Marianne und Germania in der Karikatur

Wadgassen. Es ist köstlich, wie Kanzler Kohl kurz nach dem Mauerfall 1989 in der Zeitung "Libération" unter der herzhaften Umarmung der (DDR-)Germania ins Wanken gerät. Und es ist schauderhaft, welchen Kitsch der "Kladderadatsch" 1933 nach der NS-Machtergreifung produzierte: Die holde Germania reitet auf einem Zentaur - Hitler - Deutschlands Aufstieg entgegen

 Stürmische Umarmung durch die DDR-Germania für Kanzler Kohl, der ins Wanken gerät. So sah es am 29.11.1989 Bernard Willem Holtrop von der französischen Zeitung Libération. Fotos: Museum

Stürmische Umarmung durch die DDR-Germania für Kanzler Kohl, der ins Wanken gerät. So sah es am 29.11.1989 Bernard Willem Holtrop von der französischen Zeitung Libération. Fotos: Museum

Wadgassen. Es ist köstlich, wie Kanzler Kohl kurz nach dem Mauerfall 1989 in der Zeitung "Libération" unter der herzhaften Umarmung der (DDR-)Germania ins Wanken gerät. Und es ist schauderhaft, welchen Kitsch der "Kladderadatsch" 1933 nach der NS-Machtergreifung produzierte: Die holde Germania reitet auf einem Zentaur - Hitler - Deutschlands Aufstieg entgegen. Die aktuelle Ausstellung im Deutschen Zeitungsmuseum in Wadgassen "Marianne und Germania in der Karikatur (1550-1999)" sorgt dafür, dass wir Geschichte nicht als reine Kopfarbeit absolvieren. Gleichwohl gilt: Kaum eine Kunstgattung ist so zeitabhängig und deshalb so erklärungsbedürftig wie die Karikatur, dieser Mix aus Journalismus und Satire-Zeichnung. Deshalb wird neben der Schmunzel-Garantie in Wadgassen zusätzlich eine Art Quiz-Fieber ausgelöst: Versteht man die Anspielungen? Jedem einzelnen der 87 Blätter wurden aussagekräftige Erläuterungen mitgegeben, allerdings wurden sie so platziert, dass der Besucher entscheiden kann, ob er sie liest oder nicht. Tut er's, muss er viel Zeit investieren. Doch auch eine Kurz-Visite lohnt sich. Allein über die Bild-Sprache werden die Wandlungen der Nationalfiguren erkennbar, ihre Annäherungen und Kontrastierungen, je nach politischer Lage. Denn die Damen sind keineswegs festgezurrte Gegensatz-Charaktere. Hier die walkürenhafte Germania im Panzer-Kleid, dort die vom revolutionären Freiheitswind beflügelte, mädchenhafte Marianne mit der Jakobinermütze. Vielmehr können die beiden auch wie Zwillings-schwestern auftreten. 1848 wollten das deutsch-liberale Kräfte so. Sie träumten von einem deutsch-französischen Bündnis gegen Russland. Marianne kann außerdem schon mal als eher teutonische Fette-Henne-Mutti auftauchen. 1909 nährt sie Politiker mit einträglichen Pöstchen und Privilegien, während das Volk darbt. Und Germania wandelt sich zur zarten Jungfrau: 1920 schleppt sie ein bösartiger Gorilla - schwarze französische Besatzungs-Soldaten - zur Vergewaltigung. Hier paaren sich nationalistische und rassistische Klischees. Interessant auch zu erfahren, dass die tapfere Germania in restaurativen oder diktatorischen Tagen kaum mehr als Symbolfigur bemüht wurde. Denn am deutschen Michel oder an Hitler entzündete sich die böse Fantasie der Karikaturisten viel leichter.Die Masse der chronologisch gehängten Exponate stammt aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Gemessen an den sehr schütter dokumentierten Anfängen ist dieser Schwerpunkt ein wenig zu dominant geraten. Eine Münchner Zeitungswissenschaftlerin hat die Schau 1997 entwickelt, danach ging sie auf Wanderschaft. Für Wadgassen wurde sie kaum verändert. Immerhin wurde eine fabelhafte "Bild-Zeitungs"-Karikatur aus heutigen Euro-Krisen-Tagen hinzu gefügt: Angela Merkel mit Pickelhaube oder als Domina, die ihren EU-Kollegen den Kurs diktiert. Denn seitdem Deutschland weiblich regiert wird, übernimmt die Kanzlerin den Germania-Part. Bereits in den 80er, 90er Jahren wurde es Trend, die Nationalfiguren mit den jeweiligen Regierungschefs optisch zu verschmelzen. So tauchen beispielsweise Kohl und Chirac 1997 in einer Hachfeld-Zeichnung als dämlich grinsende Alt-Matronen auf - jede schwanger mit dem Euro. Schön zu sehen, dass die Karikaturisten kaum mehr die nationalen Unterschiede aufs Korn nehmen als vielmehr die Gemeinsamkeiten.

 Die zarte Marianne und ihre wilde Schwester Germania. (L. Métivet, 1918).

Die zarte Marianne und ihre wilde Schwester Germania. (L. Métivet, 1918).

Bis 18.3., Di-So 10 bis 16 Uhr, Wadgassen, Am Abteihof 1, Tel.: (0 68 34) 9 42 30.

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