Interview mit Iny Lorentz „Das Patriarchat ist noch sehr stark“

Diefflen · Das Autorenpaar spricht über seine Werke und beantwortet die Frage, wie sich die Rolle der Frau im Laufe der Zeit verändert hat.

 Hinter dem Pseudonym Iny Lorentz steckt das Autorenpaar Iny Klocke und Elmar Wohlrath. Eine Lesung mit den beiden sollte in Diefflen stattfinden.

Hinter dem Pseudonym Iny Lorentz steckt das Autorenpaar Iny Klocke und Elmar Wohlrath. Eine Lesung mit den beiden sollte in Diefflen stattfinden.

Foto: Helmut Henkensiefken

Mit „Glanz der Ferne“ ist kürzlich der dritte Band rund um die Geschichte eine Berliner Fabrikanten-Familie, der im ausgehenden 19. Jahrhundert unruhige Zeiten bevorstehen, erschienen. Die Bücher stammen aus der Feder des Autoren-Duos Iny Lorentz. Im Mittelpunkt der neuen Geschichte steht Vicky, die Enkelin von Resa, der Protagonistin im ersten Band. Im Interview berichtet das Autoren-Paar von dem neuen Buch und der Arbeit mit historischen Stoffen allgemein.

Wie war es für Sie, in einer Trilogie eine Familiengeschichte zu skizzieren?

LORENTZ Im Grunde handelt es sich um drei Einzelbände, die den gleichen Personenkreis der Familie umfassen, nur mit einer anderen Hauptperson. Dabei ist es wichtig, den Anschluss an die Familie nicht zu verlieren. Es war eine interessante Aufgabe, weil ich immer hinter gewissen Punkten in der Geschichte her bin – in diesem Fall die Zeit um 1848, um die Revolution und wie unsere Heldin diese Revolution nutzen kann, um ihr Schicksal zu wenden. Im zweiten Band geht es um den deutsch-dänischen und den preußisch-österreichischen Krieg und das Schicksal der Familie während dieser Zeit und im dritten Band um die fortschreitende Industrialisierung sowie die Dekadenz der gehobenen Klassen.

Woher kommt Ihr Interesse für die Märzrevolution und den deutsch-dänischen Krieg?

LORENTZ Das ist eine alte Geschichte. 1982 unternahmen wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub in Nordstrand und weil wir immer Dinge aus der Gegend kaufen, auch Geschichtliches, sind wir auf diesen deutsch-dänischen Krieg gestoßen.

Worum geht es Ihnen, wenn Sie solche historischen Gegebenheiten aufgreifen?

LORENTZ Es geht darum, wie die Menschen damit umgehen, wie solche Ereignisse ihr Leben beeinflussen und welche Sichtweise die Menschen auf diese Geschehnisse haben. Wir verknüpfen historische Ereignisse mit Figuren, die wir erfinden, um zu zeigen, wie die Geschichte damals aussah.

Wie recherchieren Sie für diese Bücher?

LORENTZ Wenn wir ein Buch angehen, versuchen wir vor Ort Material zu bekommen. Das heißt, wir sammeln Museumsunterlagen und Geschichtsbücher von Tourist-Infos oder von örtlichen Historikern. Wir haben im Moment 14 000 Bücher, davon ungefähr 4000 bis 5000 Sachbücher. Langsam wird da unser Haus ein bisschen klein dafür.

Worauf haben Sie bei Ihrer Recherche für die Berlin-Trilogie geachtet?

LORENTZ Wir waren zweimal in Berlin, sind durch die Straßen gelaufen und haben uns das angesehen, was für uns relevant war, wie Museen oder die Straße Unter den Linden. Dabei fanden wir eine alte Stadtkarte, mit der wir Straßen angeben konnten, in denen unsere Figuren gelebt haben. Sogar die Geschichten von Heinrich Zille waren hilfreich. Wir haben uns angeschaut, wie die Hinterhöfe gebaut sind, wie die alte Architektur war, besonders von den schnell hochgezogenen Bauten für die Arbeiter, und wie die Hygienemaßnahmen aussahen.

Zum Thema Revolution: Wieso die Märzrevolution und nicht die Französische Revolution?

LORENTZ Die Französische Revolution ist kein Thema für unsere Leser, sie ist zu blutig, zu hart, zu mächtig. Die 1848er Revolution ist für Deutschland ein Beispiel, wie man es nicht tun sollte. Die ist völlig misslungen. Daher ist sie menschlich gesehen interessanter.

Zu Beginn Ihrer Karriere wurden Sie abgewiesen, weil Sie keine weibliche Hauptfigur hatten. Bis heute halten Sie sich an diesen Ratschlag und stellen mehrheitlich starke, emanzipierte Frauen in den Fokus. Warum?

LORENTZ An Frauen kann man soziale Situationen, besonders rechtliche, besser darstellen. Was ein Mann immer durfte, durfte eine Frau keinesfalls. Im Mittelalter hatten die Frauen mehr Rechte als in der Neuzeit: Sie konnten in Städten ein Waisenhaus oder eine Bürgerschule für junge Frauen leiten. Mit Beginn der Neuzeit um 1500 und der Orthodoxie sind die Rechte der Frauen regelrecht abgebaut worden – der Höhepunkt war das 19. Jahrhundert. Die Frauen waren so rechtlos. Und das war eines unserer Themen in der Trilogie.

Gelten diese Schwierigkeiten für Frauen heute noch?

LORENTZ Ja. Das Patriarchat ist noch sehr stark. Sie haben den Weinstein-Prozess verfolgt: Den Frauen wird nicht geglaubt. Weil da ein Mann die Macht hat, zu entscheiden, du machst jetzt Karriere und du nicht, weil du mir nicht den Hintern hingehalten hast. Und dann wird behauptet, die Frauen würden die Männer verführen, damit sie Karriere machen. Die Tatsachen werden immer zu Ungunsten der Frauen verdreht, man wird nicht ernst genommen. Wir sind immer noch nicht soweit.

Ist das einer der Gründe, wieso Sie Frauenrollen haben, die sich nicht alles gefallen lassen?

LORENTZ Ja. Es gab diese starken Frauenfiguren, die werden aber totgeschwiegen. Wir haben Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass sich ein Geschäftsmann im ausgehenden Mittelalter, Anfang der Neuzeit, bitter bei seinem Freund beklagte, dass seine Frau schon wieder auf Geschäftsreise gegangen ist. Und dass er zu Hause sitzt, um die Geschäfte weiterzuführen. Frauen sind auch Händlerinnen gewesen und haben Geschäftsreisen unternommen.

Wie sieht die Zusammenarbeit von Ihnen aus?

LORENTZ Es fängt an, dass wir uns über das Thema unterhalten und gemeinsam zu Recherchen fahren. Mein Mann liest und sucht heraus, was ich dann lesen muss. Über dieses Wissen und das Buch unterhalten wir uns, bis eine Reife da ist. Da mein Mann ein Elefantengedächtnis hat, schreibt er einen logisch aufgebauten Roman. Ich bin besser darin zu überprüfen, ob die Zusammenhänge und Sichtweisen stimmen, ob die Logik stimmt, ob die Sprache stimmt. Ich gehe viermal über den Rohtext und mein Mann kontrolliert jede Änderung. Danach kommen unsere Handkorrekturen, die ebenfalls zweimal durchgegangen werden.

Kann man den Text dann noch lesen?

LORENTZ Das ist das Geheimnis. Wenn ich ihn nach der vierten oder fünften Überarbeitung nicht mehr lesen kann, dann brauche ich das auch nicht von unseren Lesern zu verlangen. Aber wenn er mir immer noch Spaß macht, dann kommt diese Begeisterung auch bei den Lesern an. Uns interessiert, dass die Leser uns lieben und durch uns zum Lesen kommen oder dass über die Bücher geredet wird. Ein Buch, über das nicht geredet wird, ist ein totes Buch.

Welchem Thema wollen Sie sich als nächstens widmen?

LORENTZ Im Moment arbeiten wir an einem Fünfteiler, der vom 18. bis ins 19. Jahrhundert reicht. Der erste Band spielt hauptsächlich in Hamburg und beginnt mit einer Todfeindschaft zweier junger Männer, die um die gleiche Frau werben. Historisch wichtig werden die Besetzung von Napoleon und die rebellischen Staaten von Nordamerika.

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