Düppenweiler Vom Haustadter Tal in den Urwald Brasiliens

DÜPPENWEILER · Familie Seger wanderte 1854 nach Südamerika aus. Eine Nachkommin pflegt den Kontakt zur Verwandschaft im Grünen Kreis.

 Walter Seger macht 1960 gemeinsam mit Freunden Musik. 60 Jahre lang brachte der Auswanderer aus unserem Kreis allen Lernwilligen der brasilianischen Gemeinde Pinhal Alto bei, ein Musikinstrument zu spielen.

Walter Seger macht 1960 gemeinsam mit Freunden Musik. 60 Jahre lang brachte der Auswanderer aus unserem Kreis allen Lernwilligen der brasilianischen Gemeinde Pinhal Alto bei, ein Musikinstrument zu spielen.

Foto: Norbert Becker - Repro/Helena Seger Weber

Schweren Herzens, aber getrieben von der Not und der wirtschaftlich aussichtslosen Lage der Landbevölkerung, gab es im 19. Jahrhundert eine Auswanderungswelle von Deutschen mit ihren Familien nach Nord- und Südamerika. Die Ackerbauern, Tagelöhner und Handwerker versprachen sich dort eine bessere Zukunft. Zu den Auswanderern, die per Schiff den weiten Weg über den Ozean in den neuen Kontinent auf sich nahmen, gehörten auch viele Menschen aus dem Kreis Merzig-Wadern, darunter solche aus dem damaligen Bürgermeisteramtsbezirk Haustadt (heute Gemeinde Beckingen).

So begab sich der 57-jährige Martin Seger ebenfalls im August 1854 vom belgischen Antwerpen aus mit seiner Ehefrau Anna geb. Gaidt (50 Jahre alt) sowie den beiden Kindern Angela (19 Jahre) und Katharina (14 Jahre) auf die große Reise nach Brasilien und fasste dort Fuß. Sein Nachkomme Walter Seger (1928 bis 2009) hat die ihm überlieferte Geschichte der Einwanderer und der Entwicklung des Dorfes Pinhal Alto (deutsch: Tannenwald), ihrer neuen Heimat, schriftlich festgehalten. Daraus hat nun dessen Tochter Helena Ines Seger Weber, eine frühere Lehrerin, ein interessantes Buch mit dem Titel „Central Pinhalense“ gemacht, das Anfang September erschienen ist und über Amazon erworben werden kann.

Sie steht per E-Mail in engem Kontakt mit ihrem entfernten, in Düppenweiler wohnhaften Verwandten Erhard Seger, dem früheren Bürgermeister der Gemeinde Beckingen und langjährigen ehrenamtlichen Chorleiter, der ihr bezüglich der deutschen Familienchronik der Familie Seger und der Bedeutung deutscher Wörter hilfreich zur Seite steht.

Dazu hat sie ihm geschrieben: „Ich habe 34 Jahre in einer Schule gearbeitet und schreibe gerne. Am Anfang war von einem Buch überhaupt nicht die Rede. Dann bin ich nach einer Busreise nach Hause gekommen und habe die Erlebnisse einfach aufgeschrieben. Es sind nun vom Anfang schon neun Jahre vorbei. Meine älteste Tochter sagte mir dann, ich müsse die 30 Kurzgeschichten veröffentlichen. So schrieb ich weiter. Viele der Hauptfiguren, mit denen ich reichlich Gespräche im Bus führte, sind sogar schon gestorben, ich muss ihnen diesen Schatz geben als Ehre. Dann wachte ich eines Morgens mit den Gedanken an Vaters Texte zum Thema Ansiedlung, einmal auf Portugiesisch und auch auf Deutsch, auf. Es rührte mich, plötzlich ‚zu schnallen’, dass die Geschichte nur auf Blättern stand, dass nur wenige Leute von ihr wissen und sie wahrscheinlich verloren ginge, wenn ich nichts tue. Irgendwie passt das alles zusammen.“

Ihr Vater dankte einst den Pionieren und Wohltätern der Gemeinde Pinhal Alto, deren heutige und ehemalige Bewohner als „Pinhalense“ bezeichnet werden. Er sagte, dass ihre Arbeit wie Bäume sei, deren Blüten und Früchte erst später zum Sehen und zu Genüssen da sind.

„Es gibt einen brasilianischen Film namens ,Central do Brasil’. In diesem stellt sich eine Dame am Bahnhof zur Verfügung und schreibt Briefe für einfache Leute, die nicht schreiben können und weit von zu Hause weg sind. Meine Rolle ist ungefähr die der alten Dame, nicht weil meine Hauptpersonen nicht schreiben können, aber weil sie nicht wissen, welch schöne, merkwürdige Geschichten sie erzählen“, erklärt Helena Seger-Weber.

Mit ihrem Buch will sie alle Mühe und Arbeit ihres Vaters bewahren und verewigen. Sie befasst sich mit der Geschichte des von vor allem deutschen Einwanderern errichteten und bewohnten Dorfes Pinhal Alto, hoch in den Bergen, 650 Meter über dem Meer gelegen und mit einer prächtigen Aussicht versehen. Pinhal Alto zählt heute mit dazugehörenden kleineren Orten etwa 5000 meist deutschstämmige Bewohner und ist ein Teil von Nova Petrópolis mit rund 20 000 Einwohnern.

Wie Walter Seger (1928 - 2009), ein Nachkomme einer der Aussiedlerfamilien Seger aus dem Haustadter Tal, in seinen aus Überlieferungen zusammengeführten Aufzeichnungen festgehalten hat, drangen im Jahre 1850 die ersten Kolonisten in den majestätischen Urwald des heutigen Tannenwalds vor. Vor ihnen stand ein Leben voller Anstrengungen und Entbehrungen. Sie bauten mit gegenseitiger Hilfe primitive Hütten. Mit Gottes Hilfe und durch eisernen Fleiß gelang es ihnen, sich nach und nach das Leben sorgenfreier zu gestalten.

Über die Mühseligkeiten dieses Lebens hinaus achteten sie vor allem auf ein höheres Ziel, das Heil ihrer Seelen. So legten sie ein Samenkorn in die Erde, das nach Jahren zu einem herrlichen Baum heranwuchs, der Blüten und Früchte bis zu nachfolgenden Generationen trägt.

Erster Einwanderer der neuen Kolonie Tannenwald war der Mecklenburger Karl Noth. Es folgten Rheinländer, Schlesier, Badenser, Moselaner, Hunsrücker, Saarländer und ein Italiener, darunter neben Katholiken auch einige Protestanten. Die junge katholische Gemeinde bestand 1860 aus 16 Familien. Was diese bedrückte, war die Entfernung von 45 Kilometern über eine unbequeme Fuß- und Reittrasse durch den Urwald zum Pfarrsitz und Priester. Um den in der alten Heimat gelebten Glauben lebendig zu erhalten, wurden wurden daher an Sonn- und Feiertagen in der Hütte eines Bewohners Privatandachten abgehalten. Man errichtete ein Hausaltärchen, auf dem ein Öllicht brannte. Auch Prozessionen wurden abgehalten.

Zwei „Edelsteine“ nannten die Vorfahren ihr Eigen: Glaubensfestigkeit und Eintracht, die alle Schätze dieser Erde überstiegen. 1863 las ein Pater namens Haag die erste Heilige Messe in der Hütte. Der erste Friedhof wurde im Jahre 1867 angelegt und eingesegnet. Im Jahre 1869 ein eigenes Gebäude als Bet- und Schulhaus errichtet, wo später alle zwei Monate an Werktagen die Messe gelesen wurde.

Peter Joseph Wickert, der sich unvergessene Verdienste im kirchlichen Leben erwarb, war der erste Küster und Lehrer der Gemeinde. Ihm folgten viele, wie später unter anderem auch Walter Seger, im Amt. 1870 wurde ein Kreuzweg beschafft und später noch eine Glocke. Durch das Anwachsen der Gemeinde auf 41 Katholiken wurde das Bethaus zu klein und man entschloss sich, ein neues und größeres zu bauen. Dieses wurde im Jahre 1904 zur selbstständigen Kapelle erhoben und eingesegnet. Man stellte sie unter den Schutz des reinsten Herzens Marias und feierte das erste Patronatsfest. 1908 wurde nicht nur ein neues Schulhaus errichtet, sondern auch zur Pflege kirchlicher Gesänge und Verherrlichung des Gottesdienstes ein Kirchenchor gegründet. Jahre später regten sich alle Hände der inzwischen auf 91 Mitglieder angewachsenen Kirchengemeinde, denen kein Opfer zu groß war, für den Bau einer, trotz den spärlich vorhandenen Mitteln dieser Zeit prachtvollen Kirche. Deren Grundstein wurde im Jahre 1927 gelegt und die Einsegnung erfolgte am 15. August 1927.

  Die Autorin erzählt in ihrem Buch „Central Pinhalense“ Geschichten aus ihrer brasilianischen Heimat.     Foto: Helena Weber-Seger/Repro: Norbert Becker

Die Autorin erzählt in ihrem Buch „Central Pinhalense“ Geschichten aus ihrer brasilianischen Heimat.   Foto: Helena Weber-Seger/Repro: Norbert Becker

Foto: nb Repro/Helena Seger Weber
 Die Autorin Helena Ines Seger Weber (4. von rechts) ließ sich 2018 im Kreise ihre Familie ablichten.

Die Autorin Helena Ines Seger Weber (4. von rechts) ließ sich 2018 im Kreise ihre Familie ablichten.

Foto: Helena Ines Seger Weber/Seger
 Blick auf die Kiche und den Friedhof von Pinhal Alto

Blick auf die Kiche und den Friedhof von Pinhal Alto

Foto: Helena Seger Weber

Walter Seger wurde ein Jahr später als ältestes von zehn Kindern geboren. Als sein Vater starb, war er erst 16 Jahre alt. Der Waise wurde Lehrer und kümmerte sich auch später noch, insgesamt 60 Jahre lang, um den Musikunterricht in der Gemeinde. „Die Tannenwäldler, die heute singen oder irgendein Instrument spielen, haben es meinem Vater Walter Seger, der 2009 verstarb, zu verdanken“, schreibt die 57-jährige Helena Seger Weber stolz an ihren fernen Verwandten Erhard Seger, der gerne den Kontakt zu ihr pflegt.

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