Leuchttürme für Einwanderer

Regionalverband. Eine Flut von Sätzen in türkischer Sprache dringt durch die Holztür. Eine der beiden Stimmen klingt verwirrt, die andere spricht sanft und sicher. Es geht um Formulare, die nur verstehen kann, wer gut Deutsch spricht. Die warme Stimme gehört Beyhan Gaußmann

Regionalverband. Eine Flut von Sätzen in türkischer Sprache dringt durch die Holztür. Eine der beiden Stimmen klingt verwirrt, die andere spricht sanft und sicher. Es geht um Formulare, die nur verstehen kann, wer gut Deutsch spricht. Die warme Stimme gehört Beyhan Gaußmann. Geduldig lässt sie ihren Gesprächspartner ausreden; nach und nach gelingt es ihr, ihm den Weg durch das Paragraphendickicht zu weisen und ihn zu beruhigen.Die 52-jährige Saarbrückerin berät seit 28 Jahren im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Migranten im Saarland. Gaußmann ist eine Art Leuchtturm für sie. Sie erarbeitet mit ihnen Integrationspläne, vermittelt Sprachkurse, hilft ihnen auf ihrem beruflichen Weg, im Umgang mit Ämtern oder bei Erziehungsproblemen. "Die Menschen kommen mit Problemen von A bis Z", sagt Gaußmann, in deren Büro sich unzählige Broschüren, Flugblätter und Bücher mit Hilfsangeboten stapeln: ein "Handbuch für Deutschland" oder "Wege zur Einbürgerung".

Gaußmann hat alle Einwanderer-Generationen kennengelernt. Es gibt wohl kaum eine bessere Integrations-Expertin. Doch das Wort 'Integration' kann sie nicht mehr hören: "Es ist erschreckend, wie spät manchen aufgefallen ist, dass bei der Einwanderung etwas schiefgelaufen ist", sagt die Saarbrückerin. Sie verfolgt die Integrations-Diskussion zwar, zieht es aber vor zu handeln.

Fehler auf beiden Seiten

Dennoch hat Gaußmann eine Meinung: "Beide Seiten haben einiges falsch gemacht, sowohl die Deutschen als auch die Einwanderer." Alles habe mit einem Missverständnis begonnen: "Nach dem Krieg wollten die Deutschen billige Arbeitskräfte. Für die Menschen, die kamen, interessierten sie sich kaum", sagt Gaußmann. "Die Gastarbeiter mussten nur kräftig und gesund sein. Die Einwanderer wiederum wollten in Deutschland nur Geld verdienen und dann zurück in ihre Heimat." Dementsprechend gab es auch weniger Sprachkurse und Beratungsangebote. Gastarbeiter wurden zusammen in einem Stadtviertel untergebracht: Ghettos bildeten sich. Dies habe die Integration behindert: "Viele Deutsche kennen Einwanderer leider nur aus den Medien - mit allen negativen Klischees, die da bedient werden." Gaußmann, die 1975 aus der Türkei nach Deutschland kam und später einen Deutschen heiratete, hat damit ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Als sie ein Praktikum in einem Kaufhaus machte, staunten die Mitarbeiter: "Du bist ja gar nicht verschleiert."

Und wo sieht Gaußmann die Fehler auf Seiten der Migranten? "Viele ältere Einwanderer kommen zu mir und sagen: 'Hätten wir nur Deutsch gelernt!'" Doch auch Teile der Nachfolge-Generationen würden sich abschotten und sich meistens in ihrer Muttersprache unterhalten, kritisiert Gaußmann: "Niemand soll auf seine Kultur und Religion verzichten, aber er sollte sich der deutschen Gesellschaft öffnen und ein Stück weit anpassen."

Integrieren heißt für Gaußmann in erster Linie: die Sprache lernen. Nur wer die gut beherrsche, könne das Land und die Menschen verstehen, "und zwar nicht nur auf einer oberflächlichen Ebene: Es kommt darauf an, Gedanken, Gefühle und Meinungen austauschen - und dadurch Missverständnisse auszuräumen." Beide Seiten kämen noch zu selten aufeinander zu. Die Gründe dafür, auf Seiten der Migranten? "Mit der Sprachbarriere einher geht oft ein Mangel an Selbstvertrauen - und eine, nur allzu menschliche, Angst vor 'dem Fremden'."

Eine Unsicherheit, die lähmen kann. Sie trägt dazu bei, dass viele davor zurückscheuen, mit Gaußmann einen Integrationsplan zu entwickeln. Sie ist auch deshalb eine glaubwürdige Integrations-Expertin, weil sie selbst nach ihrem Abitur in Ankara nach Deutschland eingewandert ist. Ihr Vater arbeitete hier als Ingenieur. Bevor sie Textil-Design studierte, machte Gaußmann einen Deutschkurs - und erledigte für die Familie Behördengänge, "'Ich möchte, dass du Erfahrungen in unserem neuen Heimatland sammelst', sagte mein Vater."

Am Anfang verstand die Tochter nichts und verzweifelte: "Ich dachte, ich würde nie Deutsch lernen." Sie kam weinend nach Hause, doch der Vater sagte: "Du schaffst das." Und sie schaffte es.

Zur Awo kam Gaußmann durch Zufall. Nach ihrem Studium schrieb sie viele Bewerbungen, bekam jedoch nur Absagen, wegen "mangelnder Berufserfahrung" hieß es. Also nahm sie das Angebot der Awo an, in der Beratungsstelle zu arbeiten. An welche Erfolgsgeschichten sie sich erinnern könne? Gaußmann fällt eine Frau aus der Türkei ein, die kein Deutsch sprach und vor ihrem gewalttätigen Mann ins Frauenhaus floh. Sie machte einen Sprachkurs, eine Lehre zur Kosmetikerin und eröffnete schließlich ihr eigenes Studio. "Auch wenn der Weg steinig ist: Man kann es schaffen."

Ob sich etwas verbessert habe in Sachen Integration? "Ja", sagt Gaußmann, "das Angebot an Beratungsangeboten und Sprachkursen zum Beispiel ist größer geworden." Aber es gibt noch viel zu tun. Denn immer noch gibt es viele Migranten, die scheitern, mitunter auf tragische Weise: Letztens rief Ahmed Kadas, Gaußmanns engster Mitarbeiter, sie an und sagte nur: "Du musst kommen. Ich brauche deine Hilfe." Vor Ort, auf der Türschwelle, kam Gaußmann ein fürchterlicher Verwesungsgeruch entgegen. Die junge Frau hatte schon seit Wochen tot in ihrer Wohnung gelegen, gestorben an einer Überdosis Rauschgift.

Gaußmann kannte die Tote: Sie stammt aus einer Familie, die die Beraterin seit ihrem ersten Tag bei der Awo betreute. Die Kinder rebellierten, wandten sich von ihren Eltern ab und gerieten auf die schiefe Bahn - weil das Hin-und-Hergerissen-Sein zwischen den Kulturen sie zerrissen hat. Die Tragödie ist ein Extremfall - und hat doch exemplarische Qualität: "Viele scheitern, weil sie zwischen den Kulturen stehen."

Ahmet Kadas ist ebenfalls ein erfahrener Fachmann, seit mehr als 25 Jahren kümmert er sich um Einwanderer. Auch Kadas will nichts beschönigen. Deshalb kann er dem Sarrazin-Buch "Deutschland schafft sich ab" auch Positives abgewinnen: "Über Sarrazins Wortwahl und viele seiner Thesen lässt sich streiten. Unbestritten ist jedoch, dass er die Diskussion neu entfacht hat. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sich etwas ändert."

Alle Beteiligten müssten sich nun stärker hinterfragen: "Einige Migranten leben nach wie vor mit einem Bein in Deutschland, mit dem anderen in der Heimat, selbst Mitglieder der vierten Generation. Dies liegt auch daran, dass es zu wenige Mischehen gibt - die fördern das Zusammenwachsen."

Nichtsdestotrotz habe sich einiges zum Guten gewendet in den vergangenen Jahren, sagt Kadas, der 1980, nach einem Studium der Türkischen Sprache und Literatur, nach Deutschland gekommen ist. Früher habe sich nur die Ausländerbehörde zuständig gefühlt, heute habe fast jede Institution Fachleute für Einwanderer. "Außerdem spricht die vierte Generation besser Deutsch. Migranten sind zunehmend besser ausgebildet." Kadas' Hoffnungen ruhen vor allem auf der Ganztagsschule: "Sie wirkt dem Abschotten entgegen." Was Kadas Zuversicht schenkt? "Wenn ich junge Menschen, deren Eltern ich beraten habe, treffe und sie mir stolz erzählen, dass sie studieren." Fotos: gha

"Viele Deutsche kennen Einwanderer leider nur aus den Medien."

Beyhan Gaußmann

"Migranten sind zunehmend besser ausgebildet."

Ahmet Kadas

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