Mehr Selbstbestimmung für Heimbewohner

Saarbrücken. Alte, verwirrte Menschen hinter Gittern oder im Bett festgebunden - diese Bilder gehen nicht von ungefähr besonders nah. Fixierungen sind ein Eingriff in das Grundrecht und nicht umsonst kann nur ein Richter sie anordnen. Trotzdem wird mit solchen Bildern gern Skandal gemacht. Suggeriert wird: Heime fixieren, um sich die Arbeit zu erleichtern

Saarbrücken. Alte, verwirrte Menschen hinter Gittern oder im Bett festgebunden - diese Bilder gehen nicht von ungefähr besonders nah. Fixierungen sind ein Eingriff in das Grundrecht und nicht umsonst kann nur ein Richter sie anordnen. Trotzdem wird mit solchen Bildern gern Skandal gemacht. Suggeriert wird: Heime fixieren, um sich die Arbeit zu erleichtern. In der Regel geht es jedoch um Sturz-Prophylaxe, allerdings auch um die Minimierung eines Haftungs-Risikos für das Heim gegenüber den Kassen.Im Sommer 2012 wurden im Saarland erstmals 14 Verfahrenspfleger an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) geschult, mit dem Ziel, Fixierungen in der Pflege zu reduzieren. Und bereits jetzt meldet der Betreuungsrichter Gero Bieg vom Saarbrücker Amtsgericht für 2012 nur mehr 347 Anordnungen (2011: 460) - es wurde eine Verbesserung um 25 Prozent erreicht. Für Bieg der Beweis dafür, dass Richter kompetente Berater brauchen, die idealerweise aus der Pflege kommen - Verfahrenspfleger. Sie prüfen sie als Experten vor Ort, ob sich nicht bessere Lösungen finden als ein Bettgitter zu installieren oder Gurte anzulegen. So kann das Tragen gepolsterter Hosen oder ein Niedrigflurbett (Sturzbett) eine Fixierung überflüssig machen. Warum dies so selten passiert?

"Die Pflege ist eine verfolgte Branche. Die Heim-Mitarbeiter gehen ungern Risiken ein, sie haben große Angst vor Verletzungen der Bewohner", berichtet Jürgen Schumacher, Vorstand der Stiftung Saarbrücker Altenwohnstift. Sicherheit gehe vor Freiheit, so beschreibt auch Dagmar Renaud von der HTW die herrschende Pflegekultur. Es gelte, Unsicherheiten bei den Mitarbeitern zu beseitigen, die selten wüssten: "Die Oberlandesgerichte entscheiden in Haftungs-Streitfällen meist im Sinne der Freiheit der Heimbewohner", so Renaud. Trotzdem werden täglich in Deutschland 400 000 Menschen zeitweise fixiert. Im Saarland sogar besonders oft. Es liegt auf Platz zwei der Bundesländer: 18,9 freiheitsentziehende Maßnahmen kommen auf 10 000 Einwohner (Bundesschnitt: 11,74). Keine gute Quote. Also haben sich hierzulande viele auf den Weg gemacht. Im Kreis Neunkirchen etwa machte der Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer das Thema Fixierungen zum Jahresthema bei Vorträgen, im Kompetenzzentrum Pflege des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes steht es ebenfalls auf der Agenda. Nun auch beim Sozialministerium: 2013 und 2014 werden allen 140 Heimen über die acht Pflegestützpunkte Weiterbildungs-Kurse angeboten. Das gab Andreas Storm aus SZ-Nachfrage bekannt. "Wir haben uns entschieden, dieses wichtige Thema flächendeckend zu bearbeiten", so Storm. Angesiedelt und evaluiert wird das Projekt am Institut für Gesundheitsforschung und Technologie (HTW); 40 000 Euro investiert das Land. In welcher Höhe die Heime an den Kurs-Kosten beteiligt werden, ist noch offen.

Diejenigen, die bereits Erfahrungen mit selbst finanzierten Mitarbeiter-Schulungen haben, berichten Verblüffendes. Beispielsweise Joachim Backes, Heimleiter im Haus St. Barbara in Fremersdorf. Dort wurden nach einem Kurs zwei der sieben Bauchgurte entfernt. Nun sind nur mehr 13 der 96 Bewohner fixiert. Sensibilisierung für das Thema sei der Schlüssel zum Erfolg, bestätigt auch Jürgen Schumacher für das Wohnstift Reppersberg und das Egon Reinert Haus (Saarbrücken): "Wir konnten in mehr als der Hälfte aller Fälle die Fixierung wegnehmen."

Doch wenn viele bereits in Bewegung sind, warum soll dann das Ministerium noch Motor spielen? Jochen Schneider, Geschäftsführer des Betreuungsvereins Pro Mensch, verweist auf den großen Anreiz, den ein finanziell "niederschwelliges Angebot" für Heime darstelle. - Die Garantie für Breiten-Wirkung. "Wir konnten mehr als die Hälfte der Fixierungen wegnehmen."

Jürgen Schumacher, Vorstand der Stiftung Saarbrücker Altenwohnstift

Meinung

Ansporn für die Heime

Von SZ-RedakteurinCathrin Elss-Seringhaus

Zwei Tage Fortbildung genügen - sofort stellt sich Erfolg ein, sinkt die Zahl der Fixierungen. Fast würde man sich deshalb wünschen, das Ministerium könne alle Heime zwingen, das Angebot zu nutzen, das jetzt auf den Weg gebracht wird. Dafür kauft sich das Sozialministerium lobenswerterweise das Know-how nicht bei den Marktführern "Redufix" (Freiburg) und "Werdenfelsener Weg" (Garmisch-Partenkirchen) ein, sondern beauftragt die hiesige HTW. So lässt sich auch eine landesspezifische Ergebnis-Auswertung anhängen, was die Heime wiederum anspornen dürfte, auf besonders hohe Senkungs-Ziffern zu kommen.

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