Märchen für Groß und Klein

Was fängt man an mit einem beschissenen Tag? Wenn's draußen flatscht. Und Thea ihr Patenkind zuhause hat, das allmählich vor lauter Langeweile damit beginnt, die Wohnung umzudekorieren. Klorollen im Schlafzimmer drapiert, Suppenlöffel im Toilettenbecken spült, Zeitschriften auseinanderfleddert, wie zum Schutz vor Farbklecksen auf dem Korridorboden verteilt

Jungesellinnenabschiede liegen im Trend. Mädels, die wie Hyänen durch die City marodieren, in peinliche Kostüme gezwängt. Und jene, die alsbald unter die Haube kommt, erfüllt unter Gekichere kindische Aufgaben und fällt dazu Passanten an. Um die Schamgrenze zu überwinden, führen sie Hochprozentiges im Gepäck.

So auch Thea und eine Horde feixender Damen. Meine beste Freundin ist die Arrangeurin. Für die Ewigkeit wird der Zug über Straßen, Plätze und durch Kneipen auf Film gebannt. Mit einer Digitalkamera stolziert Thea dafür umher. Von alldem wusste mein Kumpel Tobi nichts, bis er unbedarft den kreischenden Damen in die Fänge gerät. Thea stürzt auf ihn zu. Drückt ihm einen wasserfesten Stift in die Hand, mit dem er aufs auslandende Dekolleté der künftigen Braut sein Autogramm verewigen soll. Indes schwingt Thea einen Angst einflößend großen Büstenhalter, während eine der Begleiterinnen die Kamera an sich reißt. Ungezügelt wedelt Thea mit der Korsage für trächtige Kühe umher. Wie im Delirium tanzen die Freundinnen um Thea herum. Das Objektiv standfest auf sie gerichtet. Als Thea die Arme gen Himmel reckt, weicht Tobi erschrocken zurück: Ihr entblößter Bauch kommt ihm zum Vorschein. Da hilft auch kein gedankliches Ablenkmanöver gegen das verursachte Kopfkino. Die gewichtig nackten Tatsachen setzen sich fest. Der Videoapparat zeichnet unbeirrt auf.

Tags drauf stößt Tobi beim Stöbern im Internet per Zufall auf das imposante Filmchen. In vorderster Reihe: Thea. Während sich Tobi mit Händen und Füßen erfolgreich gegen Filmaufnahmen wehrte, ist sich Thea der Tragweite nicht bewusst. Teilt sie schließlich er weltweiten Internet-Kommune wichtige Infos wie Aufenthalt am stillen Örtchen ebenso mit. Zeitnah.

Ihr Chef wurde übrigens gleichfalls auf den privaten Dreh in der öffentlichen Datenbank aufmerksam. Am Arbeitsplatz im Großraumbüro spottet er: "Wie wär's - möchten Sie nicht unsere betriebliche Datenschutz- und Sicherheitsbeauftragte werden?"

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