenen Ankündigungen zum Ausstieg aus der Kohle oder Atomkraft gemacht. Gerade das ist aus Sicht von Minninger aber unerlässlich, wenn man, wie im Paris-Abkommen von allen vereinbart, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad begrenzen will.

Ob dieses in Paris vereinbarte Klimaziel ausreicht, da wiederum ist die Wahl-Berlinerin skeptisch: "Im Abkommen steht zwar drin, dass die globale Erwärmung auf unter zwei Grad, nach Möglichkeit sogar auf unter 1,5 Grad begrenzt bleiben soll." Allerdings setze das Abkommen auf Freiwilligkeit, mache weder den Industrie- noch den Schwellenländern verpflichtende Auflagen, wie dieses Ziel zu erreichen sei - etwa durch den schnellstmöglichen Ausstieg aus fossiler Energiegewinnung durch Kohle oder Erdöl. "Das Abkommen setzt auf Freiwilligkeit. Aber die Maßnahmen, zu denen sich die Staaten bereits im Vorfeld der Pariser Konferenz bereit erklärt haben, reichen allenfalls, um die Erwärmung auf unter drei Grad zu halten", sagt Sabine Minninger. Und das sei zuviel für die Inselstaaten im Südpazifik: Damit die nicht unter dem steigenden Meerespegel verschwinden, sei die Begrenzung auf 1,5 Grad unerlässlich. Zumal seit Beginn der regelmäßigen Temperaturmessungen bereits etwa ein Grad Erwärmung erreicht worden sei. Immerhin, in einem anderen Punkt sieht sie Fortschritte: "Das Abkommen sieht vor, dass alle fünf Jahre die Staaten neue Ziele für die Eindämmung ihrer Treibhausgas-Emissionen verkünden müssen - "es wird regelmäßig nachverhandelt, das ist gut gelöst worden", befindet Minninger.

Eher enttäuschend sieht sie allerdings das Ergebnis der Pariser Konferenz im Hinblick auf den CO2-Ausstoß: "Gerade Deutschland wollte ursprünglich den Begriff Dekarbonisierung in den Vertrag aufgenommen haben" - das hätte den mittelfristigen Ausstieg aus sämtlichen fossilen Energiequellen bedeutet. Doch in den zwei Wochen währenden Verhandlungen habe niemand das Wort in den Mund genommen. "Die Bundeskanzlerin hat sich als einziges der G7-Staatsoberhäupter in Paris in ihrer Eröffnungsrede für die Dekarbonisierung stark gemacht, aber es nicht über die Lippen gebracht, vom Kohleausstieg zu reden", erinnert sich Minninger. Zu stark sei bei diesem Thema der Widerstand gerade einiger Schwellenländer wie Indien und der Erdöl-Exporteure gewesen. "Im Abkommen ist nun von Climate Neutrality die Rede." Das bedeutet: In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts soll ein Gleichgewicht erreicht werden zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und deren Absorption - beispielsweise durch Meere und Wälder, oder durch technische (und umstrittene) Mittel wie CO2-Verklappung. Zwar stelle diese Formulierung, die viel Spielraum für die weitere Nutzung fossiler Energiequellen lasse, sie nicht zufrieden, sagt Sabine Minninger, aber: "Es hätte noch schlimmer kommen können." Der Vertrag gebe dennoch ein starkes Signal, "dass die fossilen Energien ein Auslaufmodell sein werden". Für Deutschland bedeutet die Übereinkunft nach ihrer Überzeugung, dass nun so schnell wie möglich der Ausstieg aus der Kohleenergie auf den Weg gebracht werden müsse.

Allerdings sei, bei allem Positiven (und einigem weniger Erfreulichen), was die zwei anstrengenden Wochen in Paris am Ende erbracht hätten, eines klar, betont Minninger: "Jetzt fangen unsere Hausaufgaben erst an."

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